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AGRAR/1694: Landgrabbing in der Ukraine - Ausländisches Agrarkapital nutzt politische Krise (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 182 - Oktober / November 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Land Grabbing in der Ukraine
Wie die politische Krise ausländischem Agrarkapital nützt

Von Jörg Parsiegla



Inter Press Service (IPS), eine in Rom basierte internationale Nachrichtenagentur mit dem Schwerpunkt Berichterstattung aus Entwicklungsländern, veröffentlichte Anfang August eine sowohl untypische als auch Befürchtungen weckende Meldung über die Ukraine. Denn zum einen ging es nicht unmittelbar um die dortige politische Krise, und zum anderen geben die dort bekannt gemachten, von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) mit der Ukraine ausgehandelten Abkommen Anlass zur Sorge. Autorin Kanya D'Almeida, Menschenrechtsaktivistin und frühere IPC-Korrespondentin bei den Vereinten Nationen, berichtet darin über in der Ukraine praktiziertes Land Grabbing (englisch, soviel wie Land kapern), also geschäftliche Praktiken, bei denen Regierungen oder Unternehmen auf fremden Staatsgebieten - vor allem in Entwicklungs- oder Schwellenländern - große Ländereien entweder als Kapitalanlage, häufiger aber mit dem Ziel erwerben, dort industrielle Landwirtschaft zu betreiben.

Vorgeschichte

Bereits vor Amtsantritt des neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am 7. Juni hatten internationale Finanzorganisationen ihre Unterhändlerin das osteuropäische Land geschickt. D'Almeida zitiert in diesem Zusammenhang Reza Moghadam, den scheidenden Direktor der Europa-Abteilung beim IWF, dass ihn die "Entschlossenheit der Behörden, deren Sinn für Verantwortung und der Reformwille positiv beeindruckt" habe.

Nach jahrelangem Gerangel um Kredithilfen in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar wurden die Gelder nun freigegeben. Das lange Hin und Her war zum Teil auf Poroschenkos Vorgänger zurückzuführen. Der inzwischen abgesetzte Viktor Janukowitsch hatte ein umstrittenes Reformgesetz zur Erhöhung des Rentenalters um zehn Jahre verweigert und auf einer Senkung der Gaspreise beharrt.

Nach der Billigung der Kredithilfen folgte die Weltbank Mitte Mai mit einer Auszahlungszusage über 3,5 Milliarden Dollar. D'Almeida schreibt, dass diese Zusage nach Aussagen des Weltbankpräsidenten Jim Yong Kim "an die Bedingung geknüpft worden [war], dass die Regierung wettbewerbshinderliche Restriktionen aufhebt und ihren Einfluss auf Wirtschaftsaktivitäten zurücknimmt." Experten befürchten nun, dass das schnelle Umschwenken der Ukraine auf den neoliberalen Kurs des Westens finden riesigen Agrarsektor der Ukraine in einer Katastrophe münden könnte. Das Land gilt als die Kornkammer Europas.

Die Fakten

Laut internationalen Agrarstatistiken ist die Ukraine der drittgrößte Baumwoll- und fünftgrößte Weizenexporteur der Welt. Da verwundert es nicht, dass die Landwirtschaft mit zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes beiträgt und Bauern und Landarbeiter zwischen 15 und 20 Prozent der ukrainischen Arbeitskraft, ausmachen. Produktive Schwarzerde-Böden bringen Rekordernten hervor und könnten die einstige Sowjetrepublik zum zweitgrößten Getreideexporteur der Welt nach den USA machen. Die Agrarexporte insgesamt haben zwischen 2005 und 2012, laut Angaben des Centre for Eastern Studies (einer polnischen wissenschaftlichen Regierungsinstitution und Denkfabrik) um ein Mehrfaches zugenommen: von 4,3 Milliarden auf 17,9 Milliarden Dollar.

Hinzu kommt, dass der ukrainische Agrarsektor im letzten Jahrzehnt einen radikalen Wandel durchlebt hat. Dieser verhalf ausländischen Investoren und der Agrarindustrie zum Besitz von Böden und Macht im Land. D'Almeida führt einen Ende Juli veröffentlichten Bericht des US-amerikanischen Oakland Institute an, aus dem hervorgeht, dass seit 2002 1,6 Millionen Hektar Land an multinationale Unternehmen überschrieben wurden. Davon gingen 405.000 Hektar an ein Unternehmen mit Sitz in Luxemburg, weitere 444.800 an einen in Zypern registrierten Investor, 120.000 an ein französisches Unternehmen und. 250.000 Hektar an eine russische Firma. Ein bereits vor dem Ausbruch der politischen Krise ausgehandeltes Abkommen zwischen China und der Ukraine hatte Peking die Kontrolle über drei Millionen Hektar besten Farmlandes in der Ostukraine überlassen - ein Gebiet von der Größe Belgiens oder fünf Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Ukraine!

Wem nützt es

Der Umschwung in der Ukraine war für Investoren und Konzerne ein Segen, meint D'Almeida und zitiert Michael Cox, Forschungsleiter der Investmentbank Piper Jaffray: [Die Ukraine sei] "einer der vielversprechendsten Wachstumsmärkte für den Agrarmaschinenhersteller Deere und die Saatgutproduzenten Monsanto und DuPont". Derartige Äußerungen lassen bei Wissenschaftlern und Aktivistengruppen die Alarmglocken schrillen. So erklärte die Geschäftsführerin des Oakland Institute, Anuradha Mital, gegenüber IPS, die internationalen Finanzorganisationen Zwängen die Ukraine zu Strukturanpassungsprogrammen, von denen die Erfahrungen in der Dritten Welt zeigten, dass sie zweifellos zu ernsten Sparmaßnahmen führen und den Menschen schaden und die Armut vergrößern werden. Auch die Tatsache, dass die Weltbank die Ukraine als eines von zehn Pilotländern für ihr neues Projekts Benchmarking the Business of Agriculture (BBA) (englisch, soviel wie Bewertung der jeweilige Agrarwirtschaft bezüglich ihrer Eignung für großflächige, kommerzielle Investitionen) ausgewählt hat, dürfte dem Land zum Nachteil gereichen. Denn selbst wenn den Kleinbauern im Zuge dieser Initiative "Zugang zu Land, Finanzmitteln, verbessertem Saatgut, Dünger, Strom, Transportmöglichkeiten und Märkten" versprochen wird, werden kaum sie es sein, die von den zu erwartenden Reformen profitieren werden. Frédéric Mousseau, Mitautor des erwähnten Berichts des Oakland Institute, fürchtet, dass in erster Linie ausländisches Kapital der Gewinner sein wird. Die bislang noch "subventionierten ukrainischen Agrarbetriebe wären jedenfalls kaum konkurrenzfähig. Der BBA-Index wird von zahlreichen Organisationen wie etwa der International Trade Union Confederation (ITUC) heftig kritisiert. Umstritten ist er vor allem deshalb, weil durch ihn transnationale Konzerne steuerlich begünstigt und arbeitsrechtliche Standards aufgeweicht werden sollen.

Auch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine gerät in diesem Zusammenhang in die Kritik. Mousseau weist darauf hin, dass Artikel 404 des Abkommens klar zu entnehmen ist, dass beide Seiten den Biotechnologiesektor ausweiten wollen. Bisher konnte die Ukraine, den Einsatz von gentechnisch manipulierten Organismen (GMOs) einschließlich Saatgut verhindern.

Fazit

Das Landgrabbing in der Ukraine sowie der zu befürchtende Einsatz von GMOs dürften nur ein erster Schritt hin zu einer engeren Westanbindung des flächenmäßig zweitgrößten europäischen Landes sein. Der Titel des oben erwähnten Berichts des Oakland Institute "Walking on the West Side" (englisch, soviel wie: Auf dem Westpfad wandeln) hebt denn auch auf die Bedeutung westlicher Interessen in der Ukraine ab. "Es ist wichtig, dies im Licht des US-amerikanisch-russischen Kampfes um die Ukraine zu sehen", meint Joel Kovel, amerikanischer Wissenschaftler, Globalisierungsgegner und Autor von mehr als 20 Büchern über weltpolitische Entwicklungen. "Geostrategische und neoliberale Strategien passen in einen Gesamtplan [...], in dem das globale Finanzkapital unter US-amerikanischer Kontrolle und neokonservativer Führung Austerität verordnet, um die Herrschaft über den äußersten Osten Europas zu erlangen und Russland weiter einzukreisen."


Weitere Informationen:

neopresse.com/wirtschaft/ukraine-land-grabbing-im-brotkorb-europas
www.ipsnews.net/2014/07/is-europes-breadbasket-up-for-grabs

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 182 - Oktober/November 2014, S. 21
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2014