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LEISTUNGEN/544: "Zehn Jahre Grundsicherung für Arbeitsuchende" - Reform mit Reformbedarf (idw)


Universität Duisburg-Essen - 05.01.2015

UDE-Forscher zu "Zehn Jahre Grundsicherung für Arbeitsuchende": Reform mit Reformbedarf



Vor zehn Jahren trat Hartz IV - das "Vierte Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" - in Kraft. Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland sollte damit effizienter, die Vermittlung in Arbeit schneller werden. Die vielgepriesene große Sozialreform müsste heute allerdings dringend selbst reformiert werden. Denn Fehler bei der Umsetzung, soziale Härten für die Betroffenen und Fehlallokationen auf dem Arbeitsmarkt sind Teil der Folgen. Einen "kritischen Rückblick auf Hartz IV" hält der Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE).

Das "Deutsche Jobwunder" der letzten Jahre ist laut Knuth weniger den Hartz-Reformen als vielmehr dem demografisch bedingten Rückgang an Erwerbstätigen, der Verteilung der Arbeit auf mehr Köpfe und rekordmäßigen Exportüberschüssen zu verdanken. Gleichzeitig wirken aber starke psychologische Effekte auf den Arbeitsmarkt: Aus Angst vor dem Abstieg in Hartz VI müssen Arbeitslose fast jeden - auch schlechteren - Job annehmen. Die Vermittlung wurde so zwar beschleunigt, aber der Wechsel des Arbeitsplatzes behindert: Das Risiko erscheint zu groß. Das paradoxe Ergebnis: "Eine Reform mit dem Ziel der Aktivierung und Flexibilisierung hat die Fluktuation am Arbeitsmarkt insgesamt verringert - und das trotz der Klagen über angeblichen Fachkräftemangel", kritisiert Knuth.

Die Arbeitsmarktdynamik wird auch gebremst durch die gesunkenen Einstiegslöhne, die einen Jobwechsel unattraktiv machen, und durch prekäre Beschäftigungsformen, wenn Stellenangebote nur befristet oder als Leiharbeit zur Verfügung stehen. Dass die "Grundsicherung für Arbeitsuchende" (Hartz IV) so niedrig ist, dass sich die Betroffenen viele Dinge des täglichen Bedarfs nicht leisten können, wirkt nach Einschätzung von Knuth auch keineswegs als "Arbeitsanreiz". Langzeitarbeitslosigkeit sei bei vielen auf andere Hemmnisse zurückzuführen, und die soziale Ausgrenzung und Isolierung bei längerfristigem SGB II-Bezug machten es eher noch unwahrscheinlicher, eine Arbeit aufzunehmen.

"Fördern und Fordern" war das Motto der Reformen, aber die Mittel für die Förderung von Arbeitslosen sind weitaus stärker gekürzt worden als die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, kritisiert Knuth. "Aktivierend" wirkt das neue Regime der Arbeitsmarktpolitik auf die besser qualifizierten, gesunden und nur kurzzeitig Arbeitslosen. Diejenigen, die übrig bleiben, benötigten eigentlich mehr Förderung, eine "Arbeitsmarktpolitik der Befähigung" - diese fehlt. Weil Jobvermittlung Vorrang hat, fiel ihr Weiterbildung weitgehend zum Opfer; insbesondere solche bis zu einem Berufsabschluss führen ein Schattendasein. "Diese Logik passt nicht in eine Situation, in der über Fachkräftemangel geklagt wird und in der fehlende berufliche Qualifikation zu den wichtigsten Faktoren gehört, weshalb die Arbeitslosigkeit nicht weiter abnimmt", so Knuth.

Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern hat das SGB II widersprüchliche Auswirkungen. Während viele gesellschaftliche Regelungen weiterhin das traditionelle "Familienernährer-Modell" begünstigen, haben Frauen und Männer im Falle der Bedürftigkeit die gleiche Verpflichtung, einen Beitrag zum Haushaltseinkommen zu leisten. Wenn aber der Mann mehr verdienen und damit mehr staatliche Leistungen einsparen kann, wird er vorrangig vermittelt. Auch Frauen mit Kindern werden in der Praxis nur unterdurchschnittlich gefördert.

Nicht nur durch Arbeitslosigkeit, auch wegen der Zahl der Kinder oder weil bezahlbarer Wohnraum fehlt, entsteht Unterstützungsbedarf im System der "Grundsicherung für Arbeitsuchende". Durch den Ausbau von Wohn und Kindergeldleistungen könnte der stigmatisierende "Hartz IV"-Leistungsbezug vermieden werden, schlägt Prof. Knuth vor. Insgesamt sollten die Schnittstellen zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf die derzeit immerhin 6 Millionen Menschen angewiesen sind, und anderen Sozialleistungssystemen überprüft und optimiert werden.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Duisburg-Essen, Katrin Koster, 05.01.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2015


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