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RESOLUTION/020: Clara Charf - Mit der UN-Resolution 1325 kam in Brasilien die Wende (OWEN)


OWEN - Oktober 2010

Mit der UN-Resolution 1325 kam die Wende -
Brasiliens Grande Dame der Friedenskultur erinnert sich

Von Alexandre Sammogini


Sie ist 85 und kein bisschen leiser. Dem Kampf für Frauen und Frieden hat sie einen großen Abschnitt ihres langen und bewegten Lebens gewidmet. Nun hofft Clara Charf, Präsidentin der brasilianischen Vereinigung der Frauen für Frieden ('Associação Mulheres pela Paz'), dass eine Frau in den Präsidentenpalast ihres Landes einzieht.

Charf zufolge erlebt Brasilien derzeit einen historischen Moment: Zum ersten Mal traten bei Präsidentschaftswahlen mit Dilma Roussef und Marina Silva gleich zwei Frauen an, die zusammen die Mehrheit aller Stimmen auf sich vereinigten. Für Charf ist die Aussicht auf das erste weibliche Staatsoberhaupt Brasiliens ein unerhörter Fortschritt für Brasilien - und die UN-Resolution 1325.

Am gleichen Tag, an dem Roussef den allgemeinen Erwartungen zufolge die Stichwahl gegen ihren männlichen Konkurrenten gewinnen wird, feiert die Resolution 1325 ihr zehnjähriges Bestehen. Die Resolution, die am 31. Okober 2000 einstimmig vom Sicherheitsrat angenommen wurde, ist eine der wichtigsten Errungenschaften der internationalen Sicherheitspolitik, die traditionell von Männern dominiert wird.

Die völkerrechtsverbindliche Resolution sieht vor, dass Frauen in allen nationalen, regionalen und internationalen Entscheidungsgremien und Mechanismen zur Vermeidung, Behandlung und Lösung von Konflikten stärker repräsentiert sein müssen. Zudem forderte der UN- Sicherheitsrat alle Parteien bewaffneter Konflikte auf, Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt und anderen Formen von Gewalt zu schützen. Seither bemühen sich unzählige zivilgesellschaftliche Initiativen und Frauenaktivisten für deren Umsetzung zu sorgen.

Auch die Grande Dame des brasililianischen Feminismus war bei diesem Unterfangen dabei. Die Witwe des Linksveteranen Carlos Marighela, einem der vielen Opfer der Militärdiktatur der 1970er Jahre, hatte ihren Kampfgeist bereits 1945 unter Beweis gestellt, als sie gegen die Teilnahme der brasilianischen Armee an der Schlussphase des Zweiten Weltkrieg protestierte. Ende der 50er Jahre war sie Gründungsmitglied der Frauenliga von Guanabara, der Meeresbucht vor Rio de Janeiro. Zu diesem Zeitpunkt steckte die feministische Bewegung des Landes noch in den Kinderschuhen.


Frontfrau der brasilianischen Frauenbewegung

Die Militärdiktatur zwang Charf ins kubanische Exil. Erst die Amnestie Ende der 1970er Jahre erlaubte ihr die Rückkehr. Später gehörte sie der Administration der ersten Bürgermeisterin von São Paulo, Luiza Erundina, von 1988 bis 1991 an. International bekannt wurde sie jedoch erst gut 15 Jahre später mit der Nominierung von 1.000 Friedensfrauen für den Friedensnobelpreis 2005. Diese Initiative konsolidierte die Ruf Charfs als eine der bedeutendsten Anführerinnen der brasilianischen Frauenbewegung.

"Sie ist eine der wenigen Menschen, die zum Anknüpfungspunkt für viele unterschiedliche Stömungen der brasilianischen Frauenbewegung wurden, das sie zahlreiche unterschiedliche Tendenzen des Feminismus also solche akzeptierte", sagte die Geschäftsführerin der Vereinigung der Frauen für Frieden, Vera Vieira.

2003 wurde Clara Charf von der Schweizer Nichtregierungsorganisation 'PeaceWomen Across the Globe' (PWAG) mit der Aufgabe betraut, brasilianische Kandidatinnen für die Gruppe von 1.000 Friedensfrauen auszuwählen, die für den Friedensnobelpreis 2005 nominiert wurden. Am Ende gehörten der Gruppe 52 Brasilianerinnen an.

Dass der renommierte Friedenspreis letztendlich an die Internationale Atomenergiebehörde ging, änderte nichts daran, dass ein riesiges Frauennetzwerk entstanden war, das in Brasilien und anderen Ländern weiter aufrecht erhalten wurde. Charf und eine Gruppe Gleichgesinnter weiteten ihre Aktionen immer mehr aus, mit dem Ziel, die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.


Schubkraft durch Resolution 1325

Den größten Motivationsschub verdanken die brasilianischen Aktivistinnen jedoch der Resolution 1325, die sie allerdings viel weiter auslegten. "Wir erkannten, dass wir den Kampf nicht auf Kriegssituationen beschränken sollten. Deshalb begannen wir damit, uns für die Werte der menschlichen Sicherheit und Gerechtigkeit einzusetzen", erläuterte Charf. Unmittelbar nach der Friedensnobelpreis-Initative tourte die Gruppe mit einer Ausstellung über die Geschichte der brasilianischen Friedensnobelpreisanwärterinnen durchs Land.

Damit war der Grundstein für die Gründung der Vereinigung der Frauen für Frieden gelegt. Den Vorsitz führt Clara Charf. "Obwohl sie 2005 schon 80 Jahre alt war, entwickelte die Friedensveteranin eine Dynamik, die ihresgleichen sucht. Sie reiste als Vertreterin ihres Frauennetzwerks durch Brasilien und ins Ausland", sagt Vera Vieira.

Anfang 2010 sah sich Clara Charf nach einem Oberschenkelhalsbruch gezwungen, ihre Aktivitäten zurückzufahren. Im August nahm sie aber bereits wieder an einem Seminar in São Paulo teil, das die Teilnehmerinnen der seit 2008 laufenden Kampagne 'Frauen für Frieden' zusammenbrachte. Im Rahmen der Kampagne 'adoptierten' mehrere Friedensfrauen jeweils drei junge Aktivistinnen, um in Workshops und Radiospots für den Frieden als ein Weg, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen' zu werben.

Die Gruppe um Mara Régia di Perna etwa ist in dem Gebiet 'Amazônia Legal' aktiv, das neun Bundesstaaten im Nordwesten umfasst. Ihre Spots laufen im Amazonas-Nationalradio und etlichen lokalen Sendern. Raimunda Gomes da Silva aus dem ostzentralen Bundesstaat Tocantins setzt sich mit ihrem Team für den Waldschutz und eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ein, die armen Familien ein Einkommen verschaffen soll. Die Kampagne läuft Ende des Jahres aus.


Neue Kampagne gegen häusliche Gewalt

Die Vereinigung der Frauen für Frieden arbeitet derzeit an einer neuen Kampagne, die das Problem der häuslichen Gewalt anpacken soll. "Zum ersten Mal werden wir Aktionen durchführen, an denen Frauen und Männer mitmachen werden, um innerfamiliäre Gewalt zu bekämpfen", so Vera Vieira. "In Brasilien wird alle 15 Minuten eine Frau geschlagen," fügt sie hinzu.

In vielen Ländern und auch auf UN-Ebene fällt die Implementierung der Resolution 1325 zum zehnten Jahrestag enttäuschend aus. Frauen wie Clara Charf und ihre Mitstreiterinnen zeigen immer wieder, wie die Resolution mit Leben erfüllt werden kann.

Es folgt ein Auszug aus einem kurzen Interview, in dem die langjährige Friedensveteranin die wichtigsten Stationen ihrer Friedensarbeit Revue passieren lässt.

Frage: Wofür steht der zehnte Jahrestag der UN-Resolution 1325?

Clara Charf: Resolution 1325 repräsentiert eine neue Phase in der Geschichte der Menschheit. Ich wurde geboren, da gab es die Vereinten Nationen noch nicht. Damals machten Begriffe wie 'Krieg und Frieden' die Runde.

Im Jahr 2000 ist etwas ganz Neues entstanden. Die Resolution 1325 hat den Kampf um den Frieden um neue Elemente bereichert. Der Kampf konnte verbreitert werden. Uns ist damals klar geworden, dass es nicht allein darum gehen konnte, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Der Kampf musste sich vielmehr gegen alle Formen der Gewalt und Ungleichheit richten. Es geht um ein umfangreicheres Konzept, um menschliche Sicherheit und Gerechtigkeit.

Frage: Welche Bedeutung hatte die Nominierung von 1.000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005?

Charf: Auch wenn wir in jenem Jahr den Friedensnobelpreis nicht gewonnen haben, so konnten wir in Brasilien und anderen Ländern ein starkes Netzwerk von Friedensfrauen aufbauen. Alle persönlichen Geschichten dieser Brasilianerinnen finden sich in Büchern wieder und wir konnten unsere Arbeit in Form einer Ausstellung in viele Teile der Welt tragen. Wir trugen dazu bei, die Entwicklung des weiblichen und menschlichen Bewusstseins aufzuzeigen. Jede einzelne Friedensfrau hat ihren Teil geleistet, um den Kampf für Frieden in den Alltag zu tragen. Und dies Bemühungn hat die Resolution 1325 gestärkt.

Frage: Wie gelingt es Ihnen, die unterschiedlichen Strömungen der Frauenbewegungen zu einem großen Ganzen zusammenzuführen?

Charf: Ich glaube, das hat mit meinem Hintergrund zu tun. Ich wurde 1945 politisch aktiv. Seit dem Zweiten Weltkrieg kämpfte ich gegen eine Partizipation Brasiliens in diesen Konflikt. Das ist ein sehr alter Kampf. Damals gab es in unserem Land noch keine Frauenbewegung und es war schwer für andere, mich zu verstehen. Man fragte mich beispielsweise, was ich mit den Menschen in Lateinamerika zu tun hätte. Heute ist es leichter, anderen Menschen das Prinzip der Solidarität zu erklären.

Frage: Wie bewerten Sie den bewaffneten Widerstand in der Zeit der Militärdiktatur?

Charf: In jenen Jahren war man für oder gegen das Regime. Einige Menschen versuchten, Bewusstsein zu schaffen, andere griffen - mit dem gleichen Ziel - zu den Waffen. Die Diktatur hat viele Menschen ermordet. Ich habe meinen Mann (Carlos Marighela) verloren. Ich musste ins Exil gehen, dem ich viele positive Erfahrungen verdanke. Ich ging nach Kuba, ich traf das kubanische Volk. Dann kam die Amnestie, und die Rückkehr der Demokratie. In jedem Augenblick konnten wir uns neu positionieren, um uns den Problemen unserer Zeit zu stellen.

Neue Möglichkeiten durch Präsidentin

Frage: Welche Bedeutung hat der Einzug einer Frau ins brasilianische Präsidialamt?

Charf: Es ist ein wichtiger historischer Moment. Ich hoffe wirklich, dass eine Frau zur Präsidentin unseres Landes gewählt werden wird. Das würde Frauen in unserem Land ganz neue Sphären erschließen. Es ist ein großer Sprung, auf den sich Brasilien seit der Re-Demokratisierung mit dem Engagement unserer Frauen in Bewegungen, Vereinigungen und Parteien vorbereitet hat.

Frage: Können Sie noch andere Beispiele nennen, die die Fortschritte der politischen Partizipation von Frauen in Brasilien verdeutlichen?

Charf: Die Nominierung von Frauen wie Marina Silva (eine von zwei Präsidentschaftskandidatinnen) und Luiza Erundina (ehemalige Bürgermeisterin von São Paulo) als zwei der 1.000 Friedensfrauen für den Friedensnobelpreis spielt dabei eine Rolle. Sie stehen für die Beteiligung von Fraen an politischen Entscheidungsprozessen. Erundina war die erste Bürgermeisterin einer großen Stadt nach der Diktatur. Marina stammt aus bescheidenen Verhältnissen, so wie Erundina auch, und steht für die Politisierung von Frauen in der Amazonasregion. Sie und viele andere sind wahre Soldatinnen des Friedens. (Okt. 2010)

Alexandre Sammogini ist Chefredakteur der internationalen Presseagentur 'Pressenza' [www.pressenza.com] mit Sitz in São Paulo.
Deutsche Bearbeitung des Portraits/Interviews: Karina Böckmann/IPS Inter Press Service Deutschland [www.ipsnews.de]

Der Beitrag ist Teil eines Kooperationsprojekts der PeaceWomen Across the Globe (PWAG), des deutschen Frauensicherheitsrats, der OWEN-Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung und des Global Corporation Council, dem Träger von IPS Deutschland.


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Quelle:
OWEN - Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2010