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HAUSHALT/395: Kommunen in Not - Gerecht geht anders (spw)


spw - Ausgabe 5/2011 - Heft 186
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Kommunen in Not - Gerecht geht anders

Von Wolfgang Uellenberg-van Dawen


Die Krise der kommunalen Haushalte

Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts befinden sich die kommunalen Haushalte in der Dauerkrise. Trotz vieler Anstrengungen und Programme, den Strukturwandel von der Industrie zu den Dienstleistungen zu bewältigen und Strukturbrüche zu verhindern, gehören allein in NRW die meisten Städte des Ruhrgebietes aber auch des Bergischen Dreiecks zu den ärmsten Städten der Republik. Heute befinden sich mehr als die Hälfte der NRW Kommunen im Nothaushaltsrecht, Oberhausen, Hagen, Wuppertal sind völlig überschuldet. Aber auch in anderen strukturschwachen Gebieten der Republik können die Kommunen schon seit Jahrzehnten ihre Haushalte nicht aus eigener Kraft mehr ausgleichen - so wie es die Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen vorschreiben.

Der sicherste Indikator für den "freien Fall der kommunalen Haushalte" so der Deutsche Städtetag im Gemeindefinanzbericht 2009 ist der Anstieg der Kassenkredite, mit denen die Kommunen vorübergehend laufende Ausgaben decken können, die aber zu einer Dauereinrichtung geworden sind: Allein von 2000 bis 2004 stiegen sie in NRW auf 18 Mrd. Blieben bis zur ersten Phase der Weltwirtschaftskrise 2008 die süddeutschen Länder von größeren Einbrüchen der kommunalen Einnahmen verschont, so mussten auch sie sich verschulden, um die laufenden Ausgaben zu decken.


Steigende Sozialausgaben als Ursache?

Von Seiten der kommunalen Spitzenverbände werden die steigenden Sozialausgaben und die Übertragung sozialer Leistungen ohne die notwendige Finanzierung wie etwa der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung durch den Ausbau der Kindertagesstätten und der Betreuung der unter Dreijährigen oder die Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter für die Haushaltsmisere verantwortlich gemacht. Tatsächlich sind die Leistungen der Kommunen für soziale Aufgaben einschließlich der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für Hartz IV Empfänger, die anteilig vom Bund mitfinanziert werden, von 20 auf 40 Mrd. Euro in den letzten zwanzig Jahren gestiegen. In der Tat müssen Bund und Länder den Kommunen das notwendige Geld mitgeben, wenn diese in ihrem Auftrag Aufgaben erfüllen sollen. Aber die wesentlichen Ursachen der ansteigenden sozialen Kosten liegen in einer verfehlten Beschäftigungspolitik, die die Langzeitarbeitslosen abschreibt, in den ansteigenden Kosten für Menschen, die regulär arbeiten, aber dennoch hilfsbedürftig bleiben, weil der Lohn nicht reicht und in der ansteigenden Altersarmut in Folge der Rentenreformen und in Zukunft der Rente mit 67.


Geleerte Kassen durch Steuersenkungen

Das Krisenjahr der kommunalen Finanzen war 2003, als in Folge der Unternehmenssteuerreform von Rot/Grün die Gewerbesteuereinnahmen wegbrachen und durch Rückzahlungsverpflichtungen an Großsteuerzahler wie die Post AG oder die BAYER AG, die sich aus der Senkung der Körperschaftssteuer von 40 auf 25 Prozent ergaben, blühende Städte zu "Armenhäusern" wurden, wo jeder Cent im Haushalt zweimal umgedreht werden muss. Seit dem Jahr 2000 haben verschiedenen Steuersenkungen bei den Kommunen Einnahmeausfälle von zusammengerechnet 40 Mrd. Euro verursacht (Bundesfinanzministerium, IMK der HBS 2011 in Böckler Impuls 13/2011). Allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Schwarz/Gelb hat 2010 und 2011 zusammen mit Einkommensteuersenkungen im Konjunkturpaket II von Schwarz/Rot die Kommunen mehr als 16 Mrd. gekostet. Es ist Ausdruck politischer Schizophrenie, wenn dieselben Parteien, deren kommunale Vertreter seit Jahren die Haushaltsmisere beklagen und Bund und Länder dafür verantwortlich machen, auf der Bundesebene und auch im Bundesrat durch Steuersenkungen eben diese Misere weitgehend verursachen.

Den Höhepunkt solcher Schizophrenie erreichte die Schwarz-Gelbe Koalition mit dem Vorhaben, die Gewerbesteuer abzuschaffen und durch einen kommunalen Hebesatz auf die Einkommensteuer und eventuell die Körperschaftssteuer zu ersetzen. Damit wären auf der einen Seite den Unternehmen rund 36 Mrd. Euro Steuern erlassen worden, während die Bürgerinnen und Bürger eine zweite, je nach Kommune unterschiedlich hohe Einkommensteuer hätten bezahlen müssen. Im Saldo hätte den Kommunen jedoch, so der Städtetag, mindestens jährlich zwischen 16 und 20 Mrd. In den Haushalten gefehlt.


Kommunen in Not

Dieser erneute Angriff auf die Substanz der kommunalen Einnahmen war für ver.di der Anlass, das Thema Kommunen in Not in den Vordergrund der Kampagne "Gerecht geht anders" zu stellen. Die Rente mit 67, die im November 2010 noch einmal im Bundestag auf ihre Sozialverträglichkeit überprüft werden sollte, die massiven Kürzungen zu Lasten der Arbeitslosen, mit denen Schwarz Gelb den Bundeshaushalt Schuldenbremsen fähig machen wollte, die Kopfpauschale - alle diese Themen wurden von den DGB Gewerkschaften in ihren Herbstaktionen 2010 aufgegriffen und auf Betriebsversammlungen und Kundgebungen, auf denen mehr als 3 Millionen Menschen erreicht wurden, heftig kritisiert.

Kommunen in Not wurde jedoch zu einem Thema, wo es ver.di und den DGB Gewerkschaften gelang, eine breite Öffentlichkeit in den Kommunen selbst zu mobilisieren. Denn die Politik der Haushaltskonsolidierung, zu der sich Kommunen seit den 80er Jahren gezwungen sehen, hatte zu massiven Kürzungen bei den Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger geführt.

Das beginnt beim Personal: Allein in NRW sank von 1992 bis 2008 die Zahl der Beschäftigten von 370.000 auf 290.000 Köpfe (Eicker-Wolf, Truger, Kommunalfinanzen in NRW S. 28). Bundesweit sank die Zahl der Ausbildungsplätze bei den Kommunen 2000 bis 2008 von 52.373 auf 33.356 Köpfe. Personalabbau bei gleichzeitig wachsenden Aufgaben aber belastet nicht nur die Beschäftigten, sondern vor allem die Einwohner selbst. Das beginnt beim fehlenden Personal in den Kindertagesstätten, im Jugendamt, in den Bürgerhäusern und Bürgerzentren und endet bei den Meldehallen, Ordnungsämtern und der Wirtschaftsförderung noch lange nicht. Denn die Voraussetzung für gute Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger sind gut ausgebildete und angemessen bezahlte Beschäftigte.

Deutlicher noch wurden die kommunalen Investitionen zurückgefahren: Die Quote sank von 2 auf 0,8 Prozent des BIP. Löcher in den Straßen, sanierungsbedürftige Kanäle, verrottende öffentliche Gebäude, unhygienische Schultoiletten, einsturzgefährdete Denkmäler, geschlossene Schwimmbäder - die Folgen fehlender Investitionen kann jeder vor seiner Haustür besichtigen oder auch auf der ver.di Homepage, wo wir viele dieser Beispiele gesammelt haben. Nicht errechenbar ist der wirtschaftliche Schaden, denn die Kommunen sind wichtige Investoren und Auftraggeber, meist für die regionale Wirtschaft. Gerade in strukturschwachen Gebieten kommt kommunalen Investitionen eine wichtige Aufgabe zu. Aber auch die Lebensqualität selbst hat sich verschlechtert: Theater und Bibliotheken mussten schließen, soziale Projekte aufgegeben werden, die Wohnungsbauförderung ging zurück. Die Folge: Die Spaltung in den Städten zwischen den Stadtteilen in denen sich gut und besser Verdienende Leistungen der Daseinsvorsorge privat kaufen können und solchen, in denen ärmere Einwohner auf unzureichende öffentliche Angebote verwiesen sind, wächst.

Diese Themen wurden und werden von ver.di öffentlich und in den Betrieben und Verwaltungen aufgegriffen. Einbezogen sind dabei auch die Beschäftigten der kommunalen Unternehmen. Sie müssen durch Sparprogramme Mittel für die Kommunalen Haushalte erwirtschaften oder aber geraten in Gefahr an Private verkauft zu werden. Dass der Druck auf die Kommunen seit Jahren gewachsen ist, kommunales Eigentum zu verkaufen oder sich auf für die Kommunen am Ende ungünstige Privat-Public-Partnership Konstruktionen einzulassen, war kein purer Zufall. Denn gerade diejenigen politischen Kräfte, die seit Jahren Steuersenkungen fordern und durchsetzen sind meist auch diejenigen, die Privat vor Staat fordern - so die konservativen und liberalen - oder die wie einige Sozialdemokraten und Grüne glauben, privat eben effizienter sei. Ein - wie sich an vielen praktischen Beispielen gezeigt hat, Irrglaube.


Gerecht geht anders:

Gerecht - so die ver.di Kampagne - geht anders als permanente Steuersenkungen zu Lasten der Kommunen wie des Sozialstaates insgesamt, geht anders als Sozialabbau und Entsicherung der Arbeitsverhältnisse, geht anders als Entlastung der Unternehmen und Belastung der Bürgerinnen und Bürger: Gerecht heißt; sozial gerechte Finanzierung des Sozialstaates durch die Besteuerung von Vermögen, höherer Steuern auf Erbschaften und Einkommen und für die Kommunen eine stabile Einnahmequelle: die Gemeindewirtschaftssteuer. Gerecht heißt mehr Investitionen, mehr Personal und damit mehr Leistungen für eine gute Daseinsvorsorge.

Mit diesem Ansatz verbindet ver.di die Vertretung der Interessen der bei den Kommunen Beschäftigten mit den Interessen der Einwohnerinnen und Einwohner und damit auch der Kommunalpolitik selbst. Dass dieser Ansatz erfolgreich war, zeigte das breite Bündnis der Gewerkschaft, der Mehrheit der Bundesländer, den kommunalen Spitzenverbänden und vielen Oberbürgermeistern und Stadtparlamenten, an denen der Angriff auf die Gewerbesteuer im Frühjahr 2011 dann endgültig gescheitert ist. Damit wurde eine wichtige Einnahmequelle erhalten.

Das Thema steht auf der Tagesordnung und nun kommt es darauf an, den nächsten Schritt möglichst gemeinsam zu tun: für einen sozial gerecht und auskömmlich finanzierten Sozialstaat zu sorgen, dessen Basis lebenswerte Städte und Gemeinden sind.


Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen ist Bereichsleiter Politik und Planung in der ver.di Bundesverwaltung.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2011, Heft 186, Seite 44-46
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011