Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

FRAGEN/007: Nötig sind nachhaltige Wachstums- und Abnehmprozesse (spw)


spw - Ausgabe 5/2010 - Heft 180
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Nötig sind nachhaltige Wachstums- und Abnehmprozesse Interview mit Holger Rogall

Von Stefan Stache


SPW: Angesichts der ökonomischen, ökologischen und sozialen Krise debattiert die Linke Möglichkeiten nachhaltigen Wachstums, hierzulande zumeist unter dem Label "New Deal" oder "ökologische Industriepolitik". Lösen die Ansätze ihren Anspruch auf ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Prosperität ein?

HOLGER ROGALL: Aus meiner Sicht nicht, denn der "Green New Deal" knüpft an ein Konzept aus den 1930er Jahren an, bei dem es vor allem um die quantitative Steigerung der Konsumnachfrage und die Modernisierung von Produktionskapazitäten ging. Wir benötigen aber einen qualitativen nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft mit all ihren Produkten und Produktionsprozessen, so dass im Jahr 2050 die Mehrzahl der Produkte und Produktionsprozesse nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit neu konstruiert sein werden. Das ist mit einzelnen Programmen - und dies gilt auch für die ökologische Industriepolitik - allein nicht leistbar. Allerdings sind sie wichtige Zwischenschritte. Ich halte die Begriffe "selektives Wachstum", "nachhaltiger Umbau" oder "Transformation" für geeigneter. Sie verweisen darauf, dass einige Bereiche Wachstums-, andere dagegen Reduzierungs- bzw. Abnehmprozesse benötigen.

SPW: Zahlreiche Studien verweisen auf die positiven Beschäftigungswirkungen ökologischer Investitionen. Was bedeutet ein nachhaltiger Strukturwandel für die Beschäftigten traditioneller Industriezweige, wie z.B. der Automobilindustrie?

HOLGER ROGALL: Die Geschichte der industriellen Gesellschaft ist von einem ständigen Strukturwandel geprägt, etwa dem Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft von früher 90 Prozent auf heute unter 2 Prozent in Deutschland. Dies gilt auch für den nachhaltigen Umbau. Zunächst wird es durch den Umbau - wie Studien zeigen - zu einem Beschäftigungsaufbau von 1 bis 2 Mio. neuen Arbeitsplätzen kommen. Strukturell bedeutet das z.B.: Da wo Werften sind, wird man künftig Windkraftwerke bauen, die Automobilindustrie wird ihre Produktion auf Elektromobilität sowie Nah- und Fernverkehr verlagern.

Dennoch wird es Menschen geben, die in anderen Bereichen eine Arbeit finden müssen - dies war seit der industriellen Revolution so und wird sich künftig auch nicht ändern. So benötigen wir für den nachhaltigen Umbau ein exponentielles Wachstum, zum Beispiel in den Bereichen der Bildungspolitik, der erneuerbaren Energien, der konsequenten Wärmeschutzisolierung aller Gebäude und der Neukonstruktion der meisten Produkte nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit. Hierzu muss übrigens entgegen dem neoliberalen Mainstream die weitere Absenkung der Staatsquote umgekehrt werden. Dieser Umbau könnte durchaus noch mindestens 40 Jahre dauern. Was danach kommt, weiß heute auch ein Zukunftsforscher noch nicht zu sagen.

Alle energie- und ressourcenintensiven Produkte die nicht auf erneuerbaren Energien und erneuerbare Rohstoffe umgestellt werden können, müssen hingegen innerhalb der nächsten vier Jahrzehnte im Produktionsvolumen abnehmen. Diesen Wachstums- und Abnehmprozess muss die gesellschaftliche Linke auch öffentlich kommunizieren, sie muss aufpassen, nicht allen Alles zu versprechen und "überall blühende Landschaften" zu verkünden.

SPW: Mit welcher Strategie kann vermieden werden, dass weniger privilegierte soziale Milieus die Kosten des ökologischen Umbaus tragen?

HOLGER ROGALL: In einer kapitalistischen Marktwirtschaft werden die Konsumenten immer die Veränderungen bezahlen müssen. Soll der Wandel sozial abgefedert bzw. die Lasten gerechter verteilt werden, ist eine progressive Steuerpolitik von zentraler Bedeutung. Es geht z.B. um einheitliche steuerliche Mindeststandards in der EU und eine höhere Besteuerung hoher Einkünfte aus Kapital und Arbeit. Weniger Privilegierte müssen bei höheren Mietkosten durch ökologische Modernisierung mit einem höheren Wohngeld unterstützt werden, welches durch die stärkere Heranziehung hoher Einkommen und Vermögen gegenfinanziert wird. Überlegungen, die Vermieter für die Modernisierung aufkommen zu lassen, verhindern den ökologischen Umbau. Wenn Vermieter nicht das größtmögliche Interesse an Wärmeeffizienz bekommen, das durch Pflichten gesetzlich zu flankieren ist, sind die Ziele zur CO2-Minderung nicht erreichbar. Und: Die Ärmsten der Armen, vor allem in den Entwicklungsländern, auf längere Sicht jedoch wir alle, zahlen global die Klimafolgekosten.

SPW: Der SPD-Politiker Marco Bülow hat in spw Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Ökosteuer gemacht. Welche Eckpunkte müsste eine Reform haben?

HOLGER ROGALL: Das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft hat dazu zahlreiche gute Vorschläge gemacht. Wir brauchen eine ökologische Besteuerung von Ressourcenverbrauch, deren Sätze so lange steigen, bis der gewünschte Standard erreicht ist. Sind die Fortschritte groß, könnten die Steuersätze auch gleich bleiben. Ich schlage die Einrichtung einer Behörde vor, die beim Statistischen Bundesamt angesiedelt ist und die Fortschritte auf Grundlage von Nachhaltigkeitsindikatoren misst, wie sie im Nachhaltigkeitsprogramm der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2002 entwickelt wurden. Wichtig ist, dass keine Regierung, auch keine sozialdemokratische, den ökologischen Umbauprozess verlangsamt oder blockiert, wenn erste Ergebnisse zu verzeichnen sind. Zwar hat Deutschland, auch im internationalen Vergleich, deutliche Fortschritte bei der Verminderung von CO2 gemacht. Aber sie sind - gemessen an dem Zeitfenster von 10 Jahren, das uns zur Verfügung steht, um die Folgen der Klimaerwärmung zu begrenzen - zu gering. Wir sind in dieser Hinsicht noch Fußgänger, benötigten jedoch einen Schnellzug.


Prof. Dr. Holger Rogall lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Nachhaltige Ökonomie und ist Sprecher des Netzwerkes Nachhaltige Ökonomie.
www.holger-rogall.de
www.nachhaltige-oekonomie.de
www.holger.rogall@hwr-berlin.de


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2010, Heft 180, Seite 11-12
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de
Berliner Büro:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin

Die spw erscheint mit 6 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-
Auslandsabonnement Euro 42,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2010