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ORGANISATION/556: UN - Keine Chance für Reformen, enttäuschende Bilanz zum 70. Jubiläum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Juni 2015

UN: Keine Chance für Reformen - Enttäuschende Bilanz zum 70. Jubiläum

von James A. Paul (*)


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des 'Global Policy Forum'

James A. Paul
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des 'Global Policy Forum'

NEW YORK (IPS) - Die Begeisterung, mit der die Weltöffentlichkeit auf die Gründung der Vereinten Nationen 1945 reagierte, ist heute kaum noch nachvollziehbar. Nach dem ungeheuren Leid und dem sozialen Zusammenbruch infolge des Zweiten Weltkriegs erschienen die UN fast wie ein Wunder, als Weg, um endlich Frieden, Demokratie und eine gerechte Gesellschaft auf globaler Ebene zu schaffen.

Sieben Jahrzehnte später zeigt sich, dass die Ergebnisse hinter den großen Hoffnungen und Erwartungen zurückgeblieben sind. In diesem besonderen Jahr können wir uns fragen, was möglich gewesen wäre und was noch möglich ist in dieser Institution, die über die Jahre so viele positive und negative Emotionen freigesetzt hat.

Natürlich war die Organisation nicht von den USA und ihren Verbündeten gegründet worden, um Wünsche von Utopisten zu erfüllen. Obwohl die Charta von 1945 "uns Völker" anruft, gaben die Siegermächte den UN nach dem Krieg die Struktur eines Konklaves von Nationalstaaten, das den Willen seiner Mitglieder zum Ausdruck bringen sollte, vor allem der reichsten und einflussreichsten Länder.

Auch wenn Staatsmänner ihre noblen Absichten darlegten, haben es die mächtigsten UN-Mitglieder niemals in Betracht gezogen, die Waffen niederzulegen oder ihren Wohlstand in einer Welt voller Ungleichheit zu teilen. Stattdessen beschäftigten sie sich mit den 'Great Games' des Tages und brachten etwa Erdölvorkommen und andere Ressourcen unter ihre Kontrolle, dominierten Klientelstaaten und brachten feindlich gesinnte Regierungen zu Fall.

Im Laufe der Zeit haben die Vereinten Nationen nichtsdestotrotz bei Intellektuellen, unabhängigen Organisationen, Menschenrechtsaktivisten und sogar bei manchen Regierungen immer wieder Hoffnungen auf Reformen geweckt, unter anderem mit Ideen zur Verbesserung des globalen Systems und des Wohlergehens der Menschen der Welt.

Im Vorfeld des 50. Jubiläums im Jahr 1995 wurden in Berichten, bei Konferenzen und in Büchern institutionelle UN-Reformen angeregt, in manchen Fällen unter aktiver Mitwirkung der Bürger. Vorgeschlagen wurden unter anderem eine Kammer mit direkt gewählten Vertretern, eine gestärkte Vollversammlung und ein repräsentativerer Sicherheitsrat ohne Vetorecht. Einige Denker wünschten sich eine Institution, die "unabhängig" von der großen Machtpolitik sein sollte. Doch selbst Reformideen, die auf moderate Veränderungen abzielten, konnten nicht umgesetzt werden.


'Status Quo' der Mächtigen wird nicht angetastet

Regierungen jeder Couleur denken zu kurzfristig und haben eine engstirnige, überkommende Vorstellung von ihren "nationalen Interessen" in einem internationalen Umfeld. Sie zeigen bemerkenswert wenig Kreativität und Weitsicht. Überdies achten sie darauf, den 'Status Quo' der Mächtigen nicht zu gefährden.

Jetzt, wo die Vereinten Nationen 70 Jahre alt werden, sind die Reformer erschöpft und frustriert. Das institutionelle Prestige der UN und die Unterstützung der Öffentlichkeit haben einen Tiefpunkt erreicht. Deshalb darf es nicht verwundern, dass es derzeit nur wenige Vorschläge und Initiativen mit Bezug zu der Organisation gibt.

Dabei steht die Welt vor nie da gewesenen Problemen, die von den UN angegangen werden müssen: Armut, große Ungleichheit, Bürgerkriege, Massenmigration, wirtschaftliche Instabilität und der fortschreitende Klimawandel. UN-Generalsekretäre haben regelmäßig Gremien eingesetzt, in denen angesehene Experten diese Bedrohungen untersuchten. Die Mitgliedsstaaten waren jedoch nicht bereit, wirksame Lösungen zu finden.

Der größte Teil des Geldes und der Energien der UN ist in den vergangenen Jahren in den Bereich der Friedenssicherung geleitet worden. In der Regel handelt es sich dabei um Militärinterventionen, die von den USA und ihren Alliierten 'ausgesourct' werden. Die Organisation, die eigentlich dazu da ist, Kriege zu beenden, ist inzwischen ein großer Akteur auf den Schlachtfeldern der Welt geworden. So unterhält sie riesige Logistikstützpunkte in Süditalien, ein militärisches Kommunikationssystem, Vertragsbeziehungen zu Söldnern, einen Geheimdienst, Drohnen, Panzerfahrzeuge und andere Ausrüstungsgegenstände einer bewaffneten Macht. Die finanzielle Ausstattung und der Status der Abteilung für Abrüstung sind hingegen erheblich gesunken.


Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die reichsten und mächtigsten Staaten machen gern die kleineren und ärmeren Länder für die Reformblockade bei den Vereinten Nationen verantwortlich. In Wirklichkeit sind jedoch die Großmächte, allen voran die USA, die größten 'Blockierer'. Sie stellen sich vehement dagegen, dass die UN erstarken - außer wenn es um Militäreinsätze geht. Die Blockadehaltung der Großmächte zeigt sich besonders deutlich in der globalen Wirtschaftspolitik, unter anderem bei Vorschlägen zur Stärkung des Wirtschafts- und Sozialrates. Dieselben Mächte halten das UN-Umweltprogramm klein und verhindern Fortschritte bei den von den UN finanzierten Klimagesprächen.

Die armen Länder beklagen sich, ohne sich allerdings selbst mit Reformen hervorzutun. Ihre Entscheidungsträger bedienen sich einer inhaltsleeren, populistischen Rhetorik und verlangen Hilfsgelder, während sie sich persönlich zu bereichern versuchen. Wir sind weit entfernt von einem richtungsweisenden 'neuen Marshall-Plan' oder einer globalen Kampagne für soziale Gerechtigkeit, wie sie zu Recht von Reformern angemahnt werden. Wohlmeinende Nichtregierungsorganisationen wiederholen die Ideen in aller Regelmäßigkeit im angenehmen Ambiente von Konferenzen, ohne damit etwas zu erreichen.

Die Vereinten Nationen sind zusammen mit ihren Mitgliedsstaaten schwächer geworden. IWF, Weltbank und die globale Finanzlobby treiben seit 30 Jahren neoliberale Reformen voran, unterminieren nationale Steuersysteme und schmälern die Rolle öffentlicher Institutionen, die mit Wirtschafts- und Sozialfragen befasst sind. Regierungen haben Banken, Fluggesellschaften und Industrieunternehmen privatisiert, ebenso Schulen, Straßen, Postdienste, Gefängnisse und die Gesundheitsversorgung.

Die weitreichenden neuen Ungleichheiten haben die politische Korruption, Lobbyismus und Wahlbetrug befördert, selbst in den ältesten Demokratien. Loyalität, Respekt und Hoffnungen sind in den Nationalstaaten geschwunden. Parteien der traditionellen Mitte verlieren Wähler, und die Öffentlichkeit begegnet den Regierungsinstitutionen, einschließlich den UN, auf allen Ebenen mit Misstrauen.

Wenn Staaten ihre Haushalte kürzen, beschneiden sie auch das ohnehin schon schmale UN-Budget. Zur Verbesserung der Lage der Vereinten Nationen wären Geld, Selbstbewusstsein und Weitsicht notwendig. Die Mitgliedsstaaten sind jedoch zu schwach, politisch instabil, ängstlich und finanziell zu wenig abgesichert, um eine solche Aufgabe zu übernehmen.

Die Staaten greifen auf konservative soziale, ökonomische und politische Strategien zurück, und die UN folgen ihnen und büßen damit ihre Anhängerschaft ein. Kürzungen bei den UN-Budgets bringen die Machtbalance innerhalb der Weltorganisation ins Wanken und stärken die reichsten Staaten und wohlhabendsten Akteure außerhalb des UN-Systems.

Angesichts des dringenden Handlungsbedarfs und der spärlichen Ressourcen sind die Vereinten Nationen immer häufiger mit dem Bettelstab unterwegs und sammeln gemeinnützige Spenden, mit denen sie inzwischen fast die Hälfte ihrer Ausgaben bestreiten. Diese Finanzmittel, die zu dem regulären Budget hinzukommen, ermöglichen es den Gebern, Projekte abzustecken und Prioritäten zu setzen. Das eigentliche Ziel - eine gemeinsame politische Betätigung der UN-Mitgliedsstaaten - ist praktisch in Vergessenheit geraten. (Ende/IPS/ck/26.06.2015)


(*) James A. Paul war 19 Jahre lang Exekutivdirektor des unabhängigen Thinktanks 'Global Policy Forum', der sich kritisch mit der Politik der Vereinten Nationen auseinandersetzt.


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/the-u-n-at-70-united-nations-disappoints-on-its-seventieth-anniversary-part-one/

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IPS-Tagesdienst vom 26. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2015

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