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INTERNATIONAL/061: El Salvador - Priester holt Jugendliche aus Kriminalitätsfalle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2011

El Salvador: Höchste Mordrate weltweit - Priester holt Jugendliche aus Kriminalitätsfalle

von Edgardo Ayala


San Salvador, 1. Dezember (IPS) - Antonio pflegte durch die Straßen seines Wohnviertels in San Salvador zu streifen, immer an der Seite von Mitgliedern der Jugendgang 'Barrio 18', einer der mächtigsten Verbrecherbanden El Salvadors. Er wäre sicher einer von ihnen geworden, hätten seine Eltern nicht die Reißleine gezogen.

Sie gaben den Sohn in die Obhut von Padre Pepe. Der Priester, der eigentlich José María Moratalla heißt, leitet das 'Technische Institut Don Bosco', das rund 450 Kindern und Jugendlichen Schulbildung und berufsqualifizierende Ausbildungen ermöglicht. Die Schüler und Auszubildenden kommen aus armen Verhältnissen, und einige von ihnen sind gefährdet, eine Laufbahn als Verbrecher einzuschlagen.

Das Institut hat seinen Standort mitten in Iberia, einem armen Stadtviertel im Osten der Hauptstadt San Salvador, in dem Gewalt an der Tagesordnung ist. "Wir wollen denjenigen eine Chance geben, die eigentlich keine haben", sagt der Geistliche. Und er hat Erfolg: Viele seiner Schüler bauen nach Verlassen des Instituts kleine Agrar- oder Industriebetriebe auf.

Moratalla kam 1983 aus Spanien nach El Salvador. Damals tobte im Innern des zentralamerikanischen Landes ein blutiger Bürgerkrieg (1980-1992). 75.000 Menschen starben, 8.000 verschwanden. Vor den Auseinandersetzungen flohen Tausende von Bürgern in die Hauptstadt. Sie errichteten wilde Siedlungen, wo sie in Häusern aus Karton und Plastik leben.

"Als ich mit diesen Menschen ins Gespräch kam, wurde mir schnell klar, dass auch sie eine Chance auf ein besseres Leben verdienen", berichtet Padre Pepe. 1985, zwei Jahre nach seiner Ankunft, gründete er das Institut.


Höchste Mordrate weltweit

Auch fast 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs ist El Salvador noch immer das Land mit der höchsten Mordrate weltweit. Auf 100.000 Einwohner kommen 62 Morde pro Jahr. Das Forschungsprojekt 'Small Arms Survey' mit Sitz in Genf hat die Mordraten in denjenigen 58 Ländern ausgewertet, in denen von 2004 bis 2009 zwei Drittel aller Morde begangen wurden. Durchschnittlich kamen in diesen Ländern pro Jahr je zehn Morde auf 100.000 Einwohner. Nach El Salvador landete an zweiter Stelle der Irak.

Drei aufeinander folgende Regierungen haben seit 1999 versucht, mit staatlicher Repression der Gewalt Herr zu werden, die hauptsächlich von den sogenannten 'Maras' ausgeübt wird, Jugendbanden, die immer mehr Zulauf erfahren und das Land und die Bevölkerung in Schach halten.

Die Maras sind in den 80er Jahren in den Armenvierteln großer US-Städte wie Los Angeles und New York entstanden. Ihre Mitglieder sind ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Nicaragua, El Salvador und Guatemala, die später von den US-Behörden in ihre Heimatländer abgeschoben wurden, wo sie neue kriminelle Banden ins Leben riefen.

Obwohl die Politik der harten Hand bisher keinen Erfolg gezeigt hat, macht Präsident Mauricio Funes, der das Amt 2009 angetreten hat, genauso weiter wie seine Vorgänger. Auf sein Geheiß hin unterstützt das Militär nun die Polizei - doch auch das konnte die Mordraten bisher nicht senken.

"Die Gewalt in unserem Land gleicht einer Epidemie", sagt Moratalla gegenüber IPS. "Die muss man zwar eindämmen, aber man muss auch präventiv vorgehen und Möglichkeiten zur Rehabilitation geben. Das fehlt." Mit seinem Institut setzt Padre Pepe an beiden Enden an.


Schulabschluss, Ausbildung, Studium

Anstatt sich weiter an der Seite von Verbrecherbanden zu zeigen, macht Antonio nun seinen Schulabschluss und will eine Elektriker-Ausbildung anschließen. Daneben kann man sich bei Moratalla auch zum Automechaniker ausbilden lassen oder Tischlern, Schweißen oder Nähen lernen.

Anders als Antonio hat der 18-jährige Ricardo seine Laufbahn als Verbrecher schon eingeschlagen. Seine Gewalttaten brachten ihm vier Jahre Gefängnis ein. Drei davon kann er allerdings in Moratallas Institut verbüßen. Er ist gerade dabei, sein Abitur zu machen und will anschließend an die Universität gehen. "Ich will Jura studieren und irgendwann Richter werden", erzählt er IPS.

Moratalla hat mittlerweile neue Pläne: Mit Hilfe der Weltbank will er ein Sinfonie-Orchester aufbauen. Die Musiker sollen aus den Reihen seines Instituts kommen. Auch Schüler aus 40 Bildungseinrichtungen, die in armen und gewalttätigen Gegenden gelegen sind, sind eingeladen. (Ende/IPS/jt/2011)


Links:
http://www.smallarmssurvey.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99613

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IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2011