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GEWERKSCHAFT/1076: Zur Geschichte der GDL - Gewerkschaft der Lokführer (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Streikrecht und Standesdünkel
Zur Geschichte der GDL - Gewerkschaft der Lokführer

von Manfred Dietenberger



Der beeindruckende 50-stündige Streik der Lokführer zeigt zum einen, dass der Zug für konsequente Interessenvertretung längst noch nicht auf dem Abstellgleis steht, andererseits aber auch Gefahr läuft, ausgebremst zu werden.

Manch eine Entscheidung der Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist nicht so ohne weiteres nachvollziehbar. Vielleicht erklärt sich einiges aus der Geschichte der Lokführergewerkschaft. Die GDL reklamiert für sich zwar gerne, die älteste Gewerkschaft Deutschlands zu sein, es stimmt nur nicht.

Richtig ist, sie ist eine der ältesten Gewerkschaften und die kleinste von drei Bahngewerkschaften - in ihr sind aber die meisten Lokführer organisiert. Das Erstlingsrecht unter den Gewerkschaften gebührt in Deutschland eindeutig den Zigarrenarbeitern und den Druckern, weil sie als erste für eine ganze Sparte bindende Tarifverträge abgeschlossen haben. Dieses Kriterium ist für die Beantwortung der Frage "Wer war zuerst da?" wesentlich relevanter, als zum Beispiel die Frage nach der ältesten Wirtschaft im Lande.

Die erste Vorgängerorganisation der GDL wurde 1867 unter dem Namen Verein Deutscher Lokomotivführer (VDL) gegründet. Der VDL war eine Hilfskasse, um die schon damals schlechte Altersversorgung der Lokomotivführer aufzubessern. "Hilfe zur Selbsthilfe" lautete der Leitgedanke der VDL-Gründung. Darüber hinaus sollten "die Interessen des Standes der Lokomotivführer vertreten werden." Mit Hilfe ihres Vereins wollten sie von ihrem bisherigen Status als Unterbeamte wegkommen und zu Subalternbeamten (mittlerer Beamtenrang) aufsteigen.

1919 erfolgte die Umbenennung des VDL in "Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer" (GDL). Um dem Verbot durch die Nazis zu entgehen, wählte die GDL nun wieder die Vereinsform, wurde aber dennoch 1937 von den Nazis ganz aufgelöst. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm sie nicht am Aufbau der Einheitsgewerkschaften teil, sondern trat 1950 dem ständischen Deutschen Beamtenbund (DBB) bei und ist heute (nach einem Intermezzo beim Christlichen Gewerkschaftsbund) nun wieder dessen Mitglied.

Von ruhmreichen, von der GDL geführten gewerkschaftlichen Kämpfen ist mir weder für die Zeit vor 1945 noch nach 1945 etwas bekannt - dann kamen die Arbeitskämpfe der letzten paar Jahre. Jahrzehnte lang hat sich die GDL-Führung an die Tarifabschlüsse der Eisenbahnergewerkschaft GdED/ Transnet und der Verkehrsgewerkschaft GDBA (sinnigerweise ebenfalls Mitglied der DBB-Tarifunion) angehängt. Das war nicht zum Segen der Lokführer deren Interessen bei den EVG-Vorgängerorganisationen Transnet und GDBA nicht gut aufgehoben waren.

Die GDL ist keine politisch fortschrittlich orientierte Gewerkschaft. Ein Blick auf die Homepage der GDL offenbart, dass sie nicht den leisesten Hauch eines gesellschaftlichen Gestaltungswillens besitzt. Der heutige GDL-Vorsitzende ist CDUMitglied - wie schon sein Vorgänger Manfred Schell. Schell kannte ich bis zu den jüngsten Streiks eigentlich nicht als Arbeiterführer, sondern als CDU-Hinterbänkler im Deutschen Bundestag und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Zwar stimmte er 1993 als einziger CDU-Abgeordneter gegen die "Bahnreform", unterstützte aber andererseits die Privatisierung von Post und Telekom. Zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der FDP befürwortet die GDL unter seiner Führung auch die Aufspaltung von Bahn und Schienennetz im Falle des Börsengangs der Deutschen Bahn.

Der EVG mag, wie vielen anderen DGB-Gewerkschaften auch, die Nähe zu ihren Mitgliedern bzw. zu deren berufsspezifischen Arbeits- und Einkommensbedingungen abhandengekommen sein. Zu den Lokführern aber hatten die EVG-Vorgängergewerkschaften aber schon deshalb keinen Zugang, weil diese Beamte waren.

Der GDL gelang es in den vergangen Jahren relativ erfolgreich, auch Zugbegleiter und Servicemitarbeiter zu organisieren und hat heute rund 34.000 Mitglieder, davon sind allerdings mehr als ein Drittel Pensionäre und Vorruheständler. Mit der im November 2010 vollzogenen Fusion von GDBA und Transnet zur 240.000 Mitglieder zählenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft im DGB bleibt die GDL mit ihren 34.000 Mitgliedern eine Minigewerkschaft, deren Existenz nicht nur vom geplanten Gesetz zur sogenannten Tarifeinheit bedroht ist, erst recht wenn man bedenkt, dass im DGB die ÖPNV-Beschäftigten im ver.di-Fachbereich Verkehr organisiert sind.

Einer Fusion mit den mitgliederstärkeren DGB-Gewerkschaften stehen nicht nur die Fehler der EVG im Wege. Es ist auch der eigene überkommene Standesdünkel, der eine Annäherung verhindert. Und die von der GDL geübte Überbetonung der beruflichen Besonderheiten ist nichts anderes als das Kennzeichen einer Standesorganisation.

Was Kleingewerkschaften wie die GDL, Cockpit und den Marburger Bund hauptsächlich zusammenhält und umtreibt, ist nicht der Wunsch nach dem Aufbau einer gewerkschaftlichen Gegenmacht, sondern Korpsgeist. Solidarität mit den kämpfenden Lokführern ist dennoch uneingeschränkt nötig. Ihr Kampf um höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung und bessere Arbeitsbedingungen ist auch unser Kampf, auch die Festgeldforderung ist mehr als löblich.

Klar, Gewerkschafter sind solidarisch mit den Streikenden. Auch wenn es uns die GDL-Führung nicht einfacher macht: Das Streikrecht, wann immer es in Gefahr ist, kann nicht vor dem Kadi erfolgreich verteidigt werden, sondern nur im gemeinsamen Kampf. Für die Zukunft ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich: Es ist guter und alter, aber auch bewährter gewerkschaftlicher Brauch, dass die Starken für die Schwachen kämpfen. Die ver.di-Vorgängergewerkschaft ÖTV erkannte dies in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um die Beamtenbezüge, die bis dahin weit unter den Industriearbeiterlöhnen lagen, endlich auf deren Höhe zu bringen, schickte ÖTV-Chef Heinz Klunker die nicht verbeamteten, noch schlechter verdienenden Müllwerker in die Tarifschlacht. Nach mehreren Tagen ohne Müllabfuhr roch es stark nach allem Möglichen, nur nicht nach einem faulen Kompromiss, und alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten profitierten davon. Was gewerkschaftliche internationale Interessenswahrnehmung bewegen kann, zeigte der erfolgreiche Kampf der Hafenarbeiter. Die haben im Streik gegen EU-Richtlinien nicht nur Standes-, sondern Landesgrenzen überwunden und damit das ewig gleiche Spiel der Konkurrenz untereinander durchbrochen. Das unter den Eisenbahnern innerhalb des Deutsche-Bahn-Konzerns ebenfalls auf den Weg zu bringen, sollte doch wohl machbar sein.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 44 vom 31. Oktober 2014, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2014