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ARBEIT/2962: Verschiedene Karrierepfade erklären Lohnungleichheit (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 11.07.2019

Verschiedene Karrierepfade erklären Lohnungleichheit


Warum verdient ein 55-jähriger Arbeitnehmer im Schnitt rund 40 Prozent mehr als ein 25-jähriger? Besteht ein Zusammenhang zwischen Lohnwachstum und steigender Lohnungleichheit? Viele Antworten lagen bislang noch weitgehend im Dunkeln. Die Ökonomen Prof. Dr. Moritz Kuhn und Prof. Dr. Christian Bayer von der Universität Bonn werteten nun Einkommensdaten für den Zeitraum von 2006 bis 2016 aus. Wichtigster Faktor für Lohnwachstum und steigende Lohnungleichheit ist, inwieweit es Arbeitnehmern gelingt, die Karriereleiter emporzuklettern. Dabei ist ein Studienabschluss kein Garant für höheres Einkommen. Die Forscher stellen ihre Ergebnisse nun als "CEPR Discussion Paper" vor.

Ungleiche Löhne treiben die Menschen um. Warum verdienen Frauen im Schnitt weniger als Männer? Weshalb erhalten Ältere mehr Lohn als Jüngere? Während bei Berufseinsteigern die Lohnunterschiede moderat sind, zeigen Arbeitsmarktdaten, dass die Lohnunterschiede nach dem Berufseinstieg immer weiter ansteigen. "Wissenschaftliche Studien haben sich bislang vor allem auf Unterschiede zwischen Arbeitgebern fokussiert oder die Bedeutung von Arbeitnehmercharakteristika betont", berichtet Prof. Dr. Moritz Kuhn vom Institut für Makroökonomik und Ökonometrie der Universität Bonn. Zusammen mit seinem Institutskollegen Prof. Dr. Christian Bayer hat der Ökonom Arbeitsmarktdaten des Statistischen Bundesamtes für den Zeitraum von 2006 bis 2016 ausgewertet.

Die Wissenschaftler vollzogen dabei einen Perspektivwechsel: Sie schauten sich nicht nur die Charakteristika von Arbeitgebern und Arbeitnehmer an, sondern bezogen auch die Unterschiede in Stellenprofilen in ihre Analyse mit ein. Bayer: "Stellenprofile beschreiben Aufgaben und Pflichten und unterschieden sich darin, wieviel Verantwortung, Komplexität und Entscheidungsfreiheit mit der Stelle verbunden sind." Mit Hilfe statistischer Methoden zerlegten die Ökonomen dann das Lohnwachstum und den Anstieg der Lohnungleichheit im Lebensverlauf. Den wichtigsten Einfluss, fanden die Forscher, machen die Veränderungen bei den Stellenprofilen und damit unterschiedliche Karriereverläufe aus. "Die unterschiedlichen Stufen der Karriereleiter erklären rund 50 Prozent der Lohnunterschiede in der Bevölkerung", fasst Bayer das Ergebnis zusammen.

Wer studiert hat, verdient nicht zwangsläufig mehr

Die landläufige Idee, dass ein Studienabschluss allein zu einem höheren Einkommen führt, erscheint durch die Studie damit in einem neuen Licht. Wer studiert hat, verdient nicht zwangsläufig mehr. Ein Studienabschluss eröffnet in den meisten Fällen nur den Zugang zu den Stellen an der Spitze der Karriereleiter. "Entscheidend ist damit, was ich aus meinem Hochschulabschluss mache: Werde ich Taxifahrer, Sachbearbeiter oder Geschäftsführer?", erläutert Kuhn.

Mehr Licht ins Dunkel bringt die Studie auch bezüglich der Kluft zwischen den Geschlechtern. "Die Hälfte der Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau sind auf unterschiedliche Karriereverläufe zurückzuführen", berichtet Bayer. "Viele Männer machen zwischen 30 und 45 Jahren noch große Schritte auf der Karriereleiter und haben hohes Lohnwachstum, das bei Frauen häufig ausbleibt", erläutert Kuhn. Da die Daten keine umfassenden Informationen über die Lebenssituation von Frauen liefern, müssen die Ursachen für unterschiedliche Karriereverläufe weitgehend Spekulation bleiben. Es liegt aber nahe, dass weit mehr Frauen als Männer aufgrund von Familiengründungen den Arbeitsmarkt verlassen und damit Schritte auf der Karriereleiter auslassen, die dann nach der Rückkehr die beobachteten Lohnunterschiede ausmachen.

Glück spielt auch eine Rolle

Arbeitgeberwechsel werden oft als Voraussetzung für Karrierefortschritte gesehen. In Übereinstimmung damit finden die Forscher, dass wer in Deutschland das Unternehmen wechselt, eine rund 20 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hat, beim neuen Arbeitgeber befördert zu werden. Jedoch zeigen die Daten auch, dass die meisten Schritte auf der Karriereleiter beim gleichen Arbeitgeber stattfinden. Ob man den nächsten Schritt auf der Karriereleiter schafft, hängt dabei auch von der Situation im Betrieb ab. Gibt es einen Konkurrenten mit gleichem Bildungsniveau, aber mehr Erfahrung? Dann wird dieser zumeist eher die Karriereleiter emporklettern. "Karriere ist damit zumindest zum Teil auch ein Lotteriespiel: Nur wenn in einem Unternehmen zur richtigen Zeit ein passender Platz auf der Karriereleiter frei wird, kann man den nächsten Schritt machen", fasst Bayer die Ergebnisse zum Einfluss von Glück auf den Karriereverlauf zusammen.

"Viele der Ergebnisse entsprechen unseren Erwartungen, dennoch fehlte bislang die wissenschaftliche Untermauerung auf Grundlage repräsentativer Daten für diese individuellen Erfahrungen", sagt Bayer. Die beiden Forscher wollen nun die Mechanismen und Ursachen der Lohnungleichheit mit der neu gewonnenen Perspektive weiter ergründen. Kuhn: "Jetzt wissen wir, wo wir in Zukunft genauer hinsehen müssen."


Originalpublikation:
Christian Bayer, Moritz Kuhn:
Which Ladder to Climb? Decomposing Life Cycle Wage Dynamics,
CEPR Discussion Paper (DP13158-2),
Internet: https://cepr.org/active/publications/discussion_papers/dp.php?dpno=13158#

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution123

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 11.07.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2019

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