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INTERNATIONAL/121: Uruguay - Parlament legalisiert Abtreibungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2012

Uruguay: Parlament legalisiert Abtreibungen

von Raúl Pierri


Martha Aguñín: 'Das Gesetz lässt zu viele Leerstellen.' - Bild: © Hacelosvaler.org

Martha Aguñín: "Das Gesetz lässt zu viele Leerstellen."
Bild: © Hacelosvaler.org

Montevideo, 19. Oktober (IPS) - In Uruguay hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Frauen den Abbruch von Schwangerschaften in den ersten drei Monaten erlaubt. Doch Frauenrechtlerinnen kritisieren, die Neuregelung sei lediglich ein Minimalkompromiss.

"Das Gesetz ist bei weitem nicht das, was wir erwartet haben", sagte Martha Aguñín, Sprecherin von 'Frauen und Gesundheit in Uruguay' (MYSU), nach der Verabschiedung am 17. Oktober. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) hatte die Kampagne 'Legale Abtreibungen in Uruguay - Mache deine Rechte geltend!' geführt.

Das Gesetz sei lückenhaft, so die Aktivistin. Abtreibungen bleiben als Straftatbestand bestehen. Das Gesetz wird lediglich ausgesetzt, wenn eine Frau, die ihr Kind nicht austragen möchte, bestimmte Bedingungen erfüllt: Insbesondere muss sie sich zur Beratung an einen Arzt wenden und ihm erklären, warum sie den Abbruch vornehmen möchte. Dazu zählen ökonomische, familiäre, gesellschaftliche und ethische Gründe.

Der Arzt zieht daraufhin ein Team aus mindestens drei Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen hinzu. Darunter muss ein Gynäkologe sein, ein Sozialarbeiter und ein Psychologe. Sie klären die betreffende Frau über den Inhalt des Gesetzes auf, erläutern ihr die Risiken eines Schwangerschaftsabbruches und stellen Alternativen zur Abtreibung dar. Daraufhin hat die Frau fünf Tage Zeit, um ihre Entscheidung zu überdenken. Bleibt sie dabei, kann sie ohne weitere Formalitäten den Abbruch vornehmen lassen.


Kritik an Rechtfertigungszwang

Für Aguñín hat das Beratungsgespräch Ähnlichkeiten mit einem 'Tribunal'. "Wenn wir Frauen eine solch schwere Entscheidung treffen, dann brauchen wir niemanden, der uns nach Hause schickt, um noch einmal darüber nachzudenken. Wir treffen eine solche Entscheidung nicht einfach aus dem Bauch heraus, sondern gewissenhaft, erwachsen und verantwortungsvoll." Frauen, so Aguñín weiter, müssen das Recht haben, selbst zu entscheiden, wie viele Kinder sie wann und wie haben wollten.

Um eine solche Beratung kommen Frauen herum, wenn ihr eigenes Leben durch die Geburt eines Kindes gefährdet würde, die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist und der Fötus als nicht überlebensfähig gilt.

Neben Uruguay sind in Lateinamerika bisher nur in Kuba und Mexiko Abtreibungen zulässig. In Uruguay hatte das Parlament bereits 1934 Schwangerschaftsabbrüche erlaubt. Aber da die Entscheidung in der Öffentlichkeit stark kritisiert wurde, erklärte das Parlament 1938 die Abtreibung zum Straftatbestand. Seitdem gab es acht Reform-Anläufe.

Der letzte scheiterte 2008. Damals verabschiedete das Parlament das Gesetz Nr. 18.426 über sexuelle und reproduktive Gesundheit. Der damalige Präsident Tabaré Vázquez (2005-2010), der die linke Regierungskoalition 'Breite Front' anführte, legte jedoch sein Veto gegen die Paragraphen ein, die die Abtreibung zum Thema hatten. Vázquez, selbst ein Arzt, sagte, ein solcher Eingriff sei ein "gesellschaftliches Übel", das es zu verhindern gelte.

Der aktuelle Präsident José Mujica gab bereits bekannt, dass er sich nicht gegen die Entscheidung des Parlaments stellen werde.


Schlechte gesundheitliche Versorgung im Landesinnnern

Unabhängig vom Inhalt des neuen Gesetzes befürchtet Martha Aguñín, dass die Umsetzung auf sich warten lassen wird. Viele Frauen, die im Inneren des Landes leben, haben nur unzureichenden Zugang zum Gesundheitssystem. "Die Frauen müssen teilweise bis zu 80 Kilometer zu einem Arzt fahren." Unter diesen Umständen könne auch das neue Gesetz nicht gewährleisten, dass eine Abtreibung unter hygienischen Bedingungen durchgeführt werde.

"Das Gesetz kann noch perfektioniert werden", sagt Ana Labandera, Präsidentin der Nichtregierungsorganisation 'Gesundheitsinitiativen'. "Es hat ein paar Unzulänglichkeiten, aber insgesamt ist es ein großer Schritt nach vorn für die Rechte der Frauen." Das Gesetz über sexuelle und reproduktive Gesundheit von 2008 habe die Basis dafür geschaffen, dass bereits jetzt ein Teil der Infrastruktur vorhanden sei, um Ärzte entsprechend auszubilden.

Abtreibungen gab es auch schon vor der Verabschiedung des Gesetzes. Schätzungen zufolge werden pro Jahr in Uruguay 30.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. von zehn Schwangerschaften werden drei bis vier unterbrochen. Bei den heimlichen Eingriffen seien zwischen 2007 und 2011 keine Frauen gestorben, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. 2012 jedoch starben zwei Frauen an den Folgen eines durch das das Medikament Misoprostol eingeleiteten Abbruchs. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.mysu.org.uy/
http://www.hacelosvaler.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101741
http://www.ipsnews.net/2012/10/some-womens-groups-say-uruguays-new-abortion-law-falls-short/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2012