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FRAUEN/691: Der koloniale Catwalk (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 141, 3/17

Der koloniale Catwalk

Rassismus in der Welt der Mode

von Julia Brilling


"Is fashion racist?", fragte die Vogue 2008 in einem ihrer Artikel. Eine fast naive Frage, führt doch die Modeindustrie und ihre auflagenstarken Magazine, allen voran das Vogue-Imperium, seit jeher eine intime Beziehung zu Rassismus und kolonialen Bildwelten. Dazu gehört u. a. die Abwesenheit Schwarzer Menschen als Models oder hinter den Kulissen als Designer_innen; ebenso wie die konstante Aneignung oder Appropriation weißer Westlicher, wie Modedesigner Yves Saint Laurent und John Galliano, die jeweils mehrere "Afrika-inspirierte" Kollektionen entworfen haben. Die Rassifizierung und Sexualisierung insbesondere Schwarzer weiblicher Körper in der visuellen Repräsentation innerhalb der Modeindustrie, der Konsum sowie die Aneignung nichtweißer Kulturen und Kleidungsstile bleiben weiterhin problematisch.


Mode und Feminismus führen ebenso seit jeher eine ambivalente Beziehung, wie schon Leslie Rabine 1994 in ihrem Essay "A Woman's Two Bodies" feststellte. Mode und Kleidung erfüllen die normative Funktion, (Frauen-)Körper zu kontrollieren und dominante Schönheitsideale zu reproduzieren. Gleichzeitig ist die Praxis des sich Kleidens auch Ausdruck von Selbstbestimmung, eine Möglichkeit der Selbstinszenierung oder kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe darstellen.

Rassistische Darstellungen in Modemagazinen oder auf Laufstegen sind auch 2017 noch aktuell. Eine ernsthafte Auseinandersetzung der Modeindustrie mit Rassismus ist also höchst an der Zeit.

Schönheitsideale und Repräsentationspraktiken, die in Modemagazinen zum Konsum angeboten werden, zeigen enge Verbindungen zu kolonialen und damit rassifizierten sowie hierarchisierten Repräsentationsmustern auf. Körper werden hier anhand ihres Grades der Rassifizierung entlang der Konstruktion "Schönheit" hierarchisiert, wobei weiße Körper als unmarkiertes und normatives Zentrum fungieren und alle davon abweichenden Körper als markierte Körper entlang der normativen Schönheitsideale von "weiß sein" organisiert werden.

Der Körper und dessen Inszenierung bilden den Ausgangspunkt von Rassifizierung, Schönheitsidealen und Schönheitsnormen. Hinzu kommt in der Mode(fotografie) aber auch die Inszenierung des Körpers durch Körperdekoration und Kleidung. Neben dem weitgehenden Ausschluss von Models of Color zeigen Modemagazine allzu oft stereotype Darstellungen von "Afrika", exotisierte und koloniale Bildwelten und bedienen sich rassistischer Klischees. Das Sahnehäubchen: immer wieder Blackface-Fotostrecken in namhaften Modemagazinen, allen voran die Vogue.


Blackface en Vogue

Auch die rassistische Praxis des Blackfacing findet bis heute nicht nur auf Theaterbühnen, sondern auch in Modemagazinen statt. "Blackfacing" ist im 19. Jahrhundert in den USA entstanden, als weiße Darsteller_innen in sogenannten Minstrel Shows mit geschwärztem Gesicht Schwarze Menschen in rassistischer Weise "nachäfften".

Karl Lagerfeld war einmal zu Gast in einer französischen Talkshow, in der es um Rassismus in der Modewelt ging. Anwesend auch das Schwarze Französische Model Noémie Lenoir, die aus erster Hand berichtete, wie viel Rassismus sie erlebt und welche ungleichen Voraussetzungen für weiße und Models of Color bestehen. Das jedoch konnte Herrn Lagerfeld nicht davon abbringen zu betonen: Der Vorteil der Mode sei eben, dass es keinen Rassismus gebe!

Leider hat er vergessen, dass auch er in erster Linie weiße Models bucht und dass Blackface oder andere rassistische und rassifizierende Praktiken ihm nicht fremd sind. So geschehen mit seiner einstigen Muse Claudia Schiffer. Für das Cover einer Sonderausgabe des Bandes "Stern Fotografie" ließ er Frau Schiffer ihre "universelle" Schönheit unter Beweis stellen. Auf dem Cover ist Claudia Schiffer in verschiedenen "Verkleidungen" zu sehen, auch in Blackface mit Afroperücke und in Yellowface mit schwarzen glatten Haaren als "Geisha". Womit bewiesen werden sollte, dass sie wirklich alles sein kann. Dieses "alles" schließt auch Fantasien von "racial transgression" mit ein, also das Überschreiten der eigenen "Rasse" hin zu einer anderen.

Die Stereotypisierung des rassifizierten Schwarzen weiblichen Körpers im kolonialen Diskurs äußert sich durch die Praxis des Blackfacing weißer weiblicher Körper als rassistische und nicht als ästhetische Praxis. Die Verbindungslinien zwischen Rassismus und Sexismus kommen in diesem Beispiel zu tragen, denn als Rechtfertigung auf die "Rassismusvorwürfe ließ ein Sprecher Claudia Schiffers verlauten: "The images were designed to reflect different men's fantasies."


Eating the Other

Alles sein zu können, überall hingehen zu können, sich alles einzuverleiben, ohne dabei jemals selbst markiert zu werden, das ist die Macht von Weißsein. Die Künstlerin und Schriftstellerin Grada Kilomba schreibt: "Whiteness has the ability to move, and this ability to move results in the unmarking of the white body." Die Tatsache, dass in Modemagazinen weltweit immer wieder zu Blackface gegriffen wird, zeigt auch, dass sich die Modewelt jenseits gängiger Korrektheitsvorschriften wähnt.

Im Gegensatz zur Minstrel Show, dem Ursprung des Blackface, wird in Modemagazinen nicht versucht, eine "hässliche" Karikatur zu zeichnen. Die rassistische Fantasie, der die Modeindustrie hier immer wieder folgt, fußt darauf, vermeintlich "Schönes" bzw. "Schönheit" zu produzieren und somit frei von jeder Schuld und Verantwortung zu sein: Wenn es schön ist, kann es nicht rassistisch sein, denn Rassismus ist hässlich - so die vermeintlich unschuldige Logik dahinter.

Auch bei "Cultural Appropriation", also der Aneignung nichtwestlicher oder nichteuropäischer Kleidungsstile, Stoffe oder Symbole, wird dies offensichtlich. In oft als Hommage betitelten Modekollektionen oder Fotoserien bedienen sich Designer_innen, Fotograf_innen oder Creative Directors immer wieder "anderer" Inspirationen. Oft wird hier "vergessen", die Quelle der Inspiration anzugeben. So werden beispielsweise Waxprint-Stoffe seit einiger Zeit vermehrt von westlichen Designer_innen für ihre Kollektionen benutzt. Dass diese Stoffe in vielen afrikanischen Ländern zur Alltagskleidung gehören, wird jedoch nicht weiter thematisiert. Das "Exotische" dieser Stoffe wird dann zum Trend erklärt, wenn es der westlichen Kundschaft zum Konsum angeboten werden kann.

Der Konsum der "Anderen", das Aufessen oder Einverleiben, wie bell hooks es nennt, wird so stetig in der Modewelt fortgeschrieben. Sara Ahmed schreibt: "Difference becomes a style that the white nation and body can put on and take off." Das Versprechen der Mode ist nicht nur Selbstverwirklichung durch Konsum, es geht auch um die Möglichkeit, sich verwandeln zu können: "Ich kann haben, was die haben" - offenbar bezieht sich diese Fantasie in der Mode nicht nur auf Objekte und Kleidungsstücke, sondern schließt ganze Identitäten mit ein.

Einverleiben von Styles von Subkulturen, marginalisierten Gruppen oder ganzer Kontinente gehört auch zum Kerngeschäft niedrigpreisiger Modeketten. Was auf der Straße als Symbol der Zugehörigkeit funktioniert, wird vom Mainstream adaptiert, so dass sich jedes weiße Mittelstandkind bundesdeutscher Vorstädte dessen bedienen kann. Frei nach Sara Ahmed, werden so (weiße) Konsument_innen eingeladen, sich "das Andere" einzuverleiben: Eat, digest, and shit it out.

"Rasse" ist in der Sprache der Mode und Modefotografie ein Accessoire: Du trägst es, wenn du es hast, oder kannst es dir kaufen und anziehen. Das Privileg, sich einfach eine andere "Haut" anziehen zu können, liegt aber bei weißen Menschen. Schwarze Models werden nicht nur seltener für den Laufsteg oder Fotoshootings gebucht, sondern werden einfach mit irgendwie schwarz angemalten weißen Frauen ersetzt. Wenn sie doch einmal in größeren Magazinen vorkommen, dann nicht selten in Leopardenprints, "animalisch" oder - wie Alek Wek - einfach als Kaffeebohne inszeniert in einer Tasse. Das sudanesische Model Wek wurde wie in diesem Beispiel somit zum Objekt degradiert und zum Konsum angeboten.

Schönheitsideale als auch Repräsentationspraktiken, die in Modemagazinen zum Konsum angeboten werden, zeigen enge Verbindungen zu kolonialen und damit rassifizierten sowie hierarchisierten Repräsentationsmustern. Körper werden hier anhand ihres Grades der Rassifizierung entlang der Konstruktion "Schönheit" hierarchisiert, wobei der weiße Körper als unmarkiertes und normatives Zentrum fungiert und alle davon abweichenden Körper als markierte Körper entlang der normativen Schönheitsideale von "Weißsein" organisiert werden. Körper werden in der Modewelt als sexualisierte Objekte genutzt, die letztlich entweder selbst zum Konsumieren oder aber die Fantasie der Überschreitung/Transgression der eigenen Positioniertheit der Konsument_in anregen sollen.

Ein gewisser Wandel ist aber auch in der Modeindustrie spürbar, allen voran in der Kampagne "Balance Diversity" des ehemaligen Models Bethann Hardison, in der sie zu mehr Vielfalt auf Laufstegen aufruft und auch bereits etliche Labels wegen ihres Rassismus öffentlich "geshamed" hat.

Gleichzeitig bleibt es ein weißes Privileg, sich rassifizierte Symbole anzuziehen und sich damit zu schmücken und sie nach Belieben wieder abzulegen. Das deutsche Model Nadja Auermann hat sich einst für ein Fotoshooting komplett schwarz anmalen lassen und verträumt im Interview dazu erzählt, wie sie schon immer eine spirituelle Verbindung zu "Afrika" verspürt habe und diese jetzt endlich zeigen könne. Diese wirklich mysteriöse Verbindung zu "Afrika" hört aber dann auf, wenn es darum geht, Rassismus zu bekämpfen. Schwarz sein wollen, weil es chic ist, Babyhair am Vorderkopf schmücken, weil es Trend ist, ohne die Konsequenzen von Rassismus spüren zu müssen: nämlich Racial Profiling, Diskriminierung und Gewalt.


Anmerkung: Dieser Artikel erschien erstmals im Blog von feministische Studien (http://blog.feministische-studien.de/). Hier handelt es sich um eine aktualisierte Version.


Literaturtipps:
Sara Ahmed (2000): Strange Encounters. Embodied Others in Post-Coloniality. London and New York: Routledge.
Sara Ahmed (2002): Racialized Bodies, in Real Bodies: A Sociological Introduction, ed. by Mary Evans and Ellie Lee (Palgrave Macmillan), pp. 46-63.
bell hooks (2009): Eating the Other, in Black Looks: Race and Representation (Turnaround Publisher Services Limited), pp. 21-40.
Grada Kilomba (2008): Plantation Memories. Münster: Unrast Verlag.
Leslie W. Rabine (1994): A Woman's Two Bodies: Fashion Magazines, Consumerism, and Feminism, in On Fashion (Rutgers University Press), pp. 59-75.

Zur Autorin: Julia Brilling ist Communications- und Gender-Expertin und arbeitet in Berlin und Dar es Salaam. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender, Diskriminierung und Migration. Sie ist Mitbegründerin und Direktorin von "Hollaback!" Berlin - eine Bewegung gegen Street Harassment.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 141, 3/2017, S. 7 - 9
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2017

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