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RENTE/562: Zu jung für die Rente - zu alt für den Job? (spw)


spw - Ausgabe 2/2011 - Heft 183
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Zu jung für die Rente - zu alt für den Job?(1)

Von Markus Holler, Ernst Kistler und Falko Trischler


Mit einer Reihe von Reformmaßnahmen hat die Politik in der Vergangenheit die Weichen in Richtung einer Erhöhung des faktischen Renteneintrittsalters gestellt (Abschaffung von Sonderaltersgrenzen für Frauen etc., Verschärfung des Rechts der Erwerbsminderungsrenten, Abschaffung der BA-Förderung bei der Altersteilzeit usw.). Die Rente mit 67 stellt die Weiterführung dieser Politik dar. Gleichzeitig wurde der Arbeitsangebotszwang durch Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Gesetze) erhöht.

Zwar haben die Reformmaßnahmen - neben z. B. demografischen Effekten - durchaus zu einer Erhöhung der Beschäftigung Älterer beigetragen, bei näherem Hinsehen erweisen sich die Erfolge aber als sehr bescheiden. Vielmehr zeigt sich seit Jahren ein erheblicher Anteil an problematischen Altersübergängen. Dies gilt insbesondere wenn man den Fokus auf rentennahe Jahrgänge und auf die Art/Qualität der Beschäftigung Älterer legt. Viele Beschäftigte erleben zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt eine lange Phase in Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung oder Nichterwerbstätigkeit (mit Konsequenzen auch für ihre Renten).

Dieses Geschehen ist hochgradig gruppenspezifisch. Neben der Qualifikation spielt dabei der Gesundheitszustand eine wichtige Rolle. Es gibt einen erheblichen Anteil an Arbeitnehmer/-innen, die noch zu jung für die Altersrente, noch zu gesund für eine Erwerbsminderungsrente, aber zu kaputt oder - angesichts der faktisch ungebrochenen Altersdiskriminierung durch die Betriebe - schon zu alt für den Job sind (vgl. den Beitrag von Welti). Es ist klar, dass es dabei neben den Dachdeckern um viele weitere Berufsgruppen geht (Alten-/Krankenpflege, andere Bauberufe, Teile der Metall- und Verkehrsberufe, Erzieher/-innen usw.).

Wer lange in solchen physisch und/oder psychisch belastenden Berufen arbeitet, hat ein höheres Risiko einer frühzeitig zu geringen Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und eines prekären Altersübergangs. Hinzu kommt im Übrigen, dass sich die zunehmende atypische Beschäftigung und Phasen der Arbeitslosigkeit in den Erwerbsbiografien niederschlagen und mehr Sackgassen denn Sprungbretter sind (vgl. Trischler, Kistler 2010; Holler, Trischler 2010). Außerdem ist beobachtbar, dass die verschiedenen Risikofaktoren für ein (gesundes) Arbeiten bis zur Rente kumulieren: Geringere Qualifikation, hohe Arbeitsbelastungen, geringe Einkommen und atypische Beschäftigung treten oft zusammen auf bzw. folgen in den Erwerbsbiografien aufeinander.

Gleichzeitig verdichten sich die Hinweise, dass der säkulare Trend einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Zeitalter von Arbeitsverdichtung und Shareholder-Value unter die Räder gekommen ist. Beispielsweise hat laut IAB-Betriebspanel der Anteil der Betriebe abgenommen, die Maßnahmen zur Förderung der Älteren praktizieren.(2) Ebenfalls erfüllt laut Befragungsdaten nur eine Minderheit der Betriebe die Vorschrift, Gefährdungsanalysen durchzuführen usw. Die Bundesregierung selbst schreibt über die Entwicklung der Arbeitsbedingungen: "Die körperlichen Anforderungen haben sich seit Mitte der 80er Jahre kaum verändert ... Eine deutliche Zunahme findet sich dagegen bei den psychischen Anforderungen" (Deutscher Bundestag 2010, S. 77). Im Bestandsprüfungsbericht zur Rente mit 67 fehlen dann aber häufig die kritischen Einsichten und die Regierung sieht einen "Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt" (BMAS 2010).


1. Arbeitsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit

Schon lange ist bekannt, dass sich insbesondere in Folge hoher Arbeitsbelastungen die Arbeitsfähigkeit im Alter deutlich reduzieren kann (vgl. Griew 1966). Trotz mancher Fortschritte im Bereich des Arbeitsschutzes sind davon Beschäftigte in einigen Berufsgruppen besonders betroffen. Dies zeigt sich beispielsweise an den berufsspezifischen Anteilen vorzeitiger Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. BMFSFJ 2005). Dahinter stehen gesundheitliche Einschränkungen, welche für sich genommen oder ggf. auch im Zusammenspiel mit Problemen am Arbeitsmarkt die weitere Ausübung einer Tätigkeit verunmöglichen. Von beiden Problemlagen sind insbesondere Berufe betroffen in denen hohe körperliche Belastungen auftreten (vgl. Schubert et al. 2006).

Allgemein gilt: Sind sie erst einmal arbeitslos, haben insbesondere ältere Personen schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt (vgl. Frosch 2007; Bäcker et al. 2010). Betriebe geben jüngeren Bewerber/innen nach wie vor den Vorzug (vgl. Bäcker et al. 2009; Brussig 2009). Jedoch gibt es zwischen Personen gleichen Alters deutliche Unterschiede in der Gesundheit und Leistungsfähigkeit. D.h. altern ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit schwindender Arbeitsfähigkeit. Arbeitsfähigkeit ist nicht nur durch das kalendarische Alter bestimmt, sondern durch Verhältnis- und Verhaltensprävention beeinflussbar.

Arbeits(bewältigungs)fähigkeit kann dabei nach Ilmarinen und Tempel (2003, S. 88) definiert werden als das "Potenzial eines Menschen [...] eine gegebene Aufgabe zu einem gegebenen Zeitpunkt zu bewältigen." Dabei müsse "die Entwicklung der individuellen funktionellen Kapazität ins Verhältnis gesetzt werden zur Arbeitsanforderung. Beide Größen können sich verändern und müssen ggf. alters- und alternsadäquat gestaltet werden". Arbeitsfähigkeit ist dabei als Unterkategorie der Beschäftigungsfähigkeit zu sehen, welche die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und Beschäftigungs- und Einstellungsbereitschaft der Betriebe bezeichnet (vgl. Kistler 2008). Arbeitsfähigkeit umfasst dabei die Aspekte der Motivation, Kompetenz und Gesundheit. Beispielsweise wird die Motivation der Arbeitnehmer/innen in hohem Maße von Führung, Betriebsklima und Arbeitsorganisation mitbestimmt. Auch die Kompetenz hängt von Weiterbildungsmöglichkeiten und einer lernförderlichen Arbeitsumgebung ab - ein Zusammenhang, der außerdem mit zunehmendem Alter bzw. mit größer werdendem Abstand zur Berufsausbildung enger wird. Einer der wichtigsten Aspekte hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit im Alter ist die Gesundheit der Beschäftigten, die einerseits für die Ausführung einer Tätigkeit erforderlich ist und die gleichzeitig von der ausgeübten Tätigkeit beeinflusst wird.


2. Arbeitsfähigkeit und Gesundheit in unterschiedlichen Berufsgruppen

Die Betrachtung von Arbeitsfähigkeit und Renteneintritt nach Berufsgruppen ist ein in der Breite bisher (noch) zu wenig erforschtes Gebiet. Einerseits gibt es deutliche Hinweise auf Zusammenhänge zwischen ausgeübter Tätigkeit, Arbeitsbelastungen und Arbeitsfähigkeit. Auf der anderen Seite ist dies mit den zur Verfügung stehenden Daten flächendeckend nur begrenzt darstellbar. Dies liegt einerseits an der - für diese Fragestellung - häufig ungünstigen Zusammenfassung sehr heterogener Beschäftigtengruppen in einzelnen Berufsgruppen. Auf der anderen Seite ist die Darstellung differenzierter Ergebnisse aufgrund der dafür erforderlichen hohen Fallzahl in den meisten Befragungs-Datensätzen nicht abbildbar. Prozess-Datensätze, wie beispielsweise von der Deutschen Rentenversicherung, enthalten zwar Angaben zu Berufen, die aber in großen Teilen unter dem Problem fehlender und teilweise auch ungenauer Angaben leiden. Daher beschränken sich die meisten Arbeiten entweder auf Fallstudien einzelner Berufsgruppen oder greifen auf für die politische Praxis eher ungeeignete, weil zu grobe Zusammenfassungen zurück.

Im Folgenden soll ein Mittelweg beschritten werden, indem einzelne Aspekte der Arbeitsfähigkeit und Gesundheit in sechs ausgewählten Berufsgruppen betrachtet werden. Tabelle 1 zeigt deren Anteil an allen Beschäftigten sowie den jeweiligen Anteil älterer Beschäftigter zwischen 55 und 64 Jahren. In Büroberufen und bei IngenieurInnen ist der Anteil Älterer höher als in anderen Berufsgruppen. Interessant sind in diesem Zusammenhang vor allem die sogenannten berufsspezifischen Verbleibsquoten. Diese Zahl gibt das Verhältnis der 60- bis 64-Jährigen im Jahr 2008 zur Zahl der 55- bis 59-Jährigen im Jahr 2003 an. Dabei muss es sich nicht um die gleichen Personen handeln, dennoch ist dies ein erster Hinweis darauf, in welchen Berufsgruppen ein Verbleib eher möglich ist. Während bei Ingenieurberufen die Verbleibsquoten bei 53 Prozent liegen, sind es bei Bau- und Baunebenberufen nur 39 Prozent. Ein Hinweis darauf, dass hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit im Alter durchaus berufsspezifische Unterschiede zu beobachten sind.

Daten aus der Erhebung zum DGB-Index Gute Arbeit zeigen, dass die subjektive Einschätzung der Arbeitsfähigkeit bis zur Rente in den einzelnen Berufsgruppen sehr unterschiedlich ausfällt. Während in den Ingenieurberufen nur 20 Prozent nicht an ein Arbeiten bis zur Rente glauben, sind es in den Bau- und Baunebenberufen rund drei Viertel. Auch in Berufen des Nachrichtenverkehrs glauben immerhin zwei Drittel nicht an ein Arbeiten bis zur Rente.

Diese subjektive Einschätzung der Beschäftigten hat sich als guter Indikator für die zukünftige Arbeitsfähigkeit erwiesen, da nachweislich eine hohe Übereinstimmung mit dem berufsspezifischen Anteil an Erwerbsminderungsrenten besteht. Entsprechend ist bei Ingenieur- und Büroberufen ein vergleichsweise niedriger Anteil an Erwerbsminderungsrenten zu beobachten (8 bzw. 16 %), während bei Bau- und Baunebenberufen im Jahr 2009 rund 40 Prozent aller Zugänge von Versichertenrenten solche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit waren.

Diese Ergebnisse korrespondieren auch mit gesundheitlichen Beschwerden, die laut den Angaben der Befragten während oder unmittelbar nach der Arbeit auftreten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass zum einen nicht jedes Symptom als krankheitswertig zu interpretieren ist, so z.B. seltene Kopfschmerzen. Im Folgenden beziehen sich Beschwerden daher immer auf Symptome, die mindestens 3x pro Woche auftreten. Zum anderen kann bei einer Betrachtung nach Berufsgruppen den verschiedenen Arbeitsbedingungen dadurch Rechnung getragen werden, dass z. B. psychovegetative Beschwerden (PVB) und Beschwerden des Muskel-Skelett Systems (MSB) unterschieden werden.(3) Weiterhin ist von einem "healthy-worker" Effekt auszugehen: Die am schwersten von gesundheitlichen Beschwerden Betroffenen scheiden aus der Erwerbstätigkeit aus und sind somit nicht in den Ergebnissen enthalten. Gerade die gesundheitliche Belastung von besonders betroffenen Berufsgruppen wird daher meist noch unterschätzt. Darstellung 2 verdeutlicht(4), dass die getrennte Betrachtung von Muskel-Skelett Beschwerden und psychovegetativen Beschwerden zu anderen Ergebnissen führt, als die gleichzeitige Betrachtung aller gesundheitlichen Beschwerden.(5)

Da MSB vor allem mit körperlich schwerer Arbeit zusammenhängen, treten sie in Blechkonstruktions- und Installationsberufen sowie in Bau- und Baunebenberufen häufiger auf. Am wenigsten sind sie von den betrachteten Berufsgruppen unter Ingenieuren und Ingenieurinnen verbreitet, die gleichzeitig auch von der geringsten Anzahl an PVB berichten. Am stärksten sind Berufe des Nachrichtenverkehrs von PVB betroffen. Auch insgesamt berichtet diese Berufsgruppe von den meisten Beschwerden. Obwohl auf Basis der obigen Analysen die Bau- und Baunebenberufe als eine stark belastete Berufsgruppe mit einer geringen Verbleibsquote beschrieben werden müssen, berichten sie insgesamt von unterdurchschnittlich vielen Beschwerden. Über einen "healthy worker" Effekt hinaus ist dies im Zusammenhang mit der Beschäftigungsfähigkeit zu sehen, die in Bau- und Baunebenberufen stärker von der körperlichen Fitness abhängt als in vielen anderen Berufen. Auch Umschulungen auf weniger belastende Tätigkeiten sind in derartigen Berufen nur schwer möglich - und sie führen häufiger zu Verschlechterungen als zu Verbesserungen (vgl. Trischler, Kistler 2010). Der Einfluss von MSB auf die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit dürfte in diesen Fällen durchschlagender sein, als die höhere Anzahl von PVB in manchen anderen Berufen.


3. Arbeiten bis zur Rente - berufsspezifische Unterschiede

Während die bisherigen Daten die Situation der Beschäftigten vor dem Erwerbsaustritt beleuchtet haben, werden im Ad-hoc-Modul des Mikrozensus 2006 Beschäftigte, die bereits vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, nach den Gründen für diesen vorzeitigen Ausstieg gefragt. Aufgrund der recht geringen Fallzahlen im Ad-Hoc-Modul können jedoch nicht für alle ausgewählten Berufsgruppen Aussagen getroffen werden.(6) Daher werden hier nur einige exemplarische Befunde dargelegt. Beschäftigte in den Bau- und Baunebenberufen geben zu 36 Prozent an, aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden zu sein. Weitere 14 Prozent berichten vom Verlust des Arbeitsplatzes, nur 5 Prozent nennen günstige finanzielle Regelungen. Ganz anders bei den IngenieurInnen: Hier geben nur rund 10 Prozent aller Befragten gesundheitliche Gründe an. 19 Prozent nennen dagegen günstige finanzielle Regelungen als wichtigsten Grund - weit mehr als in den anderen Gruppen.

Ein sehr ähnliches Ergebnis zeigt sich auch bei einer Frage aus dem regulären Fragenprogramm des Mikrozensus: Gesundheitliche Gründe werden bei Bau- und Baunebenberufen, Blechkonstruktions-, Installationsberufen sowie Berufen des Nachrichtenverkehrs überdurchschnittlich häufig als Grund für den Ruhestand genannt: Rund drei von zehn Beschäftigten mit vorzeitigem Erwerbsausstieg geben dies als wichtigsten Grund an. Bei Büroberufen bzw. kaufmännischen Angestellten und bei Ingenieuren und Ingenieurinnen ist der Anteil an Beschäftigten mit vorzeitigem Ausstieg aus gesundheitlichen Gründen nur etwa halb so hoch und liegt unter dem Durchschnitt.

Fragt man die Beschäftigten, was dazu beigetragen hätte, später in den Ruhestand einzutreten, fällen die Beschäftigten ebenfalls ein recht klares Urteil: Wichtiger als flexible Arbeitszeiten oder bessere Weiterbildungsmöglichkeiten wären "bessere sicherheitstechnische und die Gesundheit weniger belastende Arbeitsbedingungen", insbesondere bei den körperlich schwer belasteten Bau- und Baunebenberufen. Dagegen schätzen Ingenieure und Ingenieurinnen sowie in Büroberufen Tätige flexiblere Arbeitszeiten als etwas bedeutsamer ein. Insgesamt betrachtet spielen flexible Arbeitszeiten und bessere Weiterbildungsmöglichkeiten aber eine eher untergeordnete Rolle.


Fünf Schlussfolgerungen

An dieser Stelle kann nicht dargestellt werden, was alles an Maßnahmen möglich und dringend nötig wäre um - gerade für die Problemgruppen - ein längeres Arbeiten zu ermöglichen und prekäre Altersübergänge zu minimieren. Dazu nur einige entscheidende Schlussfolgerungen: Sinnvoller als jede Reparaturmaßnahme ist erstens auch hier die Prävention, d. h. alternsgerechtes Arbeiten - Gute Arbeit - über die gesamte Erwerbsbiografie. Zweitens genügt es nicht, mit dem guten Willen der Betriebe zu rechnen, dass sich entsprechende Investitionen für sie selbst langfristig auszahlen - in Zeiten immer kurzfristigeren Profitstrebens ist dies kein gutes Fundament.

Drittens muss die Diskussion um dieses Thema ehrlicher geführt werden. Der Bestandsprüfungsbericht z. B. vernachlässigt der Bundesregierung sehr wohl bekannte Belege für bestehende Probleme. Man darf ehrlicherweise nicht anhand von Durchschnittswerten über die gesundheitliche Situation von noch beschäftigten Älteren argumentieren, wenn man gleichzeitig weiß, dass unter den älteren Arbeitslosen (die zur Hälfte die Langzeitarbeitslosen stellen), ein Drittel vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen hat (vgl. Darstellung 4). Da der Zugang zu Erwerbsminderungsrenten in Deutschland sehr restriktiv ist, wiegen solche Fakten doppelt schwer.

Viertens ist darauf hinzuweisen, dass Vorschläge in Richtung von Schwellenwerten (wie mit einer Beschäftigungsquote von mindestens 50 Prozent bei den Älteren als Voraussetzung des Scharfschaltens der Rente mit 67) ebenso wie die Einführung der Rente für besonders langjährig Versicherte das Problem der besonderes belasteten Gruppen nicht lösen - diese werden bei den 50 Prozent sv-pflichtig Beschäftigten ebenso selten dabei sein wie bei denjenigen, die auf die 45 Beitragsjahre kommen um abschlagsfrei mit 65 Jahren in Rente gehen zu können.

Fünftens ist es dringend notwendig die Forschungsanstrengungen über die Zusammenhänge von Arbeitsbedingungen und Arbeitsfähigkeit (spezifisch auch über die Ausgestaltung von speziellen Altersgrenzen für Versicherte mit langjähriger Beschäftigung in besonders belastenden Berufen) Ernst zu nehmen. Auch wenn diese Debatte erhebliche Probleme mit sich bringen wird, kann sie nicht einfach mit dem Argument verhindert werden, das sowohl berufsspezifische Analysen als auch berufsspezifische (Sonder-)Regelungen nicht möglich seien. Es geht auch in anderen Ländern und es geht für verschiedene Gruppen im öffentlichen Dienst (z. T. dort auch völlig zu recht).


TABELLE 1: Anteil Älterer 2008 und Verbleibsquoten 2003 bis 2008


44 bis 51; 18: Bau- und Baunebenberufe        
73: Berufe des Nachrichtenverkehrs            
26: Blechkonstruktions- und Installationsberufe
85: Gesundheitsberufe (nicht approbiert)      
78: Büroberufe, kaufmänn. Angestellte         
60: Ingenieure, Ingenieurinnen                
Insgesamt


A      
121275
21195
29277
159092
582452
88026
3391904


B   
10,0
10,6
9,8
8,9
13,6
12,9
12,4


C   
38,7
42,8
42,6
45,5
46,3
53,4
46,2

A: Zahl der Beschäftigten
B: Anteil 55- bis 64Jähriger
C: Verbleibsquoten der 55- bis 59-Jährigen

Quelle:
INIFES, eigene Berechnungen nach Daten der Bundesagentur für Arbeit


TABELLE 2: Hauptgrund für den Eintritt in den Ruhestand/Vorruhestand
ehemalig Erwerbstätiger im Alter von 50 bis 69 Jahren
(ausgewählte Antwortkategorien(7), Angaben in Prozent)



Insgesamt 44 bis 51; 18: Bau- und Baunebenberufe           
78: Büroberufe, kaufmänn. Angestellte            
85: Gesundheitsberufe                            
60: Ingenieure, Ingenieurinnen                   


A   
21,2
35,5
18,9
14,6
9,8


B   
10,8
13,6
8,5
5,8
12,8


C   
11,0
4,7
9,7
10,2
19,0

A: Eigene Krankheit/Behinderung B: Arbeitsplatzverlust C: Günstige finanzielle Regelung bei Einstellung der Tätigkeit

Quelle: INIFES, eigene Berechnung aus dem Mikrozensus (SUF, Ad-hoc Modul) 2006


[Überschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken ("Darstellungen") der Originalpublikation:


Darstellung 1:
Anteil derjenigen, die nicht daran glauben bis zur Rente arbeiten zu können und Anteil an Erwerbsminderungsrenten in ausgewählten Berufsgruppen (Angaben in Prozent)

Darstellung 2:
Durchschnittliche Anzahl der gesundheitlichen Beschwerden sowie der jeweiligen psychovegetativen und Muskel-Skelett Beschwerden nach Berufsgruppen

Darstellung 3:

Darstellung 4:
Anteil der Arbeitslosen mit vermittlungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen am Arbeitslosenbestand im Jahresdurchschnitt 2009 (Angaben in Prozent)

Den Originalartikel mit 2 Tabellen und 4 Graphiken finden Sie im Internet unter:
http://www.spw.de/data/spw_183_holler_kistler_trischler.pdf]


Markus Holler (M.A.) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES).

Prof. Dr. Ernst Kistler ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg.

Falko Trischler (M.A.) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES).



ANMERKUNGEN:

(1) Die Ergebnisse entstammen der Arbeit an einem laufenden, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt "Gute Erwerbsbiographien".

(2) Berücksichtigt wurden nur Betriebe die überhaupt ab 50-Jährige beschäftigen.


(3) Die Einteilung beruht auf eigenen Berechnungen (Hauptkomponentenanalyse) mit der Erhebung zum DGB-Index 2009 sowie auf den Ergebnissen aus weiteren Datenquellen (vgl. Wirtz 2010).

(4) Andere Datengrundlagen bestätigen diese Befunde (vgl. Holler, Trischler 2010).

(5) Aufgrund der ungleichen Anzahl der abgefragten Beschwerden reicht die Anzahl der MSB von 0 bis 4, die der PVB von 0 bis 9. Neben MSB und PVB sind in der durchschnittlichen Anzahl aller Beschwerden auch die Symptome Husten/ Atemprobleme, Augenbeschwerden und Hörverschlechterung/ Ohrgeräusche enthalten, die sich nicht zu MSB oder PVB zuordnen lassen (vgl. Wirtz 2010). Daher addiert sich die Anzahl von MSB und PVB nicht zu allen Beschwerden auf.

(6) In allen hier dargestellten Berufsgruppen liegt eine Fallzahl N>50 vor.

(7) Nicht dargestellt wurden die Kategorien Betreuungspflichten, Probleme am Arbeitsplatz, Sonstiges sowie Erreichen der Regelaltersrente. Der letztgenannte Grund wäre für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zwar interessant, wurde aber auch von Personen genannt, die in einem Alter unter 65 Jahren in Ruhestand getreten sind (vorgezogene Altersgrenzen nach altem Recht).


LITERATUR:

- Bäcker, G.; Kistler, E.; Ebert, A.; Trischler, F. (2009):
Rente mit 67 - die Voraussetzungen stimmen nicht! Erster Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente. Berlin

- Bäcker, G.; Kistler, E.; Trischler, F. (2010):
Rente mit 67. Zu wenig Arbeitsplätze und zu wenig gute Arbeit für ein Arbeiten bis 67. Vierter Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente. Berlin.

- BMFSFJ (Hrsg.; 2005):
Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Sachverständigenkommission. Berlin.

- Brussig, M. (2009):
Neueinstellung von Älteren: Keine Ausnahme, aber auch noch keine Normalität. Altersübergangsreport 01/2009.

- Frosch, K. (2007):
Einfluss soziodemographischer Faktoren und der Erwerbsbiographie auf die Reintegration von Arbeitssuchenden: Schlechte Chancen ab Alter 50? Rostock Center Discussion Paper No. 11.

- Griew, S. (1966):
Anpassung der Arbeitsanforderungen. Anwendung der biologischen Erkenntnisse über das Altern bei der Planung und Ausstattung des Arbeitsplatzes sowie bei der Organisation der Arbeit. Frankfurt a. M.

- Haustein, L.; Moll, T. (2007):
Die quantitative Entwicklung der Erwerbsminderungsrenten. Eine vergleichende Betrachtung der Jahre 2000 bis 2006. In: RV-aktuell 10/2007, S. 345 ff.

- Holler, M.; Trischler, F. (2010):
Arbeitspapier 3: Einflussfaktoren auf die Arbeitsfähigkeit. Stadtbergen.

- Ilmarinen, J.; Tempel, J. (2003):
Erhaltung, Förderung und Entwicklung der Arbeitsfähigkeit - Konzepte und Forschungsergebnisse aus Finnland. In: Badura, B. et al. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2002. Berlin. S. 85ff

- Kistler, E. (2008):
Alternsgerechte Erwerbsarbeit. Ein Überblick über den Stand von Wissenschaft und Praxis. Düsseldorf.

- Schubert, M.; Behrens, J.; Höhne, A.; Schaepe, C.; Zimmermann, M. (2006):
Erwerbsminderungsrenten wegen verschlossenem Arbeitsmarkt - der Arbeitsmarkt als Frühberentungsgrund. In: DRV-Schriften 55/2006. S. 237ff.

- Trischler, F.; Kistler, E. (2010):
Arbeitspapier 2: Arbeitsbedingungen und Erwerbsverlauf. Stadtbergen.

- Wirtz, A. K. (2010):
Lange Arbeitszeiten. Untersuchungen zu den gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen langer Arbeitszeiten. Diss. Universität Oldenburg.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2011, Heft 183, Seite 25-32
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2011