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DISKURS/081: Protektionismus versus Freihandel (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Protektionismus versus Freihandel

Anmerkungen zu einer irreführenden Debatte

Von Michael Frein und Christina Deckwirth


Protektionismus ist schlecht, freier Welthandel ist gut. Das ist die simple Botschaft der WTO-Ministerkonferenz, die vom 30.11. bis 2. Dezember in Genf stattfand. Dies passt auch zum Credo des Koalitionsvertrags der schwarz-gelben Bundesregierung. Dort heißt es: "In der Handelspolitik bekämpfen wir jede Art des Protektionismus und setzen uns nachhaltig für weitere Marktöffnung ein." [1]


Aber war da nicht was? Hat der Staat nicht erst kürzlich kriselnde Banken "gerettet" und Opel alimentiert? Ist das nicht Protektionismus, also eigentlich Teufelswerk? Die politische Debatte macht deutlich, dass ungeachtet staatlicher Krisenprogramme auch inmitten der schweren Wirtschaftskrise die Freihandelspropheten noch immer auf dem Vormarsch sind. Mit der üblichen Protektionismus-Schelte wollen sie die Debatte über eine Re-Regulierung der Weltwirtschaft verhindern - und lenken damit von der eigentlichen Frage ab.


Klassischer und neuer Protektionismus

Einst waren hohe Zollmauern und Mengenbeschränkungen die wesentlichen Instrumente im protektionistischen Werkzeugkasten. Nutznießer solcher Importregulierung ist der heimische Anbieter, der mit den - staatlich erhöhten - Preisen Schritt halten oder die - staatlich erzeugte - Versorgungslücke schließen kann. Ab den 1970er Jahren rückten nicht-tarifäre Handelshemmnisse" wie Produkt-, Sozial- und Umweltstandards stärker ins Blickfeld.

Aufgrund der globalen Verflechtung der Produktionsketten steht der "klassische" Protektionismus bei transnational operierenden Unternehmen heute nicht mehr hoch im Kurs. Großer Beliebtheit erfreut sich indes eine neue Form von "Protektionismus": Subventionen in Form von Krediten oder Bürgschaften. Diese wirken ähnlich wie Zölle: Anstatt ausländische Waren zu verteuern, machen sie die einheimischen (oder einen Teil der einheimischen) billiger. Für Entwicklungs- und Schwellenländer sind Subventionen indes keine wirkliche Option, für sie bleibt die "alte" Zollpolitik, wobei ihre Spielräume zusätzlich durch WTO, bilaterale Freihandelsverträge und Internationalen Währungsfonds begrenzt werden.


Trotz Krise: Vorfahrt für Liberalisierung

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, dass sie die krisenbedingten Staatsinterventionen so schnell wie möglich zurückfahren und wieder auf Liberalisierungskurs einschwenken will. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu etwa: "Zwar erforderte die Weltwirtschaftskrise eine vorübergehende stärkere Rolle des Staates. Aber CDU, CSU und FDP sind sich einig: Die Beteiligung des Staates an Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten ist so eng wie möglich zeitlich zu begrenzen." [2]

Folgerichtig kämpfte Deutschland bei der WTO-Ministerkonferenz in Genf gemeinsam mit der EU und anderen Industriestaaten für mehr Liberalisierung und weniger Regulierung. Unterstützt wurde sie dabei von WTO-Generaldirektor Pascal Lamy, der bereits im Sommer 2009 verkündete, dass angesichts einer fragilen Weltwirtschaft "Protektionismus nicht die Antwort" sei. [3]

Derweil feiern auch Banken und Konzerne die ökonomische Liberalisierung (schon wieder) als kluge Politik. Die "Deutsche Bank Research" beschwört angesichts der konstatierten Gefahr einer "Protektionismusspirale": "Offene Märkte und freien Handel zu sichern, ist die nächste wichtige Aufgabe für eine global koordinierte Krisenbewältigung." [4] Und der BDI analysiert: "Der Hauptgrund für die Tiefe und die lange Dauer der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 liegt nicht nur in ihrer Vorgeschichte, es war vor allem der folgende weltweite Rückfall in den Protektionismus. [5]

Allerdings deutet angesichts der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise vieles darauf hin, dass staatliche Regulierung nicht überall zu verhindern sein wird. Für neoliberale Politiker, Wirtschaftsexperten und Konzernchefs geht es deshalb um Schadensbegrenzung. Regulierung soll auf einige öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie Boni für Bankmanager begrenzt werden. Zusätzlich soll das Schreckgespenst des Protektionismus dazu dienen, dass die staatlichen Interventionen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise auf Subventionen beschränkt bleiben - und eben nicht in weitere Regulierung übergehen. Denn sinkende Zölle, zunehmend befreit von staatlicher Regulierung im Sozial- und Umweltbereich, ein starker Patentschutz, an ihre Interessen angepasste Investitionsbedingungen und in Krisenzeiten Subventionen für das eigene Unternehmen - das sind die besten Voraussetzungen für globale Konzerne, günstige Produktionsbedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern zu nutzen und gleichzeitig die kaufkräftige Nachfrage weltweit zu bedienen.

Dabei hält sich die viel beschworene Protektionismusgefahr in Grenzen. In einer umfangreichen Studie zur Wirtschaftskrise listet die WTO insgesamt 238 handelspolitische Maßnahmen mit handelsbeschränkender Wirkung für den Zeitraum zwischen September 2008 und Mai 2009 auf. [6] Dazu gehören Zollerhöhungen, nicht-tarifäre Maßnahmen ebenso wie die Gewährung staatlicher Beihilfen. Angesichts der weltweit über 190 Länder ist diese Zahl nicht sonderlich beeindruckend.


Sinnvolle Regulierung statt simpler Protektionismusschelte

"Freihandel ist nicht Anti-Protektionismus. Es ist der Protektionismus der Mächtigen" - so formuliert es Vandana Shiva, indische Aktivistin und Trägerin des alternativen Nobelpreises. Ein freier Handel liegt in der Tat im Interesse der wettbewerbsstarken Marktteilnehmer. Sie haben freie Bahn, wenn Regulierung einzig dazu dient, dieses System abzusichern. Andere Ziele wie ein ökologischer Umbau, Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit lassen auch andere Maßnahmen sinnvoll erscheinen wie etwa wirtschaftspolitische Spielräume zum Schutz der eigenen Märkte.

Dabei sind protektionistische Maßnahmen wie Zollerhöhungen oder Subventionen per se weder gut noch schlecht. Die Gretchenfrage sinnvoller Wirtschaftspolitik ist nicht die nach Freihandel oder Protektionismus. Entscheidend sind vielmehr die Ziele und die dahinter liegenden Interessen. Die Frage ist etwa, ob durch die eingesetzten wirtschaftspolitischen Instrumente ökologische Produkte bevorzugt oder lokale Arbeitsplätze vor ausländischer Dumpingkonkurrenz geschützt werden können. Das wäre dann nicht schädlicher Protektionismus, sondern zweckmäßige staatliche Steuerung im Sinne von Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit.

Ein Beispiel: Einige Entwicklungsländer reagierten auf die Preisexplosion bei Nahrungsmitteln, die insbesondere die arme Bevölkerung belastete, mit höheren Import- oder Exportzöllen. Die indische Regierung etwa verfügte Exportbeschränkungen für Weizen und Reis, um die Preise für diese Grundnahrungsmittel zu stabilisieren - ein klarer Fall von Protektionismus. Zweites Beispiel: Die WTO-Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung von Finanzdienstleistungen zielen darauf ab, Maßnahmen zur Bankenregulierung wie Kapitalverkehrskontrollen, die Möglichkeit des Verbots spekulativer Geschäfte oder Anforderungen an die Kreditvergabe abzuschaffen - Maßnahmen, die als protektionistisch gelten und zugunsten deregulierter Finanzmärkte abgebaut werden sollen. Mit der politischen Rhetorik einer effektiven Kontrolle und Re-Regulierung der Finanzmärkte hat dies wenig zu tun.

Protektionismus als einfache Rückkehr zu einer nationalistischen Wirtschaftspolitik ist in der Tat zurückzuweisen - im Gegensatz zu einer Regulierung der Wirtschaft, in der der Schutz der Umwelt und die sozialen Rechte Vorrang haben vor den Gewinninteressen einer global agierenden Konzernelite. Dazu bedarf es einer grundlegenden Reform der Weltwirtschaftsbeziehungen und größerer Spielräume für staatliche Regulierung statt mehr fortschreitender Liberalisierung und grenzenloser Freiheit für Global Player.


Michael Frein ist Referent für Handel und Umwelt beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und Sprecher des Leitungskreises des Forums Umwelt und Entwicklung, Christina Deckwirth arbeitet u.a. zu WTO/GATS bei WEED.


Anmerkungen

[1] Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Berlin 2009, S. 54;

[2] Ebda, S. 11

[3] http://www.wto.org/english/news_e/news09_e/tpr_13jul09_e.htm

[4] Deutsche Bank Research: Aus Erfahrung schlecht. Die Rückkehr des Protektionismus. Aktuelle Themen, Nr. 445, Frankfurt 2009, S. 1.

[5] "Protektionismus stoppen - World Trade Reloaded", Rede von Hans-Peter Keitel, Präsident des BDI, ICC-Podiumsdiskussion, 26.5.2009 im BMWi in Berlin. http://www.bdi.eu/download_content/Presse/Rede_Keitel_ICC_Protektionismus_Mai_2009.DOC.

[6] WTO: Report to the TPRB from the Director-General on the financial and economic crisis and trade-related developments. JOB (09)/3. 26.3.2009. Genf; WTO (2009): Fact Sheet: G20 Countries: Actions on Trade since April 2, 2009.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 36-37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2010