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DISKURS/095: Ökologische Wirtschaftsentwicklung und soziale Teilhabe (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010

Ökologische Wirtschaftsentwicklung und soziale Teilhabe

Von Rainer Land


Die Umstellung der globalen Energiesysteme auf erneuerbare Energien innerhalb der nächsten 50 Jahre ist sicher die größte sozialökonomische Herausforderung dieses Jahrhunderts. Dabei geht es nicht nur um eine Anpassung der Industrie an neue Umweltgegebenheiten, sondern um eine weitreichende sozialökonomische Transformation, um die Herausbildung eines neuen Typs wirtschaftlicher Entwicklung.


Der nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA und den entwickelten Industrieländern entstandene Typ wirtschaftlicher Entwicklung beruhte auf der Kombination der fordistischen Massenproduktion mit der produktivitätsorientierten Lohnpolitik. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität war die entscheidende Quelle proportional steigender Arbeitnehmereinkommen und Sozialleistungen - bei ebenso proportional steigenden Kapitaleinkommen und Investitionsvolumina. Dabei stieg die Ressourceneffizienz (der Einsatz von Energie, Rohstoffen und Emissionen pro Einheit des Sozialprodukts) nur sehr wenig. Arbeitsproduktivität, Bruttoinlandsprodukt und Einkommen stiegen in der BRD (1950 bis 1990) preisbereinigt um etwa 500%, die Energieeffizienz als die wichtigste Komponente der Ressourceneffizienz um nicht einmal 100%. Daher wurde immer mehr "Natur" verbraucht. Zwangsläufig musste diese extensive Art der Nutzung von Naturressourcen lokal wie global auf Tragfähigkeitgrenzen stoßen, die sich wirtschaftlich in negativen Skaleneffekten niederschlugen. Spürbar wurden diese in den 70er Jahren - an den Ölkrisen, der Verteuerung der Energie- und Rohstoffpreise, den zunehmenden Umweltproblemen und der entstehenden Umweltbewegung. Zwar wurden einige der Probleme angegangen - vor allem aber lokal begrenzte wie Flussverschmutzungen und Versauerungsgase. Zu einer grundsätzlichen ökologischen Neuorientierung der Innovationsprozesse und der wirtschaftlichen Entwicklung kam es nicht, die Kosten und Risiken der Umweltnutzung stiegen, es kam zu länger anhaltenden depressiven Wirtschaftstendenzen und zu mehr oder weniger falschen Gegenreaktionen wie zunehmender globaler und nationaler Umverteilung, Druck auf Löhne und Masseneinkommen, Sozialabbau sowie dem bekannten Ausweichen der Kapitalanleger in die Finanzmärkte.


Ökologische Neuorientierung der Innovationsprozesse

Aber reale wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Fortschritt können nicht durch Lohnzurückhaltung, Standortwettbewerb und Umverteilung ersetzt werden. Die einzig Erfolg versprechende Art der Reaktion auf die Grenzen des fordistischen Typs wirtschaftlicher Entwicklung wäre nach Amory Lovins schon 1995 eine Effizienzrevolution gewesen - und um diese Lösung geht es auch heute noch. Die erneuerbaren Energien, wenn ihre Durchsetzung global gelänge, wären der erste große und entscheidende Schritt zu einem neuen Typ wirtschaftlicher Entwicklung, einer anderen Art von Industrie und einem neuen gesellschaftlichen Naturverhältnis.

1. Umweltkompatibilität müsste zur Basis eines neuen gesellschaftlichen Naturverhältnisses, zu dem zentralen Selektionskriterium für Innovationen werden. Die Erhaltung der Natur und der natürlichen Ressourcen wird Bestandteil des Innovationsprozesses und der Produktion.

2. Das Innovationsreservoir der Zukunft ist nicht mehr zuerst die Massenproduktion (economy of scale), sondern Umweltkompatibilität und Ressourceneffizienz.

3. Die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung wird nicht mehr dominiert vom Tempo der Steigerung der Arbeitsproduktivität (obwohl diese wichtig bleibt), sondern an erster Stelle vom Tempo der Steigerung der Ressourceneffizienz. Die Ressourceneffizienz muss deutlich schneller steigen als Produktion und Verbrauch, auch bei wachsender Weltbevölkerung.

Mit dieser veränderten Art der industriellen Naturaneignung werden sich auch die Maßstäbe für Wirtschaftlichkeit verändern: Wirtschaftlich kann auf die Dauer nur sein, was keine Naturressourcen verbraucht beziehungsweise genutzte Naturressourcen reproduziert. Erneuerbarkeit muss also nicht nur Prinzip der Energienutzung werden, es muss letztlich für alle Rohstoffe und alle Abprodukte und Emissionen gelten. Stoffstrommanagement wird zur Voraussetzung von Wirtschaftlichkeit werden.

Mit dieser "4. Revolution" werden sich auch die Muster sozialer Teilhabe verändern. In der fordistischen Ökonomie der 50er bis 70er Jahre ging es um Teilhabe durch qualitativen und quantitativen Zuwachs mehr oder weniger standardisierten Konsums und um mehr oder weniger standardisierte Mitbestimmungsrechte. Will man ökologische Modernisierung und soziale Teilhabe wirklich auf neue Art zusammenbringen und die für das Funktionieren einer Kapitalverwertungsökonomie essentielle produktivitätsorientierte Lohnentwicklung wiederherstellen, so müsste man soziale Teilhabe als Umbruch, als Revolution der Lebensweisen denken, nach einer zur ökologischen Modernisierung passenden Transformation des Sozialen fragen.

Auf den ersten Blick scheint es einfach: Nachhaltiger Konsum, andere Konsumgüter, mehr ideelle, weniger materielle Konsumtion: Bildung, Theater und Kommunikation statt viel Essen, Auto fahren und Fernreisen. So richtig dies scheint, es reicht als Antwort auf die Krise der fordistischen Wohlfahrtsökonomie wahrscheinlich nicht. Die Wiedergewinnung von Teilhabe durch Rückkehr zum Massenkonsum, nur eben ökologisch, löst das Problem nicht. Heute geht es um Individualisierung - im Guten wie im Bösen: Individualisierung als Reichtum der eigenen Entwicklung und Individualisierung von Risiken und Not. Das Bedürfnis nach Einmaligkeit, dem eigenen Outfit, dem unverwechselbaren Geschmack, der originären Ausdrucksweise, der unnachahmlichen, aber ökonomisch durchaus unnützen Performanz ist nirgendwo so gut zu beobachten wie in den heutigen Jugendkulturen. Können Teilhabe und Individualitätsentwicklung positiv korrespondieren? Diese Frage ist bislang unbeantwortet und erst die Kämpfe um Deutungen und Perspektiven der kommenden Jahre werden zeigen, ob es zu einer Neuverfassung des Sozialen kommt und worin sie bestehen könnte.

Es lohnt sich aber, schon heute die praktischen Entwicklungen auf diesem Feld zu beobachten. In der Prignitz, dem Nordwesten Brandenburgs gibt es so viele Windräder wie kaum woanders. Hier wird Strom exportiert, weil man viel mehr erzeugt, als in der Region verbraucht wird. Zugleich hat Brandenburg die meisten und die aktivsten Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen und eine durchaus problematische Jugendkultur. Die Erklärung ist einfach: Fehlende Teilhabe und viele Jugendliche, die sich nicht nur überflüssig vorkommen, sondern die praktisch so behandelt werden. Die lokale Bevölkerung profitiert in keiner Hinsicht von dem Boom der erneuerbaren Energien vor ihren Fenstern. Sie hat die höchsten Strompreise, die Betreiber und Investoren sind nicht aus der Region, die Arbeitsplätze entstehen anderswo und die Einkommen fließen in andere Taschen. Seit zwei Jahren fließt wenigstens ein Teil der Gewerbesteuer an die Standorte der Windkraftanlagen, allerdings zahlen die Betreiber diese Steuer meist erst, wenn die Kredite abgezahlt sind. Diese Art, die Energiewende umzusetzen, kann sozialökonomisch nur scheitern.

Dass es auch anders geht, das zeigen Gemeinden wie Feldheim oder Zschadraß. Hier haben Kommunen, Gemeinden und Bürger gemeinsam neue regenerative Energiesysteme aufgebaut und die Bürger partizipieren - durch günstige Energiepreise, durch Anteile am Vermögen und den Gewinnen, durch Arbeitsplätze und Erwerbseinkommen, durch Mitbestimmungsmöglichkeiten. In Zschadraß entscheidet ein Bürgerverein, was mit einem Teil der Gewinne geschieht: Sie werden für den Kindergarten, die Schulspeisung und die Sportvereine genutzt.

Die Energiewende ist nicht nur ein großes Experimentierfeld für Innovationen, Technologie und neue unternehmerische wie bürgerschaftliche Organisationsformen, auch die Modernisierung sozialer Teilhabe wird hier erprobt und neu erfunden. Der Transformationsprozess wird nicht das Ergebnis eines großen Masterplanes sein, sondern durch Evolution, durch viele Millionen kleiner und großer Experimente, deren Selektion und Rekombination erfolgen, die nicht ohne Fehler und Rückschläge ablaufen kann. Daher sind Selbstorganisation, Lern- und Evolutionsfähigkeit überlebenswichtig.


Rainer Land (*1952) ist Gesellschaftswissenschaftler und arbeitet seit 2002 am Thünen-Institut für Regionalentwicklung e.V. in Bollewick, Mecklenburg-Vorpommern.
rla@thuenen-institut.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 5/2010, S. 34-36
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Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2010