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INTERNATIONAL/052: Pakistan - Massenarbeitslosigkeit radikalisiert Jugend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2011

Pakistan: Massenarbeitslosigkeit radikalisiert Jugend - Bildungsoffensive gefordert

Von Zofeen Ebrahim

Pakistans Kinder leiden unter Bildungsmisere - Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Pakistans Kinder leiden unter Bildungsmisere
Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Karachi, 28. Oktober (IPS) - Am 31. Oktober werden auf der Erde sieben Milliarden Menschen leben. Für Pakistan, das derzeit zu den vier bevölkerungsreichsten Ländern aufschließt, könnte der demographische Boom zur Existenzfrage werden. Nach Ansicht von Experten wird es höchste Zeit für umfangreiche Investitionen in die Ausbildung junger Menschen, um eine Radikalisierung der mehrheitlich jungen Bevölkerung zu verhindern.

Nach Ansicht des Demographen und Mediziners Farid Midhet stellt die Bevölkerungsexplosion Pakistan vor größere Gefahren als Militanz und religiöse Intoleranz. "Es ist das Bevölkerungswachstum, das unsere Existenz bedroht", ist er überzeugt. "Man muss sich nur mal vorstellen, dass in unserem Land im Jahr 2030 300 Millionen Menschen leben!"

Die Regierung gibt die derzeitige Bevölkerungszahl mit 175 Millionen an. Die Vereinten Nationen halten 185 Millionen für realistisch. 1950 hatten gerade mal 37 Millionen Menschen das Land bevölkert, 2007 rückte es dann auf der Skala der bevölkerungsreichsten Staaten auf den sechsten Platz. Nun schickt sich Pakistan an, gleich hinter China, Indien und USA auf den vierten Platz aufzurücken.


Auf Bevölkerungswachstum nur unzureichend vorbereitet

Doch das Bevölkerungswachstum erhöht den Druck auf die Regierung, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die den vielen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Schon jetzt ist die Armut in dem Land groß, und die Gefahr von Übersprungshandlungen latent vorhanden. Raja Khan, der arbeitslose Vater zweier Kinder, reiste eigens aus der Sindh-Provinz nach Islamabad, um sich vor dem Parlament anzuzünden. Er starb an den Folgen seiner Brandverletzungen. In seinem Abschiedsbrief hieß es: "Ich habe von meiner finanziellen Situation genug."

Khans grausiger Tod lässt sich durchaus als eine der vielen Warnungen verstehen, wie sie der Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) in seinem diesjährigen Jahresbericht bereithält: dass nämlich ein Bevölkerungsrekord von sieben Milliarden Menschen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken bereithält. "Armut, Ungleichheit und Bevölkerungswachstum bedingen sich", so der UNFPA-Landesvertreter Rabbi Royan. "Um Störungen vorzubeugen, ist eine solide Planung vonnöten."

Royan zufolge hat jedes Land mit seinen eigenen individuellen Problemen zu kämpfen. Im Fall Pakistan dringt der Experte auf umfangreiche Investitionen in die jungen Bevölkerungsgruppen. Zwei Drittel aller Pakistaner sind unter 30 Jahre alt. Pakistan müsse dringend den Bildung- und Beschäftigungssektor fördern, um sich böse Überraschungen zu ersparen. Denn sollte den Bedürfnissen der jungen Leute nicht entsprochen werden, stehe zu befürchten, dass sie ihre Unzufriedenheit radikalisieren werde.

Auch Midhet ist der Meinung, dass sich das untergehende Schiff nur noch durch massive Investitionen in den Bildungssektor retten lässt. Hätte Pakistan in den letzten 64 Jahren mehr für Bevölkerungskontrolle und Bildung getan, stünde das Land jetzt nicht so nah am Abgrund, ist er überzeugt.


Junge Leute brauchen Aussicht auf Arbeit

Angesichts der Aussicht, dass immer mehr junge Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen werden, muss das südasiatische Land nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Kaiser Bengali arbeitsplatzintensive Wirtschaftmaßnahmen ergreifen. Verhältnisse wie in Algerien gelte es unbedingt zu verhindern. "In Algerien hat der siebenjährige Unabhängigkeitskrieg einen beträchtlichen Teil der 15- bis 40-Jährigen getötet. Das hatte zur Folge, dass die unter 15-Jährigen in Massen auf den Arbeitsmarkt drängten und damit die Voraussetzungen für Massenarbeitslosigkeit und Radikalisierung geschaffen wurden."

"Die Überbevölkerung in Pakistan hat bereits zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt", betonte Midhet und fügte warnend hinzu: "Gerade Jugendliche sind anfällig für Militanz, religiösen Fanatismus und Kriminalität."

"Alle Hoffnungen auf Entwicklung und wirtschaftlichen Wohlstand gehen den Bach hinunter, wenn wir als Staat die Bevölkerungsfrage aus dem Blick verlieren", hatte Ministerpräsident Yusuf Raza Gilani anlässlich des Weltbevölkerungstages am 11. Juli erklärt und 2011 zum "Bevölkerungsjahr" erklärt.

Nach Ansicht von Zeba Sathar, Leiterin des Pakistan-Büros des in New York angesiedelten 'Population Council', müssen die Menschen mit den Werten und Möglichkeiten der Familienplanung vertraut gemacht werden. Gerade die Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Mädchen sei der Eckpfeiler jeder Bevölkerungspolitik.

Sathar zufolge ist Pakistan mit Familienplanungsprogrammen erheblich im Rückstand. Sieben Millionen Frauen hätten vergeblich erklärt, sich keine weiteren Kinder zu wünschen. Stattdessen wächst die pakistanische Bevölkerung jedes Jahr um vier Millionen Menschen. Zudem kommt es statistisch gesehen zu 2,7 Millionen unbeabsichtigter Schwangerschaften und einer Million Abtreibungen. "Wir könnten unsere jährliche Geburtenrate um mindestens 1,5 Millionen verringern", sagte Sathar. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://foweb.unfpa.org/SWP2011/reports/EN-SWOP2011-FINAL.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105612

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011