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INTERNATIONAL/159: Indien - Selbstmorde vor allem unter Männern nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2013

Indien: Selbstmorde nehmen zu - Finanzielle Sorgen und soziale Isolation treiben vor allem Männer in den Tod

von K.S. Harikrishnan


Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Freiwillige Helfer machen die Öffentlichkeit auf Selbstmorde aufmerksam
Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Thiruvananthapuram, 7. November (IPS) - Sarath war Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens im südindischen Bundesstaat Kerala gewesen, als er sich auf dem Firmengelände erhängte. Der 29-Jährige habe unter Depressionen gelitten, sagen diejenigen, die ihn gut kannten. Offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, ein Bankdarlehen zurückzuzahlen.

Sein Schicksal ist kein Einzelfall. Offizielle Zahlen belegen, dass immer mehr junge Inder Selbstmord begehen. Laut der Behörde für nationale Verbrechensstatistiken (NCRB), die dem Innenministerium angegliedert ist, nahmen sich im vergangenen Jahr 135.445 Menschen auf dem Subkontinent das Leben: 79.773 Männer und 40.715 Frauen. Welchem Geschlecht die übrigen Selbstmörder angehörten, ist nicht bekannt, da der ostindische Staat West-Bengalen keine entsprechenden Angaben macht.

Die NCRB führt die Selbstmorde bei Männern auf sozio-ökonomische Gründe zurück. Frauen entschieden sich dagegen eher aus persönlichen Motiven zu einem solchen Schritt. Nach dem Zensus von 2011 sind von den 1,2 Milliarden Indern 586 Millionen Frauen.

Selbstmorde unter Bauern sind das am schlechtesten gehütete Geheimnis des Subkontinents. Nach Erkenntnissen der NCRB trieben im letzten Jahr eine Dürre, die steigenden Düngemittelkosten und eine zunehmende Verschuldung fast 14.000 Farmer in den Freitod.

"Die Männer sind in den Familien noch immer die Hauptverdiener. Wenn sie in eine Krise geraten, sehen sie oft keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen", erläutert die Sozialforscherin Sreelekha Nair aus Thiruvananthapuram, der Hauptstadt von Kerala.

Jose Puthenveed, Psychotherapeut am Beratungszentrum St. Joseph in Kollam, 72 Kilometer nördlich von Thiruvananthapuram, ist der Meinung, dass es sich Frauen zweimal überlegen, bevor sie einen solchen Schritt tun.

Den NCRB-Erkenntnissen zufolge sind viele Selbstmörder im Alter zwischen 15 und 29 Jahren. Junge Menschen machten im vergangenen Jahr 34,6 Prozent der Opfer aus. "Liebesbeziehungen, Prüfungsversagen, sexueller Missbrauch, Spott, Erniedrigung und familiäre Konflikte belasten sensible junge Menschen und treiben sie in den Selbstmord", erklärt der Psychologe Dr. Jayapradeep.

Der Wissenschaftler A.R. Suseel vom Theologischen Seminar der Universität Kerala, der sich mit Selbstmordpräventionsmaßnahmen befasst, hat beobachtet, dass Probleme heutzutage seltener mit Verwandten und Freunden besprochen werden. "Der Mangel an sozialem, emotionalem und psychologischem Rückhalt führt dazu, dass sich der Gemütszustand von mental fragilen Menschen verschlimmert."

Wie die NCRB weiter herausfand, nahmen sich im letzten Jahr 25,6 Prozent der Selbstmörder aufgrund innerfamiliärer Probleme das Leben. Mehr als 71 Prozent der männlichen und 67,9 Prozent der weiblichen Selbstmörder waren verheiratet. "Die Menschen sind heute stärker auf sich selbst fixiert", betont Schwester Celine von Beratungszentrum St. Joseph. "Ihnen erscheinen Kleinigkeiten oft als große Probleme, die sie verzweifeln lassen."


Familien zersplittert

Pater Abraham Scaria vom Beratungszentrum Marthoma in Thiruvananthapuram führt die zunehmende Zahl von Selbstmorden auch darauf zurück, dass sich die Familien immer stärker aufsplittern. "Das soziale Miteinander nimmt ab, wenn die Angehörigen getrennt voneinander leben. Daraus resultiert ein Gefühl der Isolation und Hilflosigkeit. An dem Punkt denken viele Menschen, dass der Selbstmord dem Leben vorzuziehen sei."

Präventionsstrategien auf Gemeindeebene seien wirksamer als globale Maßnahmen gegen Selbstmorde, erklären Rajeev Radhakrishnan von der medizinischen Fakultät der Yale-Universität in den USA und Chittaranjan Andarade vom Nationalen Institut für Mentale Gesundheit und Neurowissenschaften (NIMHANS) im indischen Bangalore in ihrer Studie 'Suicide: An Indian Perspective', die 2012 in der Fachzeitschrift 'Indian Journal of Psychiatry' veröffentlicht wurde.

Laut Suseel ist die Suizidgefahr in den Dörfern Keralas besonders groß. Mit statistisch gesehen 24,3 Selbstmorden pro 100.000 Menschen weist der Bundesstaat nach Sikkim und Tamil Nadu die dritthöchste Suizidrate in Indien auf. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3554961/
http://www.ipsnews.net/2013/10/too-many-indians-find-its-better-to-die/

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IPS-Tagesdienst vom 7. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2013