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INTERNATIONAL/138: Kambodscha - Ansturm auf Land, Investoren vertreiben Kleinbauern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Februar 2013

Kambodscha: Ansturm auf Land - Investoren vertreiben Kleinbauern

von Michelle Tolson


Bild: © Michelle Tolson/IPS

Vertriebene Bauernfamilien in Kambodscha
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Phnom Penh, 15. Februar (IPS) - Nean Narin und seine Familie lebten in Boeung Kak, einem Dorf am Rande der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, jahrelang von Fischfang und von der Landwirtschaft. Doch ein großangelegtes Bauprojekt hat zur Versandung des nahen Sees und zur Vertreibung von mehr als 3.000 Familien geführt.

Mitte 2008 begannen Arbeiter damit, Sand in den Boeung-Kak-See zu pumpen, wo auf einer Fläche von 133 Hektar Geschäftsgebäude und Wohnhäuser entstehen sollen. Finanziert wird das Vorhaben von dem einheimischen Unternehmen 'Shukaku', das einem Senator der regierenden Kambodschanischen Volkspartei gehört. Pächter des Geländes ist die chinesische Firma 'Erdos Hong Jun Investment'.

Narin, seine Nachbarin Tep Vanny und viele andere Dorfbewohner wollten bleiben. Sie leben nun von der Hand im Mund und haben keine regelmäßigen Einkünfte mehr. "Wir wissen inzwischen, was es heißt, Hunger zu leiden", sagt der dreifache Vater Narin.

Vanny berichtet, dass ihre Eltern inzwischen in die ländliche Provinz Kampong Speu gezogen sind, etwa 48 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Doch auf das Land, auf dem sie sich niedergelassen haben, erhebt nun ein großer Zuckerproduzent Anspruch. "Ihnen droht nun zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit die Vertreibung." Vanny zufolge wurden alle Obstbäume abgeholzt, ohne dass die Eltern entschädigt worden wären.

Die Bauern, die in Boeung Kak geblieben sind, können ihr ehemaliges Land inzwischen für 100 Dollar im Jahr von dem Investor pachten. Die bereits verarmten Menschen haben sich dadurch hoffnungslos verschuldet.

Kleinbauern, die früher ein bescheidenes Auskommen hatten, kämpfen in dem südostasiatischen Staat mit rund 14 Millionen Einwohnern mittlerweile Tag für Tag um ihr Überleben. Grund dafür ist der Ansturm von Käufern auf Grundstücke, der Beobachtern zufolge während der Finanz- und Ernährungskrise 2007 und 2008 begonnen hat.


Armut durch Vertreibungen weiter verschärft

In Kambodscha sichert Landbesitz das Überleben. 80 Prozent der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Zwei Drittel der Kambodschaner sind arm, ein Drittel muss nach UN-Angaben mit weniger als 0,61 US-Dollar pro Tag auskommen. Hunger und Unterernährung sind so groß, dass Kambodscha zu den 33 besorgniserregendsten Ländern der Welt gezählt wird. Die Welle der Landkäufe, deren Auswirkungen Narin und seine Nachbarn erfahren mussten, lässt befürchten, dass sich die Lage der Menschen weiter verschlechtern wird.

In den vergangenen 20 Jahren haben zahlreiche ausländische Direktinvestitionen (FDIs) das Leben der Kambodschaner eher verschlechtert. Das 1989 eingeführte Modell der Marktwirtschaft, von dem seit 1993 auch ausländische Investoren profitieren, hat das internationale Finanzengagement rapide ansteigen lassen. Von nahezu dem Nullpunkt im Jahr 1990 erhöhten sich die Investitionen bis 2008 auf 800 Millionen Dollar, wie die UN-Agrarorganisation FAO mitteilte.

Unter den größten Investoren waren zwischen 2000 und 2010 asiatische Staaten. An der Spitze stand China mit 47,6 Prozent der FDIs, gefolgt von Südkorea mit 18,8 Prozent. Zunächst wurde das Geld vor allem in Bereiche wie Tourismus (53 Prozent), Infrastruktur (21 Prozent) und in die Textilindustrie (20 Prozent) gepumpt. Seit fünf Jahren ist jedoch ein kontinuierlicher Anstieg der Investitionen im Immobilienbereich zu beobachten.

Kambodschanische und ausländische Experten führen diesen Boom auf die globale Finanz- und Ernährungskrise vor einigen Jahren zurück. Ackerland wurde damals für wohlhabende Länder interessant, die ihre Agrarproduktion auslagerten, um die eigene Nahrungssicherung zu verbessern. Auch Finanzspekulanten stürzten sich auf Grundstücke.

Für Millionen Bauern in Kambodscha könnten die 'Land Grabs' katastrophale Folgen haben. Bereits jetzt sind etwa 20 Prozent der Bauernfamilien ohne eigenes Land, mit steigender Tendenz. Selbst Menschen in ländlichen Gebieten, die Landtitel besitzen, stehen ohne Hilfe da, wenn internationale Investoren mit der Regierung Pachtverträge mit einer Laufzeit von 70 bis 99 Jahren abschließen. Kambodschanische Menschenrechtsgruppen kritisieren, dass Kleinbauern zudem nur geringe Entschädigungen erhalten.


Jährlich Millionen Hektar Land an Firmen verpachtet

Nach Angaben der Koalition für Agrarreform und ländliche Entwicklung (ANGOC) gehen jährlich etwa zwei Prozent der Landfläche an neue Nutzer. Die Kambodschanische Liga für den Schutz der Menschenrechte (LICADHO) berichtete kürzlich, dass die gesamte Fläche jedes Jahr mehr als zwei Millionen Hektar ausmacht. Bis 2012 seien etwa 22 Prozent des Landes in Kambodscha an private Firmen verpachtet worden.

Über die internationalen Akteure, die an diesen Geschäften beteiligt sind, ist wenig bekannt. Eine Klausel im kambodschanischen Landgesetz gibt der Regierung grünes Licht, um jeweils bis zu 25.000 Hektar Land für fast ein Jahrhundert zu verpachten. Wie der Parlamentarier Mu Sochua erklärte, ist auf fast allen Verträgen die Unterschrift des Regierungschefs zu finden. Zwischen 2003 und 2008 wurden laut LICADHO etwa 250.000 Kambodschaner durch die Landkonzessionen an Investoren geschädigt.

Aktuelle Zahlen zum Umfang des veräußerten Landes liegen aber nicht vor. Der jüngste Bericht des Agrarministeriums stammt von 2006. In dem Jahr wurden 30 Pachtverträge mit ausländischen Firmen geschlossen. Etwa die Hälfte der Investoren kam aus China, die übrigen aus Vietnam, Thailand, Südkorea und den USA.

ANGOC warnt nun angesichts der Entrechtung der Kleinbauern vor einer bevorstehenden Nahrungskrise in der Region Südostasien, wo 75 Prozent aller Farmer auf der Welt lebten, von denen 80 Prozent Kleinbauern seien. Wie Sochua formulierte, "bedeutet Land Leben und Würde. Ohne Land werden Bauern lebenslang zu Arbeitern und Sklaven von Plantagenbesitzern." Der durchschnittliche Lohn für Landarbeiter liegt in Kambodscha zwischen 2,5 und fünf Dollar täglich. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://babcambodia.org/stopevictions/Boeung_Kak.htm
http://www.un.org.kh/undp/what-we-do/poverty-reduction
http://www.spp.nus.edu.sg/docs/case/LKYSPPCaseStudy11-01_Cambodia_Land_Reform-Beoung_Kak_Lake.pdf
http://www.giz.de/de/weltweit/383.html
http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/tcsp/docs/Cambodia_Profile_Final.pdf
http://www.licadho-cambodia.org/reports/files/134LICADHOREportMythofDevelopment2009Eng.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/02/land-is-life-and-its-slipping-away/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2013