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FRAGEN/006: Gespräch mit Gustav A. Horn - "Ich präferiere einen Europäischen Währungsfonds" (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010

Gespräch mit Gustav A. Horn
"Ich präferiere einen Europäischen Währungsfonds"

Von Thomas Meyer


Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Fragen stellte Thomas Meyer.


NG/FH: Nach der Finanzmarktkrise 2008 wurde eine Reihe von Versprechungen gemacht, nun die Finanzmärkte effektiv zu regulieren. Wie viel ist davon bis heute realisiert?

GUSTAV A. HORN: Ganz wenig. Erst in diesen Tagen passieren einige Dinge, die eigentlich schon längst hätten passieren sollen: Der amerikanische Kongress hat ein umfassendes Reformpaket zumindest in der vorletzten Stufe beschlossen. Auch das Europaparlament hat einige Dinge wie eine erhöhte Eigenkapitalhinterlegung bei riskanten Geschäften erst jetzt beschlossen, so dass wir im Verhalten auf den Finanzmärkten bisher noch keine fundamentalen Veränderungen sehen können.

NG/FH: Was muss jetzt dringend getan werden, um die Finanzmärkte halbwegs in den Griff zu bekommen?

HORN: Was man sicherlich am schnellsten machen kann, ist, bestimmte Dinge einfach zu verbieten. Z.B. ist das Verbot von Leerverkäufen bei Kreditausfallversicherungen ein solcher wichtiger Schritt, der allerdings bisher nur von Deutschland angeordnet wurde. Des Weiteren sollte man die Eigenkapitalanforderung je nach Risiko einer bestimmten Anlage möglichst schnell erhöhen und dieses auch umsetzen. Eine dritte Forderung wäre, dass man die Macht der Rating-Agenturen dadurch begrenzt, dass man ihre Ratings aus den Regulierungsvorschriften entfernt. Jeder Anleger muss sich selber genau informieren, wie werthaltig das jeweilige Produkt ist. Und wenn er das nicht versteht, dann soll er die Finger davon lassen. Man muss auch die Hebelwirkung begrenzen, die durch Kreditaufnahme ermöglicht werden kann. Bisher leihen sich viele Finanzinvestoren Geld, um möglichst wenig eigenes Kapital einzusetzen und so eine entsprechend höhere Rendite zu erzielen. Ein solches Verhalten erhöht die Risiken um ein Vielfaches. All dies muss eingeschränkt werden und es muss relativ rasch erfolgen.

NG/FH: Nun bekommt man ja den Eindruck, dass das Ganze wie ein Verschiebebahnhof gehandhabt wird. National wird gesagt, wir würden das ja machen, die anderen ziehen aber nicht mit. Gleichzeitig sind aber einige unserer Akteure auf der internationalen Ebene selber zögerlich.
Welche der von Ihnen genannten Maßnahmen müssen global wirkungsvoll durchgesetzt werden, welche können und sollen auf europäischer Ebene, welche können national durchgesetzt werden?

HORN: Ideal wäre es natürlich, alles global durchzusetzen. Das gilt auch und vor allem für die Finanzmarkt-Transaktionssteuer. Aber es gibt daneben auch zweit- und drittbeste Lösungen. Und dazu gehört, dass man es zumindest europaweit durchsetzt. Wenn die EU z.B. die Finanzmarkt-Transaktionssteuer beschließt, dann setzt einer der größten Märkte diese Steuer um und dies hätte Vorbildwirkung etwa für die USA oder Asien. Denn die Menschen in allen diesen Ländern sind ja unzufrieden mit der Funktionsweise der Finanzmärkte und das erzeugt wiederum auch politischen Druck, die Regulierungsmaßnahmen anzupassen.

NG/FH: Worin besteht das größte Hindernis, dass diese Dinge bisher nicht realisiert wurden? Und welche Gründe gibt es für das bisherige Ausbleiben einer europäischen Wirtschaftsregierung?

HORN: Natürlich sind die Abläufe auf den Finanzmärkten sehr komplex. Das erschwert den Zugang. Aber es gibt natürlich auch handfeste Interessen: Einerseits des Finanzsektors selbst, der über eine sehr harte Lobby verfügt. Daneben gibt es aber auch politische Interessen in den Ländern, in denen die Finanzmärkte eine hohe Bedeutung haben, etwa in Großbritannien, aber eben auch teilweise in Deutschland und in den USA.
Was die Frage nach einer einheitlichen Wirtschaftsregierung anbetrifft, spielt es eine ganz entscheidende Rolle, dass wir uns noch nicht darüber einig geworden sind, wie viel Gemeinsamkeit wir in der politischen Ausrichtung in Europa haben wollen und wie viel nationale Souveränität wir abgeben wollen.Wir haben einen gemeinsamen Währungsraum, aber die sich daraus ergebenden Anforderungen sind teilweise noch nicht verstanden worden. Im aktuellen Fall müssen wir uns jetzt z.B. der Entscheidung stellen, ob wir einige Teile dieser Gemeinschaft pleite gehen lassen wollen bzw. können oder ob wir ihnen unter Auflagen helfen wollen.
D.h., die Einrichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung erfordert eine Konsensbildung darüber, wie weit wir in der Aufgabe nationaler Souveränität gehen wollen. Und ich glaube, dass dieser Konsens im Moment noch nicht besteht.

NG/FH: Die Politik der jetzigen Bundesregierung scheint von der Vorstellung geleitet zu sein, dass eine europäische Wirtschaftsregierung bedeuten könnte, dass die anderen entscheiden, gegebenenfalls auch gegen den Willen der Bundesrepublik, und dass Deutschland am Ende immer der Zahlmeister ist. Ist an dieser Befürchtung in der Substanz etwas dran?

HORN: Es ist klar, dass Deutschland die stärkste Volkswirtschaft der Union ist und bei allen Zahlungsverpflichtungen immer auch am stärksten betroffen ist. Aber eben in der Relation genauso stark wie die schwächeren Länder auch. Also, dass insbesondere die deutsche Kasse geplündert wird, halte ich für eine falsche Wahrnehmung.
Man sollte sicherlich keine Blankoschecks ausstellen für Länder, die sich unvernünftig verhalten. Und deshalb ist es richtig, auch darüber zu verhandeln, unter welchen Bedingungen eine solche Hilfe tatsächlich gewährt werden kann. Aber die Bedingungen müssen vor allem ökonomisch vernünftig sein, sonst wird das Ganze nicht funktionieren.

NG/FH: Wäre es gerechtfertigt, einen Teil der eigenen politischen Entscheidungsmacht aus der Hand zu geben mit der Begründung: Wir machen das zugunsten des Euro, von dem wir am Ende am meisten profitieren, und wir führen eine solche Wirtschaftsregierung ein, unabhängig davon, dass wir dann oftmals nicht bestimmen können,was dort entschieden wird?

HORN: Ich wäre sehr vorsichtig beispielsweise bei der Forderung, dem Parlament das Haushaltsrecht zu nehmen. Dies ist sein vornehmstes Recht. Das sollte man nicht ohne Bedenken, eigentlich gar nicht, weggeben. Das widerspricht auch demokratischen Prinzipien.
Was man aber machen muss, ist Institutionen zu schaffen, die eine entsprechende Kompetenz haben, auch im Vorfeld von Krisen präventiv einzugreifen. Ich präferiere einen so genannten Europäischen Währungsfonds, der schon im Vorfeld analysiert, ob es beispielsweise Handelsungleichgewichte gibt und ob etwas dagegen getan werden muss. Dieser Fonds muss dann natürlich auch mit Mitteln ausgestattet werden, seine Maßnahmen durchführen zu können.
Dies wäre keine Regierung, die viele nationale Kompetenzen an sich ziehen würde, aber es wäre eine Agentur, die tatsächlich ökonomisch etwas bewirken könnte.

NG/FH: Die französische Finanzministerin hat Deutschland hart kritisiert. Eigentlich, so sagt sie, steckt in diesem andauernden gigantischen Exportüberschuss auch ein Stück antieuropäischen Verhaltens. Was ist da dran? Werden durch diese überzogene Exportorientierung Krisen anderer Länder wie jetzt Griechenlands verstärkt und tut sie auf Dauer Deutschland überhaupt gut?

HORN: Der Kernbefund ist richtig. Es gibt zwei Formen von Sündern in der EU. Die Länder, die die Defizite produziert haben, aber auch die wenigen Länder, die Überschüsse produzieren, eben vor allem Deutschland. Man hat in Deutschland aber noch nicht ganz verstanden, was man damit anrichtet. Man dachte eben, man wäre besonders gut und hätte dadurch die großen Überschüsse. Die Gefahren, die von solchen Überschüssen längerfristig für die Stabilität des Euroraums ausgehen, hat man nicht gesehen. Es ist ja nichts dagegen zu sagen, dass viel exportiert wird, aber es ist viel dagegen zu sagen, dass man nicht in gleichem Maße auch importiert. Nur so lässt sich die Balance eines gemeinsamen Währungsraums auf Dauer erhalten.
Es sei denn, man schafft kompensierende Mechanismen wie Transfermechanismen, die man aber auch nicht will.
Insofern muss hier ein Umdenken einsetzen. Entweder man verhält sich stabilitätsgerecht und gibt die überschüssige Exportorientierung auf oder aber man muss den anderen Ländern ständig helfen. Das kann aber auch keine Lösung sein und macht natürlich auch anfällig gegenüber Rückschlägen beim Export. Das haben wir während der jüngsten Krise gesehen. Deutschland ist auf der Produktionsseite eines der am härtesten betroffenen Länder.

NG/FH: Wie würde denn eine gute Balance zwischen europäischer Solidarität, die natürlich auch politisch motiviert sein muss, und den eigenen Interessen der Bundesrepublik aussehen?

HORN: Deutschland hat ein enormes Interesse an dem gemeinsamen Markt in Europa. Fast 60% unserer Exporte gehen in den Raum der Europäischen Währungsunion. Deshalb sollte Deutschland an einem stabilen europäischen Markt Interesse haben und sich stark machen für die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds, der verhindert, dass massiv gegen die europäische Stabilität verstoßen wird. Dann kann man in einem solchen stabilen Markt weiterhin sehr viel exportieren und das Wirtschaftswachstum insgesamt ankurbeln.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010, S. 13-16
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2010