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GEWERKSCHAFT/270: Telekom-Bespitzelungsaffäre - ver.di wehrt sich gegen Verfahrenseinstellung (ver.di)


ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - Presseinformation vom 14. Juni 2010

Telekom-Bespitzelungsaffäre: ver.di wehrt sich gegen Verfahrenseinstellung


Berlin, 14.06.2010 - Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kündigt Widerstand gegen die von der Staatsanwaltschaft Bonn verfügte Einstellung der Ermittlungen gegen Ex-Telekom-Vorstandschef Kai-Uwe Ricke und den ehemaligen Telekom-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel an. Die von der Bespitzelungsaktion massiv in ihren Grundrechten geschädigten Arbeitnehmervertreter seien entsetzt darüber, dass Ermittlungen gegen die Spitzenmanager eingestellt worden seien.

"Wir werden weiter darum kämpfen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden - ungeachtet ihrer hierarchischen Stellung. Es geht in diesem Verfahren nicht um Bagatelldelikte, sondern um massive Verletzungen sowohl unserer Persönlichkeitsrechte als auch der grundgesetzlich garantierten Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Wenn zudem Gewerkschafter als Verhandlungsführer und Mandatsträger ausgeforscht werden, ist dies ein illegaler Eingriff in die Tarifautonomie", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder, der selbst zu dem Kreis der bespitzelten Arbeitnehmervertreter gehört.

Insgesamt waren von der illegalen Bespitzelungsaktion in den Jahren 2005/2006 mehr als 60 Gewerkschafter, Betriebsräte, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Kinder sowie Journalisten betroffen. Der Hintergrund der Aktion, die im Jahre 2008 aufgedeckt wurde, ist nach wie vor unklar.

Besonders kritisch seien mangelnde Einbeziehung und mangelnde Rücksichtnahme auf die Opfer. "Unseren Anwälten ist noch immer kein Einblick in die Ermittlungsakten gestattet worden", beklagte Schröder. Damit verzichte die Staatsanwaltschaft auf möglicherweise entscheidende Erkenntnisse zur Aufklärung der Straftaten. Offensichtlich würden dabei die Persönlichkeitsrechte der potenziellen Täter höher eingestuft als die der Opfer. "Es darf keine falsche Rücksichtnahme auf Prominente geben", fordert Schröder.

Jan Jurczyk


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Erklärung der Anwälte Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum zur Telekom-Bespitzelungsaffäre

Berlin/Düsseldorf 16.06.2010


Telekom-Bespitzelungsaffäre

Zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft Bonn, Anklage zwar gegen Mitarbeiter der Telekom zu erheben, die Ermittlungen gegen den früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel und gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke jedoch einzustellen, erklären wir für unsere 54 Mandanten.

1. Nach allen uns bekannten Fakten hätte gegen Zumwinkel und Ricke Anklage erhoben werden müssen. Dafür liegen eine Reihe schwer wiegender Indizien vor. Es ist zu kritisieren, dass sich der wichtige Belastungszeuge, Rechtsanwalt Hoffmann-Becking, auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen durfte, nachdem er zuvor eindeutig für die Unternehmensspitzen der Telekom tätig gewesen war. Konkret folgte die Staatsanwaltschaft der rechtlich bedenklichen Auffassung, dass zu einer Aussage dieses Zeugen nicht nur die vorliegende Aussagegenehmigungen der Telekom, sondern zusätzlich die der betroffenen beiden Unternehmensspitzen persönlich erforderlich sei. Es wäre aus unserer Sicht sinnvoll und richtig gewesen, die Entscheidung dieser Rechtsfrage dem Gericht zu überlassen, anstatt sie vorweg zu nehmen und damit die nahezu zweijährigen Ermittlungen gegen die früheren Unternehmensverantwortlichen quasi im Sande verlaufen zu lassen.

2. Trotz mehrjähriger Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Bonn den sowohl dem Bespitzelungsauftrag, wie auch der Ausspähungsaktion zugrunde liegenden Sachverhalt nicht korrekt beschrieben. Sie erwähnt weder in der Abschlussverfügung, in der sie die Verfahren gegen Zumwinkel und Ricke einstellt, noch in der Anklageerhebung gegen die übrigen Beschuldigten, dass diese Bespitzelungsaktionen auf dem Hintergrund kontroverser beschäftigungspolitischer Auseinandersetzungen im Unternehmen von Anfang an gezielt und ausschließlich gegen Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und in Betriebsräten der Telekom, sowie um Gewerkschaftsvorsitzende und - mitarbeiter handelte. Damit lässt sie auch alle Vorwürfe der gezielten Behinderung der Aufsichtsrats- und Betriebsratstätigkeit völlig außer Betracht.

3. Es ist rechtsstaatlich gleichfalls bedenklich, dass die Anwälte der durch die Bespitzelungsaktion geschädigten Opfer bis zur Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft und Anklageerhebung keine Möglichkeit der Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft hatten. Damit konnten die berechtigten Interessen der Opfer nicht angemessen vertreten werden; auch ihre Mitwirkung an der Aufklärung war nur beschränkt möglich. Damit hat die Staatsanwaltschaft ebenfalls ein wichtiges Instrument zur Aufklärung nicht genutzt.

4. Es ist unverständlich und steht mit den geltenden Rechtsvorschriften nicht in Einklang, dass die StA Bonn zu alledem noch die Verfahren wegen übler Nachrede u.a. gegen Zumwinkel und Ricke von dem Gesamtverfahren abtrennt. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, der Verdacht dieser Straftat sei erst im April 2010 angezeigt worden, ist unzutreffend, da bereits die Strafanzeige der Anwälte der Geschädigten vom 10.07.2008 sowohl Anzeige also auch die Strafanträge umfasste und die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen wurde. Da dieses Delikt die Folge Nebenklage der Opfer der Bespitzelung nach sich zieht, hätte dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft zur Folge, dass die Anwälte der Opfer jetzt auch insgesamt aus dem gerichtlichen Strafverfahren herausdrängt würden.

5. Das alles werden wir nicht hinnehmen. Deshalb sind nicht allein rechtliche Schritte gegen die bisherige Vorenthaltung der Einsicht in die Ermittlungsakten eingeleitet. Auch die Abschlussverfügung und Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bonn greifen wir mit der Beschwerde an.

6. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens von Zumwinkel und Ricke bleibt ihre Verstrickung in die Spitzelaffäre. Das hat die Telekom veranlasst, zivilrechtliche Ansprüche wegen Organisationsverschulden und Verletzung der Aufsichtspflicht geltend zu machen.

7. Entgegen der Zusage der Staatsanwaltschaft, rechtzeitig vor dem Verfahrensabschluss informiert zu werden, haben wir erst am heutigen Tage nur die Abschlussverfügung per Post erhalten, obwohl wir zuvor auch per Fax und E-Mail mit der Staatsanwaltschaft korrespondiert hatten. Die Anklageschrift haben wir von der Staatsanwaltschaft noch gar nicht zur Kenntnis bekommen. Daher sind Aussagen zu weiteren Einzelheiten heute noch nicht möglich. Am Donnerstag, dem 16.06.2010 um 11.30 Uhr in Bonn werden wir sie in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen.

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
Gerhart R. Baum


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Quelle:
Presseinformation vom 14.06.2010
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Jan Jurczyk - ver.di-Bundesvorstand
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2010