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RESOLUTION/019: Böses Erwachen in der "Wiege" der Resolution 1325 (OWEN)


OWEN - Oktober 2010

Böses Erwachen in der 'Wiege' der Resolution 1325

Von Julio Godoy


Die Friedensabkommen von 1996, die Guatemala nach 36 Jahren Bürgerkrieg, 200.000 Toten, 45.000 Verschwundenen und über einer Million Auslandsflüchtlingen das Ende des bewaffneten Konflikts brachten, waren ein großes Versprechen. Damals einigten sich Regierung und URNG-Rebellen auf eine Steuerreform und ein ländliches Entwicklungsprogramm zur Bekämpfung der Armut - vor allem der Maya-Ureinwohner, die die meisten Opfer des 'schmutzigen Krieges' zu beklagen hatten. Doch was das Vertragswerk so außergewöhnlich machte: Erstmals in der Geschichte des zentralamerikanischen Landes wurde Frauen das Recht auf politische Partizipation und auf besonderen Schutz vor Gewalt, Marginalisierung und Armut zugestanden.

Dass es dazu kommen konnte, ist das Verdienst von Luz Méndez, der einzigen Frau, die an dem guatemaltekischen Friedensprozess teilnahm. Als Mitglied der Delegation der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) war sie direkt an den Friedensgesprächen beteiligt. Die UNRG, ein Zusammenschluss aus vier Guerillaverbänden, hatte im Konflikt gegen die Armee gekämpft, die nach Erkenntnissen der Wahrheitskommission für 80 Prozent der Fälle von Verschwindenlassen verantwortlich war.

Méndez gilt als Wegbereiterin der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates, die eine größere Repräsentanz der Frauen in allen entscheidungsrelevanten Ebenen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen für die Prävention, das Management und die Lösung von Konflikten anstrebt.


Hoffnungen enttäuscht

Doch Guatemala hat den Vorsprung nicht genutzt. Ganz im Gegenteil. Was die politische Mitsprache von Frauen angeht, ist die Bilanz des zentralamerikanischen Landes der letzten 14 Jahre niederschmetternd, und Guatemala hat sich einmal mehr als das Land der unerfüllten Erwartungen herausgestellt. Die Frauen wurden derartig ins politische Abseits gedrängt, dass Méndez von einer "Beleidigung für uns guatemaltekischen Frauen" spricht.

"Hinzu kommt, dass Guatemalas Frauen einer zunehmenden Gewalt zum Opfer fallen, die ihresgleichen sucht", so Méndez, die in Kürze ein Buch über den guatemaltekischen Friedensprozess und seine Auswirkungen auf die Frauen des zentralamerikanischen Landes vorstellen wird.

Allein im letzten Jahr wurden rund 900 Guatemaltekinnen ermordet und etwa 4.300 Zielscheibe von Sexualdelikten. Sie alle sind Opfer einer Entwicklung, die Guatemala an den Rand eines gescheiterten Staates gebracht hat. Straffreiheit, die Unfähigkeit des Staates, die elementarsten Funktionen auszuüben, eine wild wuchernde Korruption und Drogenhandel haben dem kleinen Land am Isthmus ihren Stempel aufgedrückt.

"Die Hoffnung, die uns Frauen bleibt, ist unsere Fähigkeit, uns zu organisieren, unsere Rechte einzufordern und für diese zu kämpfen", sagte Méndez im Interview zum 10. Jahrestag der Resolution 1325 am 31. Oktober 2010. "Wenn Verbesserungen stattfinden, dann nur durch den ständigen Einsatzes der guatemaltekischen Frauen, ihre derzeitige Situation zu überwinden."

Luz Méndez ist Vorsitzende des Beratungsgremiums und Koordinatorin des Programms zur Wiederherstellung von Frieden und zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen der Nationalen Union der Guatemaltekischen Frauen. Die Vereinigung setzt sich dafür ein, dass Frauen in politische Führungspositionen gelangen, gleichberechtigt politisch partizipieren und an Friedensgesprächen teilnehmen.

Von 2005 bis 2008 koordinierte sie das 'Women Agents for Change Consortium', das sich dafür einsetzte, die Opfer sexueller Gewalt im bewaffneten Konflikt Guatemalas zu stärken und einen psychosozialen Heilungsprozess in Gang zu setzen. Sie sprach auf der ersten Sitzung des UN-Sicherheitsrates mit den Frauenbewegungen, die in die Verabschiedung der Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mündete.

Méndez nahm zudem als Mitglied des UN-Frauenexpertenteam an dem Friedensprozess in Burundi teil. Aufgabe des Teams war es, Empfehlungen für die Aufnahme von Frauenrechten in den Friedensprozess zu unterbreiten. Es folgt ein Interview mit der national und global verdienten Frauenrechtlerin:


Frage: Sie waren die einzige Frau, die an den Friedensgesprächen von 1996 teilnahm, die dem 36-jährigen Bürgerkrieg im Dezember des gleichen Jahres ein Ende setzte. In diesen Verhandlungen sorgten Sie dafür, dass das Recht der Frauen auf politische Partizipation und ihr Schutz vor Gewalt in das Friedensabkommen aufgenommen wurden. Haben sich 14 Jahre nach den Abkommen die Erwartungen an den historischen Friedensprozess erfüllt?

Luz Méndez: Zunächst einmal möchte ich unterstreichen, dass dem guatemaltekischen Friedensabkommen eine Vorreiterrolle zukommt, was den Schutz und die Befähigung von Frauen und ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen und am politischen Prozess im Allgemeinen angeht.

Die UN-Vollversammlung hat die Resolution 1325 erst im Jahr 2000 angenommen. Die Resolution kommt also vier Jahre, nachdem das guatemaltekische Friedensabkommen eine solche Repräsentation und Partizipation als Teil des politischen Prozesses eingerichtet hatte. Ich nahm an den UN-Debatten für eine Ratifizierung der Resolution 1325 als Beobachterin und Akteurin des guatemaltekischen Prozesses teil.

Dennoch ist die Umsetzung des Friedensabkommens unbefriedigend. Der Zugang von Frauen zu öffentlichen Ämtern ist marginal. Derzeit ist die Situation sogar noch schlechter als vor der Unterzeichnung der Abkommen 1996. Derzeit sind nur zwölf Prozent aller Parlamentsmitglieder Frauen. 13 Prozent waren es vor Abschluss der Verträge. Keine einzige Frau nimmt in der Regierung eine führende Position ein. Dass Frauen aus dem politischen Prozess derartig ausgegrenzt wurden, ist eine Beleidigung für uns Guatemaltekinnen und völlig absurd, da wir heute beruflich besser qualifiziert sind als früher.

Hinzu kommt, dass Guatemalas Frauen Opfer einer Gewalt im Lande werden, die ihresgleichen sucht. Diese Gewalt nimmt unterschiedliche Formen an. Sie äußert sich in sexuellen Übergriffen bis hin zu den hunderten Morden, die wir in Guatemala als 'Femizide' bezeichnen.

Organisationstalent als Chance

Frage: Wenn die Situation so schlimm ist, was haben die Friedensabkommen von 1996 den guatemaltekischen Frauen überhaupt Gutes gebracht?

Méndez: In diesen 14 Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Implementierung der Abkommen ohne politischen Druck der Frauenorganisationen und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen gar nicht möglich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist der größte Fortschritt, was die Verteidigung und den Schutz der Rechte von Frauen betrifft, deren Organisation.

In diesen letzten 14 Jahren konnten wir Frauenorganisationen wie das Nationale Frauenforum und das Büro zum Schutz der indigenen Frau - eine Art Ombudsstelle für indigene Frauen - gründen. Wir sind nun in der Lage, Frauen rechtlichen Beistand zukommen zu lassen und sie zu ermutigen, für ihre Rechte einzutreten.

Frage: Wie erklären Sie sich den Umstand, dass die Lage der guatemaltekischen Frau heute schlechter ist als vor den Friedensabkommen vor 14 Jahren? Lassen sich die Gewalt gegen Frauen und politische Marginalisierung als Reaktionen der konservativen gesellschaftlichen Kräfte gegen die politische Militanz von Frauen betrachten?

Für Frauen die Hölle - Ausgrenzung durch Armut und Ungleichheit

Méndez: Die Gründe für die furchtbare Situation der guatemaltekischen Frau sind vielfältig und komplex. Guatemala ist schon immer eine patriarchalische Gesellschaft gewesen. Hinzu kommt, dass die im Land vorherrschende kapitalistische Wirtschaftstruktur die Bedingungen für extreme soziale und wirtschaftliche Ungleichheit schafft, die weite Teile der Gesellschaft ausgrenzt.

Millionen Guatemalteken leben in extremer Armut. Der Mangel an Möglichkeiten führt zu Verbrechen und Gewalt und einem Wiedererstarken des Patriarchats. Guatemala hat sich in den letzten Jahren zudem zu einem sicheren Hafen für Drogenhändler entwickelt, wodurch sich de traditionelle Gewalt und Kriminalität im Lande weiter verschärft. Frauen sind Opfer all dieser Faktoren - des Patriarchats und der Gewalt, die in wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit wurzelt, und des Drogenhandels.

Frage: Nehmen wir an, Ihre Analyse stimmt und berücksichtigen wir auch den Widerstand der herrschenden Wirtschaftselite gegen Reformen - gibt es überhaupt Gründe, die Sie veranlassen anzunehmen, dass die Friedensabkommen jemals umgesetzt und die Rechte von Frauen in naher Zukunft anerkannt und praktiziert werden?

Méndez: Die Hoffnung, die uns bleibt, ist die Fähigkeit von Frauen, sich zu organisieren, ihre Rechte einzufordern und für diese zu kämpfen. Wenn Verbesserungen stattfinden, dann als Folge des ständigen Einsatzes guatemaltekischer Frauen, ihre derzeitige Situation zu überwinden.

Das guatemaltekische Parlament hat im letzten Jahr ein Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellt. Es verlangt, dass Richter speziell geschult werden, um auf solche Verbrechen angemessen reagieren zu können. Dieses Gesetz symbolisiert den Bewusstseinswandel, dass Gewalt gegen Frauen strafrechtlich verfolgt und bestraft werden muss.

Symbolisches Gerichtsverfahren gegen Kriegsverbrechen

Die zunehmende Sensibilisierung motiviert uns Frauen. Im März 2010 beriefen wir, inspiriert durch das Kriegsverbrechertribunal für japanische 'Trostfrauen', ein symbolisches Gerichtsverfahren ein, in dem die Sexualverbrechen, die Angehörige der Armee während des bewaffneten Krieges vor allem an den Maya-Ureinwohnerinnen begangen hatten, zur Sprache kamen.

Die guatemaltekische Armee hat im Kampf gegen die Guerilla auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs Anfang der 80er Jahren sexuelle Gewalt und insbesondere Vergewaltigungen als Kriegswaffe eingesetzt. Unser 'Prozess' im März gab den Hunderten von Opfern unter den Maya- Frauen erstmals Gelegenheit, über das erfahrende Leid öffentlich zu reden, das sie erlitten haben.

Die Betroffenen verlangten zudem die Bestrafung ihrer Peiniger und Reparationszahlungen. Auch wenn solche Forderungen allein einen symbolischen Wert haben, zeigen sie doch, dass Frauen nicht länger bereit sind, die an ihnen verübten Verbrechen und die verbreitete Straffreiheit zu tolerieren, die das Justizsystem unseres Landes korrumpiert hat.

Umsetzung der Friedensverträge überfällig

Frage: Über welche Mittel verfügt die guatemaltekische Zivilgesellschaft, um den Staat zur Einhaltung der Friedensabkommen zu zwingen, insbesondere im Zusammenhang mit den Rechten von Frauen und der Resolution 1325?

Mendez: In Guatemala gibt es ein nationales Forum, das die Umsetzung der Friedensverträge kontrolliert. Es ist sehr wichtig, dass Regierung und Parlament einer Reform zustimmt, durch die dem Staat mehr Steuergelder zufließen, um die Armut zu bekämpfen. Wir brauchen zudem eine Agrarentwicklungsreform, durch die sich das Leben von Millionen Menschen in den ländlichen Gebieten verbessern lässt. Diese Reformen sind Teil der Friedensabkommen von 1996. Sie wurden bis heute nicht umgesetzt. Um Druck auf die Regierung auszuüben, ist eine Stärkung der sozialen Organisationen entscheidend.

Frage: Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um Guatemala zur Implementierung der Resolution 1325 und der Friedensabkommen zu bewegen?

Méndez: Entscheidend ist, dass sie Guatemala nicht vergessen. Über die politischen Rückschläge ist im Ausland wenig bekannt. Die internationale Presse sollt die Welt über das Geschehen in Guatemala und über die Situation der guatemaltekischen Frau im Besonderen informieren. Die internationale Gemeinschaft sollte die guatemaltekische Regierung dazu drängen, die Friedensverträge umzusetzen. Dies gilt besonders für die Steuerreform und das ländliche Entwicklungsprogramm. Sie sind der Schlüssel für eine Lösung der Probleme der sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit, den Ursachen für die Gewalt gegen Frauen. (Okt. 2010)


Julio Godoy ist ein guatemaltekischer Journalist, der viel über sein Land publiziert hat.
Deutsche Bearbeitung des Artikels/Interviews: Karina Böckmann/IPS Inter Press Service Deutschland [www.ipsnews.de]

Der Beitrag ist Teil eines Kooperationsprojekts der PeaceWomen Across the Globe (PWAG), des deutschen Frauensicherheitsrats, der OWEN-Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung und des Global Corporation Council, dem Träger von IPS Deutschland.


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Quelle:
OWEN - Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2010