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INTERNATIONAL/026: Indien - Zum Betteln verdammt, ledige Mütter im Stich gelassen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juni 2011

Indien: Zum Betteln verdammt - Ledige Mütter von Familien und Staat im Stich gelassen

Von H.S. Hariskrishnan

Die alleinerziehende Mutter Leela - Bild: © H.S. Harikrishnan/IPS

Die alleinerziehende Mutter Leela
Bild: © H.S. Harikrishnan/IPS

Thiruvananthapuram, 1. Juni (IPS) - Mit 14 Jahren ist Janu fast selbst noch ein Kind. Um sich und ihre zweijährige Tochter zu ernähren, muss die Inderin aus dem südlichen Bundesstaat Kerala auf der Straße um Almosen betteln. Ihr Fall ist kein Einzelschicksal.

Janu lebt in einem der Stammesgebiete, in denen viele junge Frauen in ihrem Alter sexuell bedrängt und schließlich schwanger werden. Die von außerhalb kommenden Männer, oft einflussreiche Personen des öffentlichen Lebens, weigern sich in der Regel, für die Mütter und Kinder zu sorgen. Die Folge: Die Frauen werden stigmatisiert und leiden meist bittere Not.

Laut einer offiziellen Studie leben in Kerala 563 unverheiratete Mütter. Doch die Dunkelziffer liegt offenbar weit höher. Einer Erhebung der Polizei zufolge gibt es allein in den Stammesgebieten im Norden Keralas rund 1.000 Mütter in dieser Lage.

Die nichtstaatliche 'Kerala Women's Commission' (KWC) geht von insgesamt mehr als 2.000 Frauen aus, die ihre Kinder allein aufziehen müssen. Die meisten seien im Alter zwischen 14 und 20 Jahren, heißt es in der Untersuchung.

Der neue Regierungschef von Kerala, Oommen Chandy, hat die Polizei angewiesen, sich intensiver als bisher um die Opfer von Gewalt, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu kümmern.


Zahl alleinstehender Mütter stark gestiegen

Die Frauenaktivistin T. Devi, die auch Mitglied von KWC ist, hält solche Hilfe für dringend geboten. In den vergangenen 15 Jahren sei die Zahl der ledigen Mütter in den Stammesgebieten rapide angestiegen, sagte sie IPS. Die Kommission setzt sich dafür ein, dass die Polizei die Fälle dieser jungen Frauen überprüft und für ihre gesellschaftliche Rehabilitierung sorgt.

Laut Devi sind es oft Forstbeamte, Lehrer, Arbeiter oder Gemeindeführer, die den jungen Frauen Geld, Alkohol, Kleidung oder Parfum schenken, sie zu sich nach Hause einladen und ihnen die Ehe versprechen.

K.J. Vijayalakshmi, der das 'Women Empowerment and Human Ressources Development Centre of India' (WHI) in Thiruvananthapuram leitet, führt diese Missstände auf soziale Rückständigkeit zurück. "Hunger, Armut, Analphabetismus, schlechte Gesundheit, mangelnde Kommunikation und Geldsorgen treiben die Frauen in den Stammesgebieten dazu, Hilfe von außerhalb anzunehmen", erklärte er. In der Regel seien es wohlhabende Männer, die die Frauen sexuell ausnutzten. Viele ledige Frauen arbeiteten mittlerweile unentgeltlich in den Häusern der Fremden.

Der Anthropologe G.P. Paul betrachtet das Problem der ledigen Mütter als ebenso gravierend wie die Vertreibung der Ethnien von ihren Territorien. Viele dieser Menschen, die in Wäldern lebten, mussten Eindringlingen weichen, die sich ihrer Territorien bemächtigten. Wie Paul kritisierte, wurde bislang nichts unternommen, um ihnen ihre Gebiete zurückzugeben.

Bereits vor mehr als zehn Jahren wurden Untersuchungen veröffentlicht, die auf die schwierige Lage der ledigen Mütter hinwiesen. 1997 hatte ein Ausschuss im Parlament von Kerala einen Bericht an die Regierung weitergeleitet, die darauf jedoch nicht reagierte. Sowohl staatliche Stellen als unabhängige Aktivisten fordern seitdem soziale Programme, die die Lage der Frauen verbessern sollen.


Staatliche Sozialleistungen angemahnt

Pushkala Unnikrishnan, Leiterin einer Hilfsorganisation im Bezirk Wayanad, appellierte an die Regierung, den Betroffenen Sozialleistungen zu zahlen. "Es ist eine Schande für einen Staat mit einem so hohen Bildungsniveau wie Kerala, dass unverheiratete Frauen weiterhin in Armut leben und vernachlässigt werden", kritisierte sie. Dabei seien diese Probleme seit Jahren öffentlich bekannt.

Andere Experten weisen auf die hohe Sterblichkeit der Frauen hin. Auch die Kinder seien in Gefahr: Nach den ungeplanten Geburten werden die Babys oftmals auf grausame Weise getötet. Der Soziologin Kitty Lukose zufolge greifen zudem viele Frauen zu traditionellen Pflanzen, um die ungewollte Schwangerschaft zu beenden.

Nicht wenige Frauen gingen später aus Not der Prostitution nach, sagte der Mediziner K. Ramachandran Nair, der mehr als 45 Jahre in den Stammesgebieten gearbeitet hatte. Sie würden von ihren Familien und von der Gesellschaft in ihren Gemeinden diskriminiert. Die Männer, die sie geschwängert hätten, zögen sich dagegen dank ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht aus der Verantwortung. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://kwc.kerala.gov.in/
http://www.whiindia.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55849

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011