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INTERNATIONAL/111: Peru - Im Schneckentempo auf der Suche nach Kriegsopfern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2012

Peru: Im Schneckentempo auf der Suche nach Kriegsopfern

von Milagros Salazar

Bestattungszeremonie für die Opfer des peruanischen Bürgerkriegs im Department Ayacucho - Bild: © Comisión de Derechos Humanos

Bestattungszeremonie für die Opfer des peruanischen Bürgerkriegs im Department Ayacucho
Bild: © Comisión de Derechos Humanos

Lima, 30. August (IPS) - Im peruanischen Bürgerkrieg starben zwischen 1980 und 2000 fast 70.000 Menschen. Mindestens 15.700 von ihnen werden in anonymen Gräbern vermutet. Bisher konnten allerdings nur 2.064 geborgen werden, wovon wiederum nur etwa die Hälfte identifiziert wurde, heißt es in einer aktuellen Untersuchung der nichtstaatlichen Menschenrechtskommission Comisedh.

"Die Exhumierung geht nur langsam und ziemlich chaotisch voran", sagte Comisedh-Vorsitzende Carola Falconí gegenüber IPS. Die Regierung sehe es auch nicht als ihre Priorität an, die sterblichen Überreste der Bürgerkriegsopfer zu bergen und zu identifizieren. "Und das, obwohl keine Demokratie funktionieren kann, ohne sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen." Von 1980 bis 2000 lieferte sich die linksgerichtete Guerilla 'Sendereo Luminoso' ('Leuchtender Pfad') heftige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht.

Die Planlosigkeit zieht sich durch die Institutionen. Das Rechtsmedizinische Institut beispielsweise, das von der Generalstaatsanwaltschaft mit der Exhumierung der Leichen betraut wurde, hat kein Konzept ausgearbeitet, um die anthropologisch-forensischen Untersuchungen voranzutreiben. Der Regierung fehlt es darüber hinaus an aktuellen Daten über die Orte, wo im Land Kriegstote anonym begraben wurden.


Offizieller Bericht bereits neun Jahre alt

Die Regierung wisse daher überhaupt nicht, wie es um die Bergung und Identifizierung der Toten aus dem Bürgerkrieg stehe, kritisiert die Comisedh in ihrem Bericht 'Die Toten von Ayacucho - Gewalt und geheime Grabstätten', den sie am 28. August der Öffentlichkeit vorstellte - neun Jahre nach der Abschlusspräsentation des Berichts der peruanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR) im Jahr 2003.

Die hatte die Zahl der Grabstellen mit Kriegstoten relativ niedrig auf rund 4.000 geschätzt. Das Rechtsmedizinische Institut konnte allerdings zwischen 2002 und 2011 lediglich 2.064 Leichname bergen. Wenn sich an dieser Geschwindigkeit nichts ändert, dann braucht es 80 Jahre, um die übrigen Opfer zu bergen und noch viel mehr Zeit, um die Toten zu identifizieren und ihren Angehörigen zu überstellen, heißt es im Bericht der Comisedh.

Wie schwerfällig die Behörden vorgehen, zeigt sich insbesondere in Ayacucho, dem Department mit den meisten Kriegsopfern. Der Menschenrechtskommission zufolge sind dort mindestens 8.660 Menschen anonym begraben worden. In den vergangenen zehn Jahren wurden 1.196 geborgen. Die Wahrheitskommission war in ihrem Bericht von 2003 von 2.234 Grabstellen in Ayacucho ausgegangen. Die Comisedh dagegen hat 1.818 zusätzliche Grabstellen gezählt. Landesweit seien es 6.462.

Ende September will die Menschenrechtskommission ihren Bericht der Staatsanwaltschaft und der staatlichen Ombudsstelle übergeben. Die Historikerin Falconí hofft, dass die Regierung ihn als Grundlage nutzt, um ein Konzept für die Exhumierungen zu entwickeln, die letztlich zu einer Aufklärung von Verbrechen beitragen sollen. Durch die Untersuchung der Leichname können die Todesursachen herausgefunden und Hinweise auf die Geschehnisse, die zum Tod führten, gefunden werden. Das kann schließlich Aufschluss über den oder die Mörder geben.

Das Rechtsmedizinische Institut weist die Vorwürfe der Inaktivität zurück. Institutsleiter Gino Dávila versicherte gegenüber IPS, einen Jahresplan zur Exhumierung von Leichen aufgestellt zu haben. "In diesem Jahr wollen wir auf 400 Ausgrabungen kommen." Allerdings gebe es keinen Langfristplan, wie ihn bereits die Wahrheitskommission gefordert hatte. Ein solcher sei schwierig, weil die Mitarbeiter des Instituts immer nur dann tätig würden, wenn die Staatsanwälte, die mit Menschenrechtsverletzungen betraut sind, sie mit einem Fall beauftragen würden.


Zu wenig Geld für Exhumierungen

"Wenn wir unsere Arbeit tatsächlich zu einem guten Abschluss bringen wollen, müssen wir einen Haufen Geld investieren", fügte Dávila hinzu. Momentan stehen dem Institut für die Exhumierungen pro Jahr umgerechnet 600.000 US-Dollar zur Verfügung. Das seien 80 Prozent weniger als er von der Staatsanwaltschaft gefordert habe, sagte Dávila.

Lediglich 50 Prozent der bisher geborgenen Kadaver konnten identifiziert werden. Die übrigen sollen DNA-Tests unterzogen werden. Doch erfolgversprechend ist auch diese Methode nicht in jedem Fall. Viele der Leichname sind in einem zu schlechten Zustand, und nicht alle Angehörigen von Verschwundenen haben Blutproben abgegeben. Andere Familienangehörige warten bereits seit sieben Jahren auf das Ergebnis der DNA-Tests. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.comisedh.org.pe
http://www.cverdad.org.pe/ifinal/index.php
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101461

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2012