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INTERNATIONAL/131: Mongolei - Aktivisten engagieren sich für humanen Strafvollzug (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2012

Mongolei: Missstände hinter Gittern - Aktivisten engagieren sich für humanen Strafvollzug

von Michelle Tolson


Amnesty International hat Beweise für schwere Menschenrechtsverstöße in mongolischen Gefängnissen - Bild: © Ranmali Bandarage/IPS

Amnesty International hat Beweise für schwere Menschenrechtsverstöße in mongolischen Gefängnissen
Bild: © Ranmali Bandarage/IPS

Ulan Bator, 30. November (IPS) - In den Gefängnissen der Mongolei, die außerhalb des Blickfelds der Öffentlichkeit liegen, werden die Grenzen der Demokratie deutlich sichtbar. In dem zentralasiatischen Staat mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern tragen die gesellschaftlich marginalisierten Menschen die Hauptlast des korrupten und unterfinanzierten Justizsystems.

"Die Mongolei ist seit 22 Jahren ein demokratisches Land", sagt die Aktivistin Geleg Baasan, die das Zentrum für den Schutz gegen Menschenrechtsverstöße (CPBHR) leitet. Baasan spielt damit auf die Entwicklung des Landes an, das 1921 bis 1990 fast sieben Jahrzehnte lang ein Satellitenstaat des Sowjetreiches gewesen war. Der Wandel habe bisher aber noch die Gefängnisse erreicht, kritisiert sie.

Baasan wurde wegen ihres Menschenrechtsengagements bislang fünfmal festgenommen und kennt die Zustände hinter Gittern damit aus eigener Erfahrung. Wie sie betont, ist die Gefahr groß, dass die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, die in den zahlreichen Untersuchungsgefängnissen auf ihr Verfahren warteten, in der Versenkung verschwänden.

Die prominente Aktivistin begann sich näher für die Missstände hinter Gittern zu interessieren, als vor vier Jahren ein Kind eine siebenjährige Haftstrafe erhielt, weil es eine Flasche Wein und eine Packung Schokolade gestohlen hatte. "Menschen, die ein schlimmes Verbrechen begangen haben, können sich freikaufen, während andere wegen einer Bagatellstraftat eingesperrt werden, weil sie keine Beziehungen haben."

Obgleich nach mongolischem Recht niemand ohne ein ordentliches Verfahren inhaftiert werden darf, stellte die US-Botschaft in Ulan Bator in ihrem Menschenrechtsbericht 2011 fest, dass "willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen" an der Tagesordnung sind.


Inhaftierungen ohne gerichtliche Anordnung

Die Botschaft berief sich auf einen Report der Vereinten Nationen, dem zufolge zwei Drittel der Häftlinge in der Hauptstadt Ulan Bator ohne gerichtliche Anordnung festgenommen wurden. Andere Personengruppen stünden dagegen offensichtlich über den Gesetzen.

Wie aus dem Bericht der USA-Botschaft hervorgeht, genießen Mitglieder ultranationalistischer Gruppierungen Straffreiheit, weil die Polizei nicht bereit ist, gegen sie vorzugehen. Die Ultranationalisten stellen für sexuelle Minderheiten eine ernste Bedrohung dar. Auch attackieren sie Chinesen und Koreaner, von denen sie Schutzgeld erpressen.

Laut Otgonbaatar Tsedendemberel, der das Zentrum für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) leitet, sind genaue Daten zur Zahl der LGBT, die gewaltsame Übergriffe mit dem Leben bezahlten, nur schwer zu ermitteln. Nicht nur die Behörden, sondern auch die Familien der Opfer versuchten, die Todesfälle zu vertuschen.

Tsedendemberels Organisation dokumentiert Fälle von Inhaftierungen von LGBT sowie weitere Übergriffe gegen sie. Die Gruppe stützt sich auf das Menschenrechtsrahmenwerk der Vereinten Nationen zur sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität.

Baasan zufolge ist es gängige Praxis, dass die Polizei, die Gerichte und die Gefängnisverwaltungen Totenscheine fälschen. "Ein Mord kann als Selbstmord dargestellt werden, so etwas passiert die ganze Zeit", kritisiert sie.

2002 hatte 'Amnesty International' in einem Report Einzelheiten zu grauenvollen Übergriffen in mongolischen Gefängnissen genannt. Häftlinge wurden demnach gefoltert und/oder verhungerten. "Diejenigen, die keine Beziehungen haben, verhungern, weil sie nicht genügend Nahrungsmittel erhalten wie andere und auch nicht so schnell freikommen", berichtet Baasan.


Geständnisse durch Nahrungsentzug erzwungen

Die Zurückhaltung von Nahrung wird auch als Druckmittel eingesetzt, um Gefangene, die auf Verfahren warten, zu falschen 'Geständnissen' zu zwingen. Diese Praxis hat nach Angaben von Aktivisten in den vergangenen Jahren jedoch abgenommen. Dass Häftlinge nicht genug zu essen erhalten, hängt nicht zuletzt mit der chronischen Unterfinanzierung der Gefängnisse zusammen.

Menschenrechtsaktivisten haben die mongolische Regierung wegen dieser Missstände scharf kritisiert. 2003 hatte ein Zusammenschluss von Organisationen und Aktivisten bereits gefordert, dass Sozialarbeiter und Sonderbeauftragte Zugang zu den Gefangenen erhalten sollten.

Die Regierung erklärte daraufhin 70 Mitarbeiter der Gefängnisverwaltung zu 'Sozialarbeitern', obwohl sie lediglich eine 30-stündige Fortbildung erhalten hatten. Nach Ansicht von Cyril Jaurena von der tschechischen Organisation 'Caritas' hat dieses Training überhaupt nichts bewirkt.

Im vergangenen Jahr wandte sich einer dieser 'Sozialarbeiter', Orosoo Purevsuren von der Behörde für die Kontrolle der Umsetzung von Gerichtsbeschlüssen (CDEA), an Caritas, um eine angemessene Ausbildung zu bekommen. Seit 2003 hatte er sich vergeblich bemüht, den rechtlichen und emotionalen Bedürfnissen der Häftlinge nachzukommen. Für rund 5.900 Gefangene in 24 Haftanstalten stünden nur 78 Sozialarbeiter und 26 Psychologen bereit, kritisiert er. "Das wollen wir ändern."


Gefangene weitgehend ohne Ansprechpartner

Nach Angaben von Jaurena kann es bis zu sechs Monaten dauern, bis ein Gefangener einen Sozialarbeiter zu Gesicht bekommt, der oftmals keine Antwort auf seine Fragen habe. "Einige sagen 'Ich möchte meine Kinder sehen' oder 'Meine Frau will mein Haus verkaufen - was soll ich tun?'", sagt Jaurena. Die meisten Sozialarbeiter könnten in diesen Fällen nicht helfen.

Um die Lage zu verbessern, ist der Aktivist eine Partnerschaft mit der Staatsanwaltschaft eingegangen, die es bisher jedoch nicht vermocht hat, die Beschwerden der Häftlinge umfassend aufzunehmen. Zu der Behörde dringen bisher vor allem Klagen über das schlechte Essen hinter Gittern vor. Anschuldigungen gegen Angehörige des Gefängnispersonals, die Häftlinge schikanieren, kamen bislang kaum zu Gehör.

Mit Hilfe der Informationen von Nichtregierungsorganisationen und anderen unabhängigen Akteuren bereitet sich die Staatsanwaltschaft Jaurena zufolge jetzt darauf vor, nach international gültigen Kriterien eine umfassende Untersuchung durchzuführen und die Ergebnisse auf einer Konferenz vorzustellen.

Caritas wird die Aufsicht über dieses Projekt führen. Auch die australische Organisation 'Prison Fellowship Mongolia' beteiligt sich. Baasan ist zuversichtlich, dass der Wahlsieg der Demokratischen Partei Ende Juni einen demokratischen Wandel im Land herbeiführen wird. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://mongolia.usembassy.gov/hrr_2011.html
http://www2.ohchr.org/english/bodies/cat/docs/ngos/LGBT_Mongolia45.pdf
http://www.hrw.org/news/2011/06/17/historic-decision-united-nations
http://www.pfi.org/national-ministries/asia/mongolia
http://www.ipsnews.net/2012/11/justice-lost-in-mongolias-prisons/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2012