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INTERNATIONAL/242: Sinkende Rüstungskäufe durch Ölpreisverfall (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2015

Abrüstung: Sinkende Rüstungskäufe durch Ölpreisverfall

von Thalif Deen


Bild: © Justin R/cc by 2.0

Der fortgesetzte Niedergang der Erdölpreise beeinträchtigt die Kaufkraft und den Wert einiger Währungen
Bild: © Justin R/cc by 2.0

New York, 5. Januar (IPS) - Kurz vor der Jahreswende hatte das 'Wall Street Journal' die satirische Kolumne 'Ein nicht ernst gemeinter Ausblick auf das bevorstehende Jahr' gebracht. Darin beschwört der Kommentator und Journalist Hugo Rifkind einen so heftigen Niedergang der Erdölpreise herauf, dass die Menschen dazu veranlasst werden, das Öl nur noch wegen der Fässer zu kaufen und den Inhalt wegzukippen.

Rifkinds Parodie auf den Ölmarkt mag zwar von der Wirklichkeit weit entfernt sein. Tatsache ist jedoch, dass der rapide Preisverfall gute und schlechte Nachrichten bereithält.

In den USA wurde der Niedergang der Erdölpreise als unerwarteter aber durchaus willkommener Stimulus der rezessionsgeplagten Wirtschaft begrüßt. So titelte eine Zeitung: "(US-Präsident Barack) Obama geben die niedrigen Ölpreise Anlass zu Hoffnung." Und der Londoner 'Economist' rechnete vor, dass sich durch einen Einbruch der Preise um 40 US-Dollar pro Barrel etwa 1,3 Billionen US-Dollar von den Ölproduzenten in Richtung Verbraucher verlagern würden.

Doch für die Volkswirtschaften Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Nahostregion stellt der fortgesetzte Preisverfall - von etwa 107 Dollar pro Barrel im Juni 2014 auf derzeit weit unter 60 Dollar - eine ernste Gefahr dar. So macht sich bereits ein Kaufkraft- und Wertverlust etlicher Währungen bemerkbar. Betroffen sind der russische Rubel, der brasilianische Real, die indonesische Rupie, der venezolanische Bolivar, der nigerianische Naira, der chilenische Peso, die türkische Lira und der malaysische Ringgit.

Auf kurz oder lang wird der Verfall der Ölpreise aber auch die Militärausgaben und den boomenden Multi-Milliarden-Dollar-Waffenmarkt in Nahost schrumpfen lassen - zur großen Freude von Friedensaktivisten, die mit einer internationalen Abrüstungskampagne die Staaten zur Verringerung ihrer Verteidigungsausgaben bringen wollen.


Reiche Erdöleinnahmen, hohe Verteidigungsbudgets

Allein die Waffeneinkäufe der sechs Golfmonarchien Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Kuwait, Katar, Oman und Bahrain wurden durch die Ölexporteinnahmen nach dem Motto 'Je höher die Erdöleinnahmen, desto umfangreicher die Waffensysteme' befeuert. Regionale Ausnahmen sind Israel und Ägypten, die von der kostenlosen Militärhilfe der USA abhängen.

Wie Pieter Wezeman vom Waffentransfer- und -produktionsprogramm des 'Stockholm International Peace Research Institute' (SIPRI), gegenüber IPS bestätigt, wird sich der Rückgang der Erdöleinnahmen seiner Meinung nach auf jeden Fall auf die Rüstungsausgaben der nahöstlichen Staaten auswirken.

Die saudischen Rüstungsimporte hatten in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreicht, gingen dann aber wieder schnell zurück. Diese Entwicklung führt Wezeman zum Teil auf einen Verlust von Erdöleinnahmen zurück. Allerdings nahmen Saudi-Arabien und die VAE nach SIPRI-Angaben im Jahr 2013 mit 67 Milliarden beziehungsweise 19 Milliarden Dollar den vierten beziehungsweise 15. Platz unter den Waffeneinkaufsstaaten ein. Die ersten drei Plätze belegten im gleichen Jahr die USA mit 640 Milliarden, China mit 188 Milliarden und Russland mit 88 Milliarden Dollar.

Da die Waffenempfängerländer dazu neigten, ihre Rüstungsausgaben und Rüstungskäufe 'undemokratisch' zu verschleiern und geheim zu halten, schließt Wezeman allerdings nicht aus, dass sie die Einbrüche bei den Öleinnahmen mit Hilfe von Kürzungen in anderen Bereichen kompensieren könnten. Saudi-Arabien hatte bei der Vorstellung seines Haushaltes für 2015 zwar erklärt, man werde die Ausgaben "rationalisieren". Was genau damit gemeint ist, wurde jedoch nicht ausgeführt.

Noch hat das Land sehr viel Spielraum. So belaufen sich seine Auslandsreserven nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf insgesamt 750 Milliarden Dollar.

Nicole Auger, Militäranalystin für die Regionen Nahost und Afrika bei dem weltführenden, auf Militärfragen spezialisierten Marktforschungsinstitut 'Forecast International', erklärt gegenüber IPS, dass eine auf fünf Jahre (2015-2019) hochgerechnete Schätzung der Verteidigungsausgaben in der Region Nahost eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 3,48 Prozent ergibt. Im vorangegangenen Zeitraum (2010-2014) waren es noch 8,45 Prozent gewesen. Auger führt diesen Absturz teilweise auf den zu erwartenden Rückgang der Ölpreise zurück.

Für Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und die VAE bedeutet dieser Trend eine Irritation, der diese vier Länder bequem über mehrere Jahre standhalten könnten, so die Expertin. "Deshalb erwarte ich auch keine signifikanten Änderungen bei ihren Verteidigungsausgaben. Diese Märkte sind riesig, und es wird großzügig in den Aufbau der Verteidigungskapazitäten investiert."


Durchhaltevermögen erwartet

Saudi-Arabien verfügt über das viertgrößte Militärbudget der Welt und wird den nahöstlichen Waffenmarkt allen Prognosen zufolge auch weiterhin dominieren. Auch vom Iran und vom Irak, den Hauptleidtragenden des Ölpreisverfalls, sind keine wesentlichen Verhaltensänderungen zu erwarten. Auger zufolge werden die beiden Nachbarstaaten aufgrund der Umwälzungen und der Zerrissenheit im Landesinneren allein schon aus Sorge um die eigene Sicherheit in die nationale Verteidigung investieren. Der Iran, der unter den Folgen internationaler Sanktionen im Zusammenhang mit seinem Nuklearprogramm leide, fühle sich bedroht. "Aus iranischer Sicht geht kein Weg daran vorbei, militärisch aufzurüsten. Demgegenüber verlässt sich der Irak stärker auf seine Verbündeten."

Wie der SIPRI-Experte Wezeman betont, zeigt sich die Bedeutung, die der Nahost-Region als Markt für Rüstungsgüter zukommt, in der Tatsache, dass 2013 allein schon die Waffenverkäufe an Saudi-Arabien ein Fünftel des gesamten Lieferungsumfangs des drittgrößten Rüstungslieferanten der Welt, der 'BAE Systems', ausmachten. Der zweitgrößte Waffenproduzent, 'Boeing', der bereits mit einem Rückgang seiner Kampfhubschrauberlieferungen an seinen wichtigsten Kunden, die USA, rechnet, wird zunehmend von Exporten abhängig sein.

Auch die nahöstliche Militärindustrie rüstet auf. Allerdings ist sie im Vergleich zu den Produzenten in den traditionellen waffenproduzierenden Ländern vergleichsweise unbedeutend, wie Wezeman betont.

Sollten die Waffenlieferungen in Nahost abnehmen, wird sich der Wettbewerb der Lieferfirmen um Kunden in anderen Weltregionen wie Nord-, Süd-, Südost- und Südasien, in denen die Militärausgaben nach wie vor steigen und die Abhängigkeit von den Ölpreisen nicht so ausgeprägt ist, deutlich verschärfen. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/01/oil-price-plunge-could-take-a-bite-from-arms-budgets/

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IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2015


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