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INTERNATIONAL/355: Globale Ungleichheit zum eigenen Vorteil (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit


Globale Ungleichheit zum eigenen Vorteil
Der Exportschlager der neoliberalen Handelspolitik

von Nelly Grotefendt und Jürgen Maier


Wenn man die Handelsstrategie der Kommission der Europäischen Union (EU) 'Trade for all - Handel für alle' zur Hand nimmt, bekommt man fast den Eindruck, die Welt würde durch die EU-Handelspolitik endlich zu dem besseren Ort. Die Handelspolitik soll verantwortungsbewusster werden - und somit wirksamer und natürlich transparenter. Denn wenn die Kommission eines gelernt hat aus der Debatte um das Transatlantisches Freihandelsabkommen EU-USA (TTIP) & Co, dann ist es, doch immer und überall höchste Transparenz zu geloben. Dennoch scheint die Zielsetzung der Handelspolitik sich nicht verändert zu haben. Obwohl die Kommission den eigenen Weg so sehr lobt, nimmt die Ungleichheit weltweit zu. Wie passt das zu einer verantwortungsvollen Handelspolitik?


Die Welthandelsorganisation (WTO) ist mit ihrem multilateralen Handelsregime nun gut 20 Jahre in Takt, die EU schließt fleißig weitere bi- und plurilaterale Abkommen ab, und doch beobachten wir wachsende Ungleichheit. Nicht nur zwischen Globalem Süden und Norden, sondern auch bei uns in Deutschland. Dabei ist doch jeder 4. Arbeitsplatz vom Export abhängig, also direkt beeinflusst durch die EU-Handelspolitik. Wenn diese also wirklich so wunderbar ist wie in 'Trade for all - Handel für alle' - müsste es da nicht steil bergauf gehen mit der Gleichheit aller?

Dass dieser Umstand bisher nicht in Sicht ist, liegt nicht zuletzt an der Ausrichtung der Handelspolitik. Seit Jahrzehnten setzt sie einseitigen Zugang zu dem so genannten freien Weltmarkt, ohne dem Markt die nötigen sozialen und ökologischen Regeln zu geben. Diese Art von Globalisierung hat Nebenwirkungen: Die Ungleichheit nimmt vielerorts zu, der verstärkte Wettbewerbsdruck wird zum Leid der Beschäftigten ausgetragen oder geht zu Lasten des Umwelt- und Verbraucherschutzes.

Dabei ist die EU mit 500 Millionen VerbraucherInnen mit der größte Handelsblock der Welt und könnte einen Beitrag dazu leisten, den Welthandel gerechter zu machen. Ganz im Sinne der Rhetorik der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN) "könnte die EU vorangehen in der Welt". Doch bisher wird sie dieser Verantwortung nicht gerecht. Denn trotz aller Bekenntnisse zu mehr Transparenz und der neu ausgerichteten Handels- und Investitionsstrategie vertritt die EU mit ihrer Außenhandelspolitik in erster Linie die Interessen europäischer Unternehmen. Doch selbst im internationalen Forum, in dem Wirtschaft und Politik aufeinandertreffen - dem Weltwirtschaftsforum in Davos - wird die wachsende Ungleichheit vermehrt angemahnt.


Alles Lippenbekenntnisse?

Zum Auftakt des diesjährigen Weltwirtschaftsforums im Schweizer Alpenort Davos mehrten sich wieder mal die Appelle zum Abbau sozialer Ungleichheit. Nicht zuletzt Indiens Premierminister Narendra Modi sprach in seiner Eröffnungsrede davon, dass gesellschaftliche Distanzen und Risse überwunden werden müssten. "Eine Entwicklung verdient nur ihren Namen, wenn wirklich alle daran teilhaben dürfen", sagte er dazu. Nun ist Davos nicht zuletzt ein großes Schaulaufen für die Elefanten der Weltpolitik. Und auch in diesem Jahr bewegte die Außenwirtschaftspolitik der USA die internationale Gemüter. Doch leider führt sie nur allzu sehr dazu, dass alte, ideologisch aufgeladene Begriffe wie Freihandel und Protektionismus in ihrer pauschalen Benutzung wieder en vogue sind und dabei doch nur vom Kern der Problematik ablenken. Somit hat auch der indische Premier in seiner Rede am Thema vorbeigeredet, indem er sagte, man müsse die Menschen miteinander verbinden, statt sie zu trennen. Immer mehr Länder würden sich stärker auf sich selbst konzentrieren, das sei das Gegenteil von Globalisierung und eine besorgniserregende Lage.

Dabei geht es im Kern darum, dass die aktuelle Ausgestaltung der Handelspolitik, auch der EU, immer weiter mehr VerliererInnen produziert als GewinnerInnen - und das, obwohl seit Jahrzehnten das Mantra "Wohlstand durch Handel" pausenlos und pauschal wiederholt wird. Unterm Strich nicht falsch, werden manche jetzt sagen. Ja, schon, aber eben auch nur für eine sehr kleine GewinnerInnengruppe weltweit. Und dabei ist egal, ob man die Label Freihandel oder Protektionismus draufklebt. Unterm Strich muss mehr für alle rauskommen - und das tut es derzeit nicht.


Die EU-Handelspolitik bedroht eine soziale und nachhaltige Wirtschaftsregulierung in Entwicklungsländern

In der Öffentlichkeit erweckt die EU-Kommission gerne den Eindruck, sie würde sich in internationalen Handelsgesprächen für Umweltinteressen, Arbeitsstandards und entwicklungspolitische Ziele einsetzen. Doch die Realität sieht anders aus. Der Fokus liegt unter anderem auf bilateralen Verhandlungen zur Marktöffnung verschiedenster Staaten, die aufgrund ihrer Größe und ihres Wirtschaftswachstums als Konkurrenten angesehen werden. Dazu gehören u. a. die südostasiatischen Staaten wie Vietnam, Malaysia, Indonesien, aber auch China und Japan und der südamerikanische Mercosur-Raum - sprich Urugugay, Paraguay, Argentinien und Brasilien. Die Kommission strebt beispielweise noch in dieser Legislaturperiode eine Ratifikation des Freihandelsabkommens mit Japan an.

Zudem verhandelt die Kommission weiterhin mit einer Reihe anderer Entwicklungsländer über neue Freihandelsabkommen - nicht zuletzt seit vielen Jahren mit den afrikanischen Staaten die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs). Neben der weitgehenden Marktöffnung für europäische Agrar- und Industrieexporte versucht sie dabei, die weitreichende Deregulierung der Dienstleistungsmärkte durchzusetzen. Das ist die eine Seite der Medaille, doch diese Öffnung und Liberalisierung geht damit einher, dass die Parlamente und Regierungen der Entwicklungsländer erheblich darin eingeschränkt werden, beispielsweise Dienstleistungsmärkte im Interesse des Gemeinwohls zu steuern. Sie werden also darin beschnitten, für einen Abbau der herrschenden Ungleichheit zu regulieren.


EU-Handelspolitik im Agrarsektor verschärft globale Ungleichheit

Wenn es um Agrarexporte geht, schwebt der Kommission allerlei vor. Diese Ideen basieren nicht zuletzt auf den Vorstellungen und Ansprüchen der Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland: EU-Exporte von Milchpulver nach Nigeria und Burkina Faso, Schweinefleisch an die Elfenbeinküste, Hühnerfleisch nach Kamerun sowie Tomatenpaste nach Ghana ... und das alles zu Preisen unterhalb der lokalen Erzeugungskosten. Das ist heute schon Realität. EU-Erzeuger haben somit neue Absatzmärkte für ihr Modell der Agrarindustrie, doch gleichzeitig üben sie dadurch enormen Druck auf die Preise aus und beeinträchtigen Einkommensgrundlagen und das Recht auf Nahrung von Bäuerinnen und Bauern in Entwicklungsländern. Ein globaler Markt für alle Produkte fragt nicht, ob es Sinn ergibt, Milch um den halben Globus zu schippern, auch nicht nach CO2-Abdruck des Produktes oder sozialen Folgeerscheinungen eines globalen Dumping-Wettlaufs. Dabei könnten all diese oben genannten Produkte vor Ort lokal produziert werden und Einkommen für ProduzentInnen und in der Weiterverarbeitung generieren.

Aber auch die massiven Importe nach Deutschland und in die EU von Sojabohnen und Sojaschrot, u. a. für die Tierhaltung, führen zu weitreichenden Menschenrechtsverletzungen und zerstören die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Der ressourcenintensive Anbau von Soja beansprucht in Südamerika rund 57 Millionen Hektar und führt zu Entwaldung und Landkonflikten. Das gentechnisch veränderte Saatgut ist in der Regel an den Einsatz von Pestiziden gekoppelt. Dies bringt fatale Folgen für Menschen und Natur in den betroffenen Ländern, vor allem in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay mit sich.

Für eine gerechtere Welt braucht es also Entscheidungsfreiraum. Den darf sich niemand durch Knebelverträge nehmen lassen.


Nachhaltigkeit: Keine Pflicht zur Umsetzung

Das Thema der Ungleichheit zieht sich auch durch die Verträge selbst. Das Problem: Während alle anderen Teile des Abkommens mit Sanktionen bewehrt sind - also beispielsweise Verstöße gegen die Pflicht zur Zollsenkung mit Strafen belegt werden können - gilt das für die Nachhaltigkeitskapitel, die ggf. auch in Verträgen aufgeführt werden, um den Bereich der ArbeitnehmerInnenrechte, des Umweltschutzes und Nachhaltigkeit zumindest mal zu erwähnen, nicht. Ausgerechnet im Abkommen festgeschriebene ArbeitnehmerInnenrechte oder Umweltstandards sind damit nicht effektiv durchsetzbar. Nachhaltigkeitskapitel verkommen somit zu reinen Feigenblättern, die wunderbar in die Rethorik der Kommission um mehr Verantwortung passen, sonst aber keinerlei Auswirkungen haben. Die Handelsverträge, die die Regierungen in den vergangenen 25 Jahren geschlossen haben, sind gleichsam die Verfassung der Weltwirtschaft. Egal ob multilateral, regional oder bilateral - sie sind ein Regulierungshindernis für eine Politik der Nachhaltigkeit: Wenn Nachhaltigkeitspolitik ein Handelshemmnis sein könnte, ist sie verboten eine völlig falsche Prioritätensetzung. Es muss andersherum sein: Wenn Handelsabkommen ein Nachhaltigkeitshemmnis sind, gehören sie grundlegend geändert. Nur so kann wachsender Ungleichheit begegnet werden.

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Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 10-11
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2018

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