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AGRAR/1423: Keine Chancengleichheit bei der staatlichen Landvergabe in Ostdeutschland (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 331 - März 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Keine freie Fahrt für freie Bauern
Keine Chancengleichheit bei der staatlichen Landvergabe in Ostdeutschland - aktuelle Neuregelungen manifestieren diesen Zustand

Von Claudia Schievelbein


Es geht immer noch um viel Land - 400.000 ha - die die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) in Ostdeutschland noch zu verteilen hat, es geht aber auch um ein beispielloses Stück Geschichte, in dem in den vergangenen 20 Jahren nach dem Ende der DDR und nun erneut zukünftig bestimmte Agrarstrukturen gezielt gefördert werden. Mit dem jüngsten Übereinkommen, auf das sich Bund und ostdeutsche Bundesländer zur Fortführung der Privatisierung der landwirtschaftlichen Fläche durch die BVVG geeinigt haben, manifestieren sie nicht nur die bisherige Linie, sondern schaffen neuerliche Vorteile für eine bestimmte Gruppe von Betrieben. Die LPG-Nachfolgebetriebe sind zum allergrößten Teil diejenigen, die vor zwanzig Jahren jene Flächen bewirtschaftet haben, die in der Bodenreform nach dem 2. Weltkrieg durch die alliierten Siegermächte - auf dem Gebiet der DDR also durch die Sowjetunion - enteignet worden waren. Durch die Bodenreform betroffen waren in West- wie in Ostdeutschland vornehmlich die sogenannten Großgrundbesitzer, die über mehr als 100 Hektar verfügten. Während in den westlichen Besatzungszonen nur alles oberhalb dieser 100 Hektar enteignet und schon nach relativ kurzer Zeit wieder an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben wurde, wanderten in der sowjetisch besetzten Zone die kompletten Betriebsflächen in den neuen Pool der volkseigen Flächen und bildeten dort den Grundstock der späteren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und volkseigenen Betriebe. Nach dem Ende der DDR beschloss die Regierung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, diese Flächen nicht an die Alteigentümer zurückzugeben. Diese Haltung wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, dies räumte ihnen lediglich ein begrenztes Rückkaufsrecht ein. In der resultierenden Gesetzgebung führte die Bundesregierung dann nicht nur für Alteigentümer eine Privilegierung beim Landkauf ein, sondern auch für die jeweiligen aktuellen Bewirtschafter der entsprechenden Flächen. Dies stieß auf Widerstand in Brüssel, da die EU den freien Wettbewerb gefährdet sah. Sie forderte eine Gleichbehandlung aller aktuell auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe. Diese formale Gleichstellung wurde von der deutschen Politik bewusst dadurch unterlaufen, dass nur die Landpächter Anrecht auf einen privilegierten Kauf erhielten und durch mehrmalige Pachtverlängerung in dieser Bevorteilung blieben. Mit dieser Regelung hatten sich offenbar die alten Netzwerke der ehemaligen DDR-Landwirtschaftsfunktionäre durchgesetzt, die zum großen Teil nach der Wende nahtlos Posten in den neu entstandenen Landesbauernverbänden der Ostländer übernahmen. Ebenso einflussreich blieb ein Großteil der ehemaligen LPG-Leiter durch den Wechsel in die Geschäftsführung der entstandenen Agrargenossenschaften.


Vorteilhafte Sonderrolle

Den Politikern aller Couleur verkaufte man die großstrukturierten LPG-Nachfolgebetriebe als die auf Grund ihrer Rationalisierung mit den meisten Wettbewerbsvorteilen ausgestatteten und am effektivsten wirtschaftenden. Deshalb begehrte eigentlich niemand dagegen auf, dass durch die eingeführte Privilegierung der Pächter der Bodenreformflächen fast ausschließlich Agrargenossenschaften oder Großbetriebe anderer Rechtsformen geformt von Ex-LPG-Funktionären in eine vorteilhafte Sonderrolle gebracht wurden. Private Neu- oder Wiedereinrichter haben kaum Chancen, überhaupt an Flächen aus dem BVVG-Pool zu kommen, auch da lange nicht öffentlich ausgeschrieben wurde. Und wenn es dazu kam, so wurde gerade in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, dass die BVVG viel zu teuer verkaufe. Das ging so weit, dass aus wahltaktischen Erwägungen die SPD vor der letzten Bundestagswahl erwirkte, dass die Ausschreibungen ausgesetzt wurden, solange nicht erneut die Kriterien zur Privatisierung überarbeitet würden. Die Verpachtung und der Verkauf privilegierter Flächen blieben davon unberührt. Das heißt nichts anderes als dass Agrargenossenschaftler Udo Folgart im Steinmeier-Kompetenzteam kräftig Klientelpolitik machen wollte, um den ungestörten Verkauf für Agrargenossenschaften weiterzuführen, während Neu- und Wiedereinrichter nun überhaupt nicht mehr an BVVG-Flächen kamen. Diese Ungleichbehandlung wurde von den mit der Thematik befassten Politikern im Bundeslandwirtschafts- und Finanzministerium gesehen und in internen Papieren auch formuliert.


Agrarpolitisch problematisch

Ab Januar diesen Jahres darf die BVVG nun wieder Flächen ausschreiben, da sich inzwischen Bund und betroffene Länder auf Kriterien geeinigt haben. Dabei erhalten nun die Bundesländer noch mehr Spielraum, verrückterweise in Bezug auf die privilegierten Flächen. Durch die Einführung einer Staffelung für den Erwerb von Pachtflächen können Betriebe umso mehr Flächen kaufen, je mehr sie schon gepachtet haben. Auch die bislang festgelegte absolute Obergrenze von 450 ha, die ein Betrieb privilegiert kaufen konnte, sollte ursprünglich nach oben verschoben, nun zumindest noch durch die Länder flexibel handhabbar werden. Erneut kritisierte das Bundesfinanzministerium diese Forderung der Länder als "agrarpolitisch problematisch" - verhindert hat es sie nicht. Ähnlich stillhalterisch verhält sich das Bundeslandwirtschaftsministerium, das in schwelenden Rechtsangelegenheiten sogar das Finanzministerium auffordert, Einfluss auf die BVVG zu nehmen, damit ja nicht über Gebühr "drohende politische Turbulenzen provoziert werden, die unter Umständen auch Brüssel nochmals nötigen könnten, aktiv zu werden. "Die wissen alle, dass hier systematisch gegen EU- und Bundesrecht verstoßen wird", sagt Jörg Gehrke, der in der AbL mit dem Thema befasst ist. Schon mehrmals hat die AbL versucht, über gerichtliche Wege gleiches Recht für alle einzufordern, im Moment prüft sie die Möglichkeit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.


Mafiöse Strukturen

Denn das Unrecht geht weiter. Im neuen Maßnahmenkatalog für die Privatisierung gibt es eine noch weitreichendere Schutzklausel für die LPG-Nachfolger. Sie ermöglicht es den Pächtern privilegierter Flächen, ihr Vorkaufsrecht am Ende der Pachtperiode in ein langfristiges Pachtverhältnis umzuwandeln. Entweder entscheiden sie sich für eine erneute Pachtperiode von 9 Jahren und geben dann ihr privilegiertes Erwerbsrecht an dem Land nach dieser Zeit auf, oder sie wählen ein vierjähriges Pachtverhältnis, an deren Ende sie spätestens kaufen müssen. Damit hat man offensichtlich Konditionen geschaffen, die der Situation Rechnung tragen, dass in den nächsten Jahren viele privilegierte Pachtverhältnisse auslaufen und die Betriebe dann kaufen müssten. Nun haben sich viele Agrargenossenschaften über die Jahre doch nicht als die wettbewerbsfähigsten Strukturen entpuppt, als die sie nach wie vor gerne dargestellt werden. Offizielle Begründung der Klausel ist, dass ein Ausverkauf Ostdeutschlands an ausländische außerlandwirtschaftliche Spekulanten verhindert werden soll. Die Realität ist, dass viele Flächen, deren Pachtverträge in den nächsten Jahren auslaufen, von ihren Pächtern auch zu den Sonderkonditionen, die sie sowieso schon kriegen würden, nicht gekauft werden können und damit in freien Ausschreibungen landen müssten, wo dann auch landwirtschaftliche Betriebe anderer Rechtsformen endlich mal eine Chance auf Land hätten. "Dies wird wieder einmal durch geradezu mafiöse Strukturen verhindert", sagt der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Wenn man wirklich fair hätte agieren wollen, so hätte man die gesetzlich festgeschriebene Privilegierung aller landwirtschaftlichen Betriebe in den ostdeutschen Bundesländern wirklich umsetzen müssen, so Graefe zu Baringdorf. Öffentliche Flächen sind ausreichend vorhanden und das Argument ausländischer außerlandwirtschaftlicher Investoren wäre gebannt. Einmal mehr wird hier deutlich, dass es weder den Landespolitikern noch den sie unterstützenden Landesbauernverbänden um Strukturvielfalt und Chancengleichheit in der ostdeutschen Landwirtschaft geht - und die Bundespolitik sieht das, beklagt es intern, zieht aber keine Konsequenzen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 331 - März 2010, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2010