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MELDUNG/078: Haiti - Umstrittener Einsatz, Blauhelm-Kontingent wird nur verkleinert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2011

Haiti: Umstrittener Einsatz - Blauhelm-Kontingent wird nur verkleinert

von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 18. Oktober (IPS) - Der UN-Sicherheitsrat will die Zahl der Blauhelme in Haiti verringern, nachdem die Mission in dem Karibikstaat für mindestens ein weiteres Jahr verlängert worden ist. Doch der Ruf nach einem vollständigen Abzug der Soldaten wird immer lauter.

Trotz heftiger Proteste gegen die UN-Stabilisierungsmission MINUSTAH votierte der Sicherheitsrat ohne Gegenstimme für die Verlängerung der Mission über den 15. Juni 2012 hinaus. Die künftigen Veränderungen bei der Zusammensetzung von MINUSTAH müssten mit der allgemeinen Sicherheitslage in Einklang gebracht werden, hieß es zur Begründung. Dabei sollen auch die Stärkung der haitianischen Polizei, die Wahrung der Menschenrechte und die Stabilisierung der politischen Situation im Land berücksichtigt werden.

Die UN-Resolution 2012 sieht vor, dass sich die MINUSTAH aus 7.340 Militärangehörigen aller Ränge und 3.241 Polizisten zusammensetzt. Dies entspricht den Vorstellungen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der in seinem Bericht die Verkleinerung der Mission um 2.750 Mann empfohlen hatte. Damit haben die Truppen wieder die gleiche Stärke wie vor dem schweren Erdbeben im Januar 2010.

Ban begründete seinen Vorstoß damit, dass sich die Sicherheitslage in Haiti verbessert habe, auch wenn sie weiterhin "fragil" sei. Die Gewalt in dem karibischen Inselstaat nimmt weiter zu. Die UN-Mission, der Soldaten aus etwa 20 Ländern angehören, ist seit dem Sturz des einstigen Staatschefs Jean-Bertrand Aristide und dem Ausbruch von Unruhen 2004 in Haiti stationiert.

Der brasilianische Verteidigungsminister Celso Amorim hält es an der Zeit, ein Signal zu setzen, dass MINUSTAH nicht "ewig" am Ort bleiben wird. Die Brasilianer stellen mit 2.185 Soldaten das größte Blauhelm-Kontingent in Haiti. "Wir können aber auch nicht in unverantwortlicher Weise das Land verlassen", meinte der Minister.


Lage in Haiti verschlechtert

Das Mandat für die Mission, die Zivilisten schützen und eine sichere Rückkehr zur Demokratie garantieren soll, war im vergangenen Jahr nach dem Erdbeben ratifiziert worden. Bei der Naturkatastrophe kamen etwa 300.000 Menschen ums Leben. Die wirtschaftliche und soziale Lage in dem ohnehin schon ärmsten Land der Region hat sich seitdem weiter verschlechtert.

Nach dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres erschien es vielen notwendig, dass MINUSTAH weiter in Haiti bleibt, um die staatlichen Institutionen zu stärken und die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren.

"Die Mission geringfügig zu verkleinern macht für den Durchschnittsbürger in Haiti keinen Unterschied", meinte Brian Concannon, der in Boston das 'Institute for Justice and Democracy in Haiti' leitet, im Gespräch mit IPS. Wichtig sei vielmehr eine deutliche Aufstockung der Entwicklungshilfe und der Ausbau der Infrastruktur. Der stellvertretende Sprecher der US-Delegation bei den Vereinten Nationen, Payton Knopf, bekräftigte hingegen, dass die eigentliche Aufgabe der Blauhelme der Friedenserhalt und nicht Entwicklung sei.

In der Bevölkerung zeigt sich ein wachsender Widerstand gegen die UN-Soldaten, nachdem Fälle von Machtmissbrauch bekannt geworden sind. Einheimische machten die Blauhelme außerdem für eine Cholera-Epidemie verantwortlich, die bei rund 6.000 Menschen zum Tod führte. Der Zorn nahm nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen uruguayische Blauhelme weiter zu.

Der uruguayische Abgeordnete Gustavo Rombis von der regierenden Linkskoalition Breite Front erklärte dazu, dass die Verkleinerung der MINUSTAH keine Konsequenz aus den Sex-Vorwürfen sei. Der Abzug von Soldaten sei bereits vorher beschlossene Sache gewesen, sagte der Politiker, der dem Verteidigungsausschuss des Parlaments angehört.

Die zwölf Staaten der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) stellen mit 5.300 Mann etwa 40 Prozent der Mitglieder der UN-Mission. Nach Brasilien ist Uruguay mit 1.200 Blauhelmen das am stärksten vertretene Land.


Nahrungsmittel statt Soldaten

Nach den Anschuldigungen gegen die Soldaten forderten in Uruguay Politiker und Intellektuelle, darunter auch der bekannte Schriftsteller Eduardo Galeano, den vollständigen Abzug der Mission aus Haiti. "Besatzungstruppen handeln immer gegen die Interessen des Landes, das sie besetzen", erklärte der ehemalige Abgeordnete Guillermo Chifflet, einer der Gründer der Breiten Front. "Haiti benötigt Nahrungsmittel und Ärzte, keine Waffen, die den Hunger nicht bekämpfen können."

Dem Diplomaten Marcos Azambuja vom Brasilianischen Zentrum für Internationale Beziehungen zufolge "muss jede Mission irgendwann enden und kann definitionsgemäß nicht ewig andauern". Im Interview mit IPS erklärte er, dass sein Land an dem Wiederherstellung des Friedens mitgearbeitet und neue Erfahrungen gewonnen habe. "Nun ist es aber an der Zeit, unsere Präsenz zu ersetzen, da die Mission erfüllt ist." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minustah/
http://www.un.org/Docs/sc/
http://www.pptunasur.com/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99369

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2011