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BERICHT/216: Analyse - Investitionsprogramm nutzt Konjunktur mehr als Steuersenkungen (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 06.01.2010

IMK: Investitionsprogramm nutzt Konjunktur mehr als Steuersenkungen

Ausblick auf das Wirtschaftsjahr 2010


Die deutsche Wirtschaft braucht über das gesamte Jahr 2010 noch dringend Unterstützung durch eine expansive Geld- und Finanzpolitik. Sonst ist das Risiko groß, dass die konjunkturelle Belebung in diesem Jahr eine Episode bleibt und Deutschland in eine längere Stagnationsphase abgleitet. Sollte sich ein selbst tragender Aufschwung einstellen, können Regierung und Zentralbank die akute Stabilisierungspolitik zur Bewältigung der Krise beenden. An ihre Stelle sollte aber eine Doppelstrategie treten, um neben einer Haushaltskonsolidierung auch längerfristig bessere Wachstumsperspektiven und eine höhere Stabilität zu erreichen. Dazu geeignet ist eine Politik, die den langjährigen Stau bei den öffentlichen Investitionen auflöst und sowohl in Infrastruktur als auch in Bildung investiert. Die politischen Weichenstellungen der vergangenen Monate weisen allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung in seinem Jahresausblick. Die Analyse erscheint heute als IMK Report.(*)

"Wirtschaft und Politik in Deutschland geht es wie einem Menschen, der einen Infarkt überstanden hat. Business as usual ist da nicht angesagt, auch wenn man sich wieder besser fühlt", beschreibt Prof. Dr. Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK, die Perspektive in diesem Jahr. "Vernünftig wäre es, in die Reha zu gehen und sich Gedanken über einen gesünderen Lebensstil zu machen. Aber danach sieht es derzeit leider nicht aus. Die Wirtschaftspolitik ist zwar die Herausforderung des akuten wirtschaftlichen Absturzes sehr aktiv und pragmatisch angegangen. Aber jetzt scheint sie ohne Not Zukunftschancen zu vergeben. Die sehr schematisch angelegte Schuldenbremse behindert eine konjunkturgerechte Konsolidierungspolitik mehr als dass sie sie vorantreibt. Und das Geld, das in gesamtwirtschaftlich wenig sinnvolle Steuersenkungen fließen soll, fehlt für Maßnahmen, die wirklich Wachstum bringen", so Horn.

In ihrer aktuellen Konjunkturprognose veranschlagen die Forscher des IMK für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent, warnen aber davor, diese Belebung voreilig als endgültige Überwindung der Krise zu interpretieren: Die Aufwärtstendenz sei nicht selbst tragend, sondern ein Effekt der erfolgreichen expansiven Wirtschaftspolitik der vergangenen anderthalb Jahre. Und im Verlauf des Jahres nimmt die wirtschaftliche Dynamik nach der IMK-Prognose mit dem Auslaufen der Konjunkturprogramme bereits wieder ab. Vor diesem Hintergrund analysieren die Wissenschaftler die Herausforderungen für die Finanz-, Geld und Arbeitsmarktpolitik im neuen Jahr:

Ausstieg erst im Aufschwung. Bundesregierung und Europäische Zentralbank (EZB) handeln richtig, wenn sie die Konjunktur in diesem Jahr mit einer expansiven Finanz- und Geldpolitik stimulieren. Ein Ausstieg sollte zwar konzeptionell vorbereitet werden, gefahrlos umgesetzt werden kann er aber erst, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen vorliegen: "Da fast alle gegenwärtigen Prognosen noch keinen Aufschwung vorhersehen, kann die Frage nach dem Wann des Ausstiegs derzeit nicht mit einem genauen Datum beantwortet werden", schreiben die Ökonomen des IMK. Die Geldpolitik solle ihren Kurs straffen, wenn im Euroraum ein kräftiger selbst tragender Aufschwung in Gang gekommen ist und sich die Unterauslastung der Produktionskapazitäten merklich verringert hat. Die Fiskalpolitik sollte diesen Kurs einschlagen, sobald diese Bedingungen auch für Deutschland absehbar sind. "Im Aufschwung soll entschlossen konsolidiert werden", sagt Konjunkturexperte Horn. "Der konjunkturelle Rückenwind macht dann durchaus eindrucksvolle Erfolge möglich, wie wir in den Jahren 2006 und 2007 gesehen haben. Aber wer zu früh in einen Sparkurs einsteigt oder an der falschen Stelle spart, riskiert das japanische Szenario: Lange Jahre der Stagnation."

Geldpolitik: Vorerst keine Leitzins-Erhöhung. Die EZB sollte ihre expansive Geldpolitik auch im beginnenden Aufschwung auf jeden Fall in vorsichtigen Schritten zurückfahren. Das ist nach der IMK-Analyse ohne Probleme möglich, weil der Inflationsdruck bei nach wie vor geringer Kapazitätsauslastung und steigender Arbeitslosigkeit gering bleiben wird. Für dieses Jahr prognostiziert das IMK einen Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland um lediglich 0,8 Prozent, die EZB erwartet im Jahr 2011 eine Inflationsrate von 1,4 Prozent. Die Zentralbank solle zunächst die quantitative Lockerung aufgeben und dabei die Reaktion der Geldmarktzinsen genau beobachten. Um einen Anstieg dieser Zinsen, der die Unternehmensfinanzierung weiter erschweren würde, zu kontrollieren, sei sogar eine zeitweilige Senkung des Leitzinses sinnvoll, so das IMK.

Finanzpolitik: Investitionen dauerhaft erhöhen. "Die alte Bundesregierung hat mit ihrer antizyklischen finanzpolitischen Reaktion auf die Krise Außergewöhnliches geleistet", konstatieren die Forscher. Sie empfehlen, an die positiven Erfahrungen anzuknüpfen und nach dem Abklingen der Impulse aus dem Konjunkturpaket II ein weiteres Konjunkturprogramm folgen zu lassen. Dieses solle sich aber noch deutlich stärker auf Investitionen konzentrieren und ökologische Modernisierung sowie das Bildungssystem ins Zentrum stellen. "Wir müssen diese Zukunftsfragen ohnehin angehen, und wir unterstützen damit die Konjunktur in einer schwierigen Phase", sagt Horn. Auch nach dem Abklingen der Krise sollten die Investitionen weiter gesteigert werden, dann aber gegenfinanziert durch die gezielte, konjunkturunschädliche Erhöhung von Steuern. Dafür infrage kommen unter anderem die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer und einer Vermögensteuer sowie höhere Erbschaftsteuern und ein höherer Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer.

Arbeitsmarktpolitik: Die Arbeitslosenzahl wird nach der aktuellen IMK-Prognose weiter ansteigen - auf 3,6 Millionen im Jahresdurchschnitt 2010. Auch im Jahr 2011 dürfte die langsame aber stetige Talfahrt auf dem Arbeitsmarkt noch nicht zu Ende sein. Um einen Beschäftigungsabbau hinauszuzögern oder sogar zu verhindern, sollte die erleichterte Kurzarbeiterregelung bei Bedarf auch ins kommende Jahr hinein verlängert werden, empfehlen die Forscher. Auf Basis der bisherigen Erfahrungen sehen sie kein Risiko, dass die Kurzarbeit einen unumgänglichen wirtschaftlichen Strukturwandel behindern könnten: "Die staatliche Subventionierung vermag länger anhaltende Absatzkrisen nicht auszugleichen, sondern lediglich die kurzfristigen Wirkungen des Einbruchs."

Finanzmärkte: Regulierung vorantreiben. Das IMK schließt in seiner Analyse der konjunkturellen Risiken weitere Verwerfungen auf den Finanzmärkten nicht aus - auch weil die notwendige Regulierung dieser Märkte bislang kaum vorangekommen ist. Eine neue Finanzkrise könnte die Weltwirtschaft im Extremfall kurzfristig in eine tiefe Rezession zurückwerfen, warnen die Forscher.

Steuersenkungen: wirkungslos oder sogar kontraproduktiv. Vom "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" der Bundesregierung werden kaum wachstumsfördernde Wirkungen ausgehen. Die in dem Gesetz vorgesehenen Steuersenkungen setzen maximal einen einmaligen Wachstumsimpuls von rund fünf Milliarden Euro, das sind 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dem stehen staatliche Einnahmeausfälle und zusätzliche Ausgaben von gut acht Milliarden Euro im Jahr gegenüber. Sollte die Regierung künftig versuchen, diese Aufwendungen durch Ausgabenkürzungen zu kompensieren, fielen die Wachstumseffekte der Steuersenkungen sogar negativ aus. Das gilt in noch stärkerem Maße für die geplante Umstellung der Einkommensteuer auf einen Stufentarif.

(*) Gustav Horn, Simon Sturn, Silke Tober, Achim Truger:
Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik 2010. Geldpolitik, Finanzpolitik und Arbeitsmarktpolitik in diesem Jahr. IMK Report Nr. 46, Januar 2010.
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_46_2010.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 06.01.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2010