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INTERNATIONAL/255: Libanon - Recycling sichert letzter Glasbläser-Werkstatt das Überleben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2015

Libanon: Recycling sichert letzter Glasbläser-Werkstatt das Überleben

von Oriol Andrés Gallart


Bild: © Oriol Andrés Gallart/IPS

Die Glasbläserwerkstatt der libanesischen Familie Khalife
Bild: © Oriol Andrés Gallart/IPS

Beirut, 8. April (IPS) - In der Werkstatt der Familie Khalife in dem südlibanesischen Küstendorf Sarafand stehen vier Männer hochkonzentriert neben einem Ofen. Der eine von ihnen bläst durch eine Glasmacherpfeife, zwei andere geben der entstandenen Glaskugel die Form eines Bierglases. Der vierte und erfahrenste von ihnen trennt die Kuppe ab.

Die Mitglieder der letzten Glasbläser-Dynastie im Libanon arbeiten in Schichten rund um die Uhr, damit ihre Kunden rasch beliefert werden können. Zurzeit stellen sie in Handarbeit 133.000 Biergläser her, die von 'Almaza', einer Tochterfirma des Brauereiunternehmens 'Heineken', bestellt wurden. Almaza ist das meist getrunkene Bier in dem arabischen Land.


Krieg in Syrien schmälert Tourismuseinnahmen

Als Ziad Abichaker die Khalifes vor zwei Jahren anrief, konnte sich die Familie eine Bestellung in dieser Größenordnung nicht einmal im Traum vorstellen. Der Ofen der Werkstatt lag da bereits fünf Monate still, und der vom Tourismus abhängige Betrieb stand im Zuge des Bürgerkrieges kurz vor der Schließung.

Der Ingenieur Abichaker, dessen Firma 'Cedar Environmental' Anlagen zur Produktion von organischem Dünger baut, sah jedoch eine Chance, die Glasbläserwerkstatt wieder in Schwung zu bringen.

Während des Libanonkriegs hatte die israelische Luftwaffe im Juli 2006 die einzige Grünglas-Fabrik des Landes in der Bekaa-Ebene zerstört. Investoren, die den für den Wiederaufbau notwendige Betrag in Höhe von 40 Millionen US-Dollar hätten aufbringen können, waren nicht zur Stelle. Seither sahen sich lokale Bier- und Weinproduzenten dazu gezwungen, leere Flaschen aus dem Ausland einzuführen.

Abichaker, der über sein Unternehmen zehn städtische Müllverwertungsanlagen betreibt und der zuvor die Fabrik in der Bekaa-Ebene beliefert hatte, begann etwa zeitgleich damit, Altglas zu sammeln. "Etwa 71 Millionen leere Flaschen werden jährlich zu den Deponien gebracht", berichtet er. "Für das Grünglas, das in unseren Müllanlagen aussortiert wurde, gab es keine Verwendungsmöglichkeiten. Doch wollte ich nicht, dass es im Müll landete."


Start mit 60 Tonnen Altglas

Als 2013 die Zusammenarbeit zwischen Abichaker und der Familie Khalife begann, hatte der Unternehmer bereits 60 Tonnen Bierflaschen gesammelt. Nach Aufstellung eines Businessplans wurden moderne Designobjekte entworfen. Denn außer Gläsern sollten auch Tassen, Vasen und Lampen entstehen.

Für Cedar Environmental sei die Grünglas-Recycling-Initiative Libanon (GGRIL) ein Non-Profit-Projekt, erklärt Abichaker. "80 Prozent der Einkünfte erhalten die Glasbläser der Familie Khalife, die verbleibenden 20 Prozent gehen an den Händler."

Die im Rahmen der Initiative hergestellten Glaserzeugnisse werden mittlerweile an zehn Orten in der Hauptstadt Beirut verkauft, unter anderem in Restaurants, Kunstgalerien und Geschenkeläden. Seit Kurzem bieten Abichaker und die Familie Khalife die Waren auch im Internet an.


Glasrecycling erlebt Aufschwung

Hussein Khalife ist zufrieden, dass der Familienbetrieb und die Glasbläsertradition bestehen bleibt. "Das Risiko hat sich gelohnt", sagt er. Ende letzten Jahres wurden Erlöse von mehr als 42.000 Dollar erzielt. Dann kam die bislang größte Bestellung von Almaza.

Abichaker ist zuversichtlich, dass dieser Auftrag keine Eintagsfliege sein wird. Inzwischen konnte mit Hilfe von Spendengeldern ein Lkw angeschafft werden, der das Altglas aus den Abfalleimern nahe der beliebtesten Nachtlokale Beiruts abtransportiert. Bei einer Crowdfunding-Aktion kamen im vergangenen Jahr etwa 30.000 Dollar zusammen. "Bis Ende 2015 werden wir wahrscheinlich eine Million Bierflaschen recycelt haben, die ansonsten auf den Müllkippen abgeladen worden wären", schätzt Abichaker.


Überlastete Mülldeponie

Dies ist allerdings nur ein kleiner Teil der rund 1,57 Millionen Tonnen fester Abfälle, die jedes Jahr im Libanon anfallen, wie ein Bericht der Umweltplattform 'Sweep-net' von 2010 belegt.

Das meiste Grünglas geht im Libanon auf die Deponie der Küstengemeinde Naameh südlich von Beirut. Die 1997 eröffnete Halde sollte ursprünglich nur sechs Jahre lang betrieben werden. 18 Jahre später ist sie aber immer noch geöffnet. Nachdem eine Schließung für Januar 2015 geplant war, hat die Regierung des Libanons eine Verlängerung der Frist um drei Monate genehmigt, da eine Alternative nicht vorhanden war.

"Es ist eine Katastrophe. Die Müllkippe ist völlig überfüllt", berichtet Paul Abi Rached, Vorsitzender der unabhängigen Umweltorganisation 'TERRE Liban'. Der Aktivist berichtet von einer hohen Schadstoffbelastung der Luft und dem Eintritt von Sickerwasser ins Mittelmeer. Der Regierung wirft er vor, sich nicht genug für die Entwicklung des Abfallrecyclings einzusetzen. Der Staat vergebe Aufträge an den Privatsektor, ohne ihm umweltverträgliche Auflagen zu machen.

Nach Ansicht von Abichaker ist es umso wichtiger, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Müllwiederaufbereitung zu überzeugen. "Die Leute erkennen inzwischen zwar, dass sich der Zustand der Umwelt auch auf ihre Gesundheit und ihre Lebensumgebung auswirkt. Doch bis zu einem wirklichen Umweltbewusstsein ist es noch ein weiter Weg." (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/recycling-revives-art-of-glass-blowing-in-lebanon/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2015

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