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INTERNATIONAL/277: Brasilien - Wirtschaftskrise bremst Infrastrukturausbau aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2015

Brasilien: Wirtschaftskrise bremst Infrastrukturausbau aus

von Mario Osava



Bild: © Mario Osava/IPS

Teil der Werft 'Atlántico Sur', der größten in der Hafenstadt Puerto de Suape im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco
Bild: © Mario Osava/IPS

RIO DE JANEIRO (IPS) - Zusätzlich zum Rückgang des Bruttoinlandsprodukts, einer hohen Inflationsrate und einem gewaltigen Haushaltsdefizit erlebt Brasilien derzeit, wie große Infrastrukturprojekte zum Erliegen kommen - eine Entwicklung, für die das südamerikanische Land bitter bezahlen muss.

Viele im Bau befindliche Großprojekte bekommen das Ende einer Ära zu spüren, in der eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen mit hohen Preisen für die Ressourcen einherging.

Die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft hat sich besonders negativ ausgewirkt. So sind die Preise für Eisenerz seit 2013 um mehr als 60 Prozent gefallen. Für Brasilien hatte dies zur Folge, dass die Ausbeutung etlicher Eisenlager ins Stocken geriet und auch die Zukunft von zwei im Bau befindlichen Eisenbahnlinien im Nordosten des Landes ungewiss ist.

Der Bau des Westöstlichen Integrationsschienenwegs FIOL, der durch den Bundesstaat Bahia verlaufen und die Sojaanbaugebiete mit der Küste verbinden soll, hängt davon ab, dass die Eisenmine in Caetité, 380 Kilometer Luftlinie von der Hafenstadt Ilheus, ausgebeutet wird.

Ähnlich ist es um die Transnordöstliche Eisenbahnroute im weit entfernten Norden bestellt, die ebenfalls eine Mine und ein landwirtschaftliches Anbaugebiet mit zwei Häfen verbinden soll. "Die Mine ist noch nicht mal vorhanden", meint dazu Newton de Castro, Professor an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro.


Schlechte Konzeption

"Minderwertige Erze werden vom Markt gedrängt, sobald die Nachfrage abnimmt, was sich negativ auf die Eisenbahnlinien auswirkt, über die das Erz transportiert werden soll", so de Castro, ein auf Transportsysteme spezialisierter Ingenieur. Wie er kritisiert, sind die in den letzten Jahren wie Pilze aus den Boden geschossenen Projekte, die die Infrastrukturmängel beheben sollen, schlecht konzipiert.

Die Unsicherheiten bezüglich der Inbetriebnahme der Caetité-Mine unterlaufen zudem den Bau von Porto Sul, der Endstation der Fiol-Eisenbahn. Mit dem Bau des Megahafens muss noch begonnen werden, und die geplanten Arbeiten an der Eisenbahnstrecke werden in den staatlichen Plänen zur Ausweitung der Transportrouten nicht mehr erwähnt.

Größere Fortschritte macht hingegen der Bau der Transnordöstlichen Linie, die von der Existenz zweier Zielhäfen und Industriekomplexe profitiert: Suape im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco und Pecém in Ceará, einem der nördlichsten Bundesstaaten des südamerikanischen Landes.

Doch die an Eisen und anderen Mineralien reichen Lagerstätten, für die sie gebaut wurde, liegen seit dem Bankrott des Eigentümers Eike Batista, einst der reichste Mann Brasiliens, verlassen da.

Einem anderen großen Infrastrukturprojekt, der Carajás-Eisenbahn, das von dem größten brasilianischen Bergbauunternehmen 'Vale' durchgeführt wird, ist offenbar mehr Glück beschieden. "Es wird hochwertige Mineralien zu niedrigen Kosten transportieren, weil der Konzern von der Existenz einer Infrastruktur profitiert, die nur noch ausgebaut werden muss", so de Castro.


Bild: © Mario Osava/IPS

Die Carajás-Eisenbahnlinie, die die Region, in der unlängst große Eisenlagerstätten entdeckt wurden, mit dem Hafen Ponta Madeira in der nordöstlichen Stadt São Luis verbindet
Bild: © Mario Osava/IPS

Die abgesackte Nachfrage nach brasilianischen Rohstoffen und der Niedergang der internationalen Rohstoffpreise sorgen dafür, dass die kostenintensiven Minen und die kleinen Bergbaufirmen aus dem Verkehr gezogen werden. Nutznießer werden große Unternehmen wie Vale, der britisch-australische Multi 'Rio Tinto' und 'British Anglo American' sein.

Brasilien ist nach Australien das zweitgrößte Eisenproduktions- und -exportland der Welt. Vale wiederum ist der größte Einzelerzeuger des Rohstoffs. Hauptabsatzmarkt ist China.

Der Einbruch der Bergbauindustrie ist aber nur ein Grund für die negativen Auswirkungen auf die Hafenprojekte. Auch der Niedergang der Erdölpreise und der Skandal um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras fordern ihren Tribut.

Die drastisch gekürzten Investitionen von Seiten von Petrobras haben den Regierungsplänen, eine starke Schiffsbauindustrie mit Dutzenden Werften längs der brasilianischen Küste zur Herstellung von Schiffen, Offshore-Ölplattformen und anderem für die Erdölförderung und Hochseeoperationen erforderlichem Equipment zu etablieren, einen Dämpfer aufgesetzt.

Die Krise führte zur Entlassung zehntausender Arbeiter und Einstellung der Arbeiten in vielen Werften und den umliegenden Hafengebieten. Das Unternehmen 'Enseada', das für Petrobras sechs Werften bauen sollte, musste seit 2014 fast alle seiner 7.000 Beschäftigten entlassen. Die Firmenanlage ist nur zu 82 Prozent fertiggestellt. Diese und andere Fehlinvestitionen bedeuteten einen enormen Ressourcenverlust, der nicht leicht zu verkraften ist.

"Das Programm stand ohnehin auf tönernen Füßen: Die Krise hat fehlgeleitete und schlecht konzipierte Investitionen abgestraft", so Adriano Pires, ein Ökonom und Leiter des Brasilianischen Infrastrukturzentrums, einer Beratungsfirma.


Ernüchterung auch im Erdölsektor

Der Großteil der 2006 entdeckten Öllagerstätten befindet sich Offshore. Die Begeisterung, mit der man nach der Entdeckung großer Öllager unter einer dicken Salzschicht in mehr als 5.000 Meter Tiefe über den Aufbau einer Industrie für Erdölförderausrüstungen gesprochen hatte, ist inzwischen verflogen.

Um die tiefliegenden Ölfelder zu bergen, bedarf es Technologien, Schiffe und Equipment. Die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2010) hatte eine Strategie zur Entwicklung dieser Untersalzreserven entwickelt, in der Petrobras eine dominante Rolle spielte.

Doch die vielen Pläne, die zur Gründung zahlreicher Werften führten, erwiesen sich als Illusion. Stattdessen kam es zu mehr Korruption, wie Pires, ein erklärter Gegner der Mittelinks-Regierung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff, die seit dem 1. Januar 2011 im Amt ist, berichtet. Eine Erholung des Sektors werde langsam erfolgen und schwierig sein und eine andere Regierung erfordern, die über mehr Glaubwürdigkeit verfüge. Außerdem bedürfe es eines Regelwerks, das Rechtssicherheit garantiert, um Investitionen anzuziehen.

Die Bereiche Erdöl und Infrastruktur sind seiner Ansicht nach die Sektoren, die die Erholung der brasilianischen Wirtschaft voranbringen und die seit letztem Jahr anhaltende Rezession in den Griff bekommen könnten.

Unter Analysten bestehen jedoch Zweifel, ob eine Ausbeutung der Untersalzölreserven angesichts der derzeitigen Erdölpreis, die bei derzeit knapp 50 Dollar pro Barrel liegen, überhaupt machbar ist. Doch Pires ist zuversichtlich, dass sie sich in den kommenden fünf Jahren wieder auf 60 bis 70 Dollar pro Barrel hochschrauben werden.

Der Energiesektor hingegen wurde von der Krise bisher verschont. In dem 202 Millionen Einwohner zählenden Land ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Strom gering. Er wird den Experten zufolge aber in den kommenden Jahren ansteigen, was wiederum neue Infrastrukturprojekte erforderlich mache, wie André Lucena, Professor für Planung der Föderalen Universität von Rio de Janeiro, erklärt. "Weshalb zusätzliche Wasserkraftwerke nicht schaden können."

In Brasilien spielen Staudämme eine besondere Rolle. Der Strom ist preiswert - im Gegensatz zu dem, der in Erdöl-, Gas- oder kohlebetriebenen Wärmekraftwerken generiert wird. Diese kommen Lucena zufolge immer dann zum Einsatz, wenn es zu Engpässen bei der Stromproduktion durch Staudämme kommt. (Ende/IPS/kb/07.09.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/09/crisis-en-brasil-arruina-infraestructura-en-construccion/
http://www.ipsnews.net/2015/09/crisis-in-brazil-hampers-infrastructure-under-construction/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

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