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MELDUNG/067: Millionen Staatenlose im rechtlichen Niemandsland - UNHCR fordert Reformen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2011

UN: Millionen Staatenlose im rechtlichen Niemandsland - UNHCR fordert Reformen

von Elizabeth Whitman


New York, 30. August (IPS) - Weltweit gibt es mindestens zwölf Millionen Staatenlose. Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat nun eine Kampagne gestartet, um den prekären Status dieser Menschen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

Staatenlose Gemeinschaften und Individuen "brauchen unbedingt Hilfe, denn sie befinden sich in einem albtraumartigen rechtlichen Schwebezustand", sagte der UNHCR-Chef António Guterres. In einigen Ländern verhindern Gesetze, dass Staatenlose dort die Staatsbürgerschaft beantragen können. Sie dürfen nicht wählen und werden von keiner Stelle rechtlich vertreten. Staatenlose haben zudem meist keinen Zugang zu Bildung und finden keine Arbeit. Sie können weder heiraten noch ein Bankkonto eröffnen. Auch ein sozialer Schutz, etwa durch eine Krankenversicherung, ist in der Regel nicht gegeben.


Konventionen bisher von wenigen Ländern unterstützt

1954 wurde die erste internationale Konvention über den Status von Staatenlosen geschlossen. Sieben Jahre später einigte sich die Weltgemeinschaft in einer Übereinkunft zur Verminderung der Staatenlosigkeit auf Grundsätze und einen rechtlichen Rahmen, um Lücken in den nationalen Gesetzen zu schließen. Bislang haben allerdings erst 66 Länder die Konvention von 1954 unterzeichnet, und lediglich 38 sind dem Abkommen von 1961 beigetreten.

Über das Ausmaß der Staatenlosigkeit herrscht Unklarheit. UNHCR geht von etwa zwölf Millionen Betroffenen aus, räumt aber zugleich ein, dass es an genauen Zahlen mangele. Anderen Schätzungen zufolge könnten weltweit bis zu 15 Millionen Menschen betroffen sein.

Ein Individuum kann seine Staatsangehörigkeit auf unterschiedlichen Wegen verlieren, etwa wenn ein Land auf einmal nicht mehr existiert. Dies war beispielsweise der Fall, als die Sowjetunion und mehrere ihrer Republiken Anfang der neunziger Jahre zerbrachen. Andere Menschen werden aufgrund ethnischer oder geschlechtsspezifischer Diskriminierung staatenlos. In weiteren Fällen wurde versäumt, Kinder nach der Geburt registrieren zu lassen.

Je nach Land kann der Weg zur Einbürgerung entweder teuer oder kompliziert sein. Russen, die in Kasachstan lebten, konnten etwa nach dem Untergang der Sowjetunion keine kasachischen Pässe beantragen. Sofern sie nicht eine bestimmte Zeit in Russland verbracht hatten, war ihnen auch dorthin der legale Weg versperrt.

"Diese Probleme sind nur auf dem administrativen oder dem gesetzgeberischen Weg zu lösen", sagte Vincent Cochetel, ein hochrangiger UNHCR-Beamter. Vor allem in Ländern, in denen ethnische Gemeinschaften diskriminiert würden, trügen die Gesetze dazu bei, dass die Einbürgerung eines Teils der Bevölkerung systematisch erschwert werde, erklärte er im Gespräch mit IPS.

In wenigen Ländern gelten Gesetze, die eine Einbürgerung Staatenloser vorsehen. "Diese Frage wird in vielen Staaten völlig übersehen", stellte Cochetel fest. In anderen Ländern werde die Verantwortung für Staatenlose innerhalb der eigenen Grenzen auf andere Nationen abgewälzt. Auf internationaler Ebene habe das Thema kaum Zugkraft.


Kritische Lage in Südostasien, Osteuropa und Nahost

Die allgemeine Annahme, Staatenlosigkeit sei ein Phänomen der Vergangenheit, verhindert nach Ansicht von Cochetel rechtliche Fortschritte. Das UNHCR will daher die Staatengemeinschaft davon überzeugen, dass das Problem dringend gelöst werden muss. Die betroffenen Menschen müssen zudem praktische Hilfe bei der Beantragung von Papieren erhalten.

Laut Cochetel gehören viele Staatenlose gesellschaftlichen Randgruppen an und verfügen nur über geringe Bildung, wodurch sie in ihrer Existenz gefährdet sind. Besonders kritisch ist die Lage nach Erkenntnissen von UNHCR in Südostasien, Zentralasien, Osteuropa, dem Nahen Osten und mehreren afrikanischen Ländern. In Marokko, Algerien, Ägypten, den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Kirgisistan und Kenia sind zwar neue Gesetze vorhanden. Sie wurden aber noch nicht vollständig umgesetzt. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/home
http://www2.ohchr.org/english/law/stateless.htm
http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/english/conventions/6_1_1961.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104914

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2011