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INTERNATIONAL/358: Handelskriege - Deutschland bald allein zu Hause? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Handelskriege: Deutschland bald allein zu Hause?
Der Exportweltmeister strapaziert das Welthandelssystem zu Lasten aller anderen

von Jürgen Maier


Ein Gespenst geht um in der Welt: der Handelskrieg. Quasi im Alleingang hat US-Präsident Trump die Schalthebel des angeblich unumkehrbaren Zuges der Globalisierung auf rückwärts gestellt. Nach monatelangem Hin und Her sind nun die US-Zölle für Stahl und Aluminium in Kraft, auch für die Europäische Union (EU) und die Nachbarländer Kanada und Mexiko. Nach dem G7-Fiasko holt er schon zum nächsten Schlag aus: Er lässt sein Handelsministerium prüfen, ob Einfuhrzölle von 25 Prozent auf Autos verhängt werden sollen. In Berlin wurde Alarmstufe 1 ausgelöst: Nichts weniger als das Geschäftsmodell des Exportweltmeisters Deutschland steht auf dem Spiel.


Deutschland und die EU setzen dagegen auf die Kraft der Fakten, so heißt es. Europäische Firmen investieren in den USA, schaffen Arbeitsplätze, die Handelsbeziehungen seien von beiderseitigem Vorteil - Argumente, die allerdings so defensiv klingen, dass niemand glaubt, dass sie in Washington etwas bewirken werden. Die deutschen Autokonzerne verkaufen rund 10 Prozent ihrer Produktion in den USA. Für andere europäische Autohersteller ist der US-Markt praktisch bedeutungslos. Während man in Brüssel und im Rest der EU eher auf einen harten Kurs gegen Trump setzt, ist die Bundesregierung durchaus konzessionsbereit. Selbst das bis vor Kurzem noch geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) wird schon wieder ins Gespräch gebracht, um Trump zu besänftigen. Nun mit weitgehendem Zollabbau, also ein "TTIP light".


Der Überschuss des einen ist das Defizit des anderen

Alles das löst aber nicht das Grundproblem: Die USA sind das Land mit dem größten Handelsbilanzdefizit, und Deutschland häuft immer höhere Rekord-Exportüberschüsse auf. Kein Welthandelssystem, kein noch so ausgefeiltes Handelsabkommen kann solche Ungleichgewichte auf Dauer aushalten. Das deutsche Geschäftsmodell 'Exportweltmeister' stößt offensichtlich an seine Grenzen: Exportstärke ist eben auch Exportabhängigkeit, und damit Verwundbarkeit. Wie jede Abhängigkeit hat sie auch eine Menge Schattenseiten. Mit 48 Prozent Export anteil am Bruttoinlandsprodukt steht Deutschland allein auf weiter Flur, kein anderes Industrieland kommt auch nur annähernd auf solch hohe Werte.

Außer mit China hat Deutschland mit praktisch allen seinen wichtigsten Handelspartnern hohe und weiter wachsende Überschüsse. Dass das nicht nachhaltig sein kann, ist offensichtlich. Der Überschuss des einen ist zwangsläufig das Defizit des anderen - die Handelsbilanz der Welt ist immer Null. Was man in Berlin als Erfolgsmodell feiert, ist für den Rest der Welt längst ein immer größerer Störfaktor geworden.


Standort Deutschland

Gerne hört man in Berlin, man produziere eben tolle Waren, die überall gerne gekauft werden. Damit habe die Politik nichts zu tun. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist kaum zu bestreiten, dass niemand so sehr von Globalisierung, Binnenmarkt und Euro profitiert wie "die deutsche Wirtschaft", aber auch niemand seine Wirtschaft so systematisch und mit so hohen sozialen Kosten auf globale Wettbewerbsfähigkeit getrimmt hat wie die deutschen Regierungen der letzten 20 Jahre. Politik und Wirtschaft haben die globale Wettbewerbsfähigkeit, die Doktrin des "Standorts Deutschland" quasi zur Staatsreligion erhoben. Nirgendwo wurden mit solcher Verve Unternehmenssteuern gesenkt, Arbeitsmärkte dereguliert, Niedriglohnsektoren und Zeitarbeit ausgebaut wie in Deutschland. Würden Franzosen, Italiener und andere das deutsche Modell kopieren, würden sie einen Wettlauf nach unten in Gang setzen, bei dem Normalarbeitnehmer nur verlieren können. Aber man kann nur strukturelle Exportüberschüsse haben, wenn andere strukturelle Defizite haben. "Germany First", Deutschland zuerst, ist die unausgesprochene Devise des deutschen "Erfolgsmodells" - und sie wird im Ausland auch immer stärker so wahrgenommen. Schließlich können nicht alle Exportweltmeister sein. Die sozialen Kosten der deutschen Wettbewerbsfähigkeits-Ideologie sind im Inland schon hoch genug, aber auch unsere Nachbarländer leiden darunter massiv. Deshalb brennt das Feuer längst auch innerhalb der EU. Die Wahlen in Italien, die offene Kampfansage der neuen Regierung gegen das Brüsseler und Berliner Diktat sind eine neue Qualität. Wer - wie deutsche "Qualitätsmedien" - die Südeuropäer und Franzosen wahlweise als verrückt, faul oder unproduktiv hinstellt, braucht sich über entsprechende Antworten nicht zu wundern.

Mehr Wirtschaftsnationalismus, mehr Protektionismus - das sind die wohl unvermeidlichen Folgen der neoliberal geprägten Globalisierung heutigen Musters. Da kaum jemand davon so sehr profitiert wie die deutsche Wirtschaft, ist es kein Wunder, dass die Bereitschaft zu Reformen in Deutschland und damit in Brüssel so gering ausgeprägt ist, wie nirgendwo anders. Aus Berliner und Brüsseler Sicht gibt es keinen Änderungsbedarf am heutigen "regelbasierten Handelssystem". Überzeugend ist das für die anderen immer weniger. So steht heute faktisch nicht mehr nur das System der Welthandelsorganisation (WTO) zur Disposition, selbst der Fortbestand von Euro und EU wird zunehmend in Frage gestellt.


EU-Handelspolitik auf Autopilot

Noch werden die Zeichen der Zeit trotzig verdrängt. Munter verhandelt die EU 20 weitere Freihandelsabkommen nach demselben altbekannten neoliberalen Strickmuster, von dem man erwarten kann, dass es dieselben Resultate bringt, wie bekannt: den globalen Konkurrenzkampf aller gegen alle mit zu wenigen Gewinnern, zu vielen Verlierern, zu wenig Nachhaltigkeit, zu viel Ungleichheit. Seit Jahren konstatiert die globale Wirtschaftselite bei ihren Konklaven in Davos genau diese Lageanalyse über den Zustand der Globalisierung - Konsequenzen ziehen sie fahrlässigerweise nicht.

Je größer die Rückschläge, desto größer die Verbissenheit der EU, so weiterzumachen wie immer, als habe man den Autopiloten eingeschaltet: Man wolle ein Bollwerk gegen Protektionismus und Nationalismus sein und kippt in Wirklichkeit doch nur Öl ins Feuer. Wenn aber von diesem Regelwerk zu wenige profitieren, hat es keine Zukunft. Trump zeigt, welches Kartenhaus ein solches Regelwerk im Ernstfall ist. Hätte man doch TTIP, könnte Trump das nicht machen, wollen uns die ganz Schlauen weismachen. Warum aber sollte Trump ein TTIP-Abkommen respektieren, wenn er die WTO-Abkommen schlicht ignoriert? Mit einem TTIP, wie man sich das in Berlin und Brüssel zu Obamas Zeiten vorgestellt hatte, wäre vermutlich der deutsche Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA sogar noch größer geworden. Schließlich war das Hauptziel die umfassende Ausweitung des Marktzugangs für europäische Konzerne in den USA, ohne Rücksicht auf die Verlierer eines solchen Projekts. Keine gute Idee. Zum Glück haben wir das verhindert.


Neustart für Wirtschaft und Handel

Wir brauchen einen Neustart in der Wirtschaftspolitik. Es geht nicht um Protektionismus oder Freihandel, es geht um eine neue Balance zwischen globalen und regionalen Märkten und eine neue Balance zwischen Prioritäten in der Handelspolitik. Es geht um eine Neuauflage einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft statt der Exzesse des "Shareholder-Value-Neoliberalismus", wo der Unternehmenswert oberste Priorität hat. Wir brauchen eine Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient, und nicht nur Investoren. Umverteilung darf nicht mehr von unten nach oben stattfinden, sondern umgekehrt. Eine solche Zielsetzung der Wirtschaftspolitik braucht auch eine andere Handelspolitik - und zwar weder exzessive Globalisierung noch protektionistischen Wirtschaftsnationalismus und "Handelskriege". Dabei muss es auch Mechanismen gegen exzessive Überschüsse und Defizite, ebenso gegen Umwelt- und Sozialdumping geben.

Wer es mit der Wettbewerbsfähigkeit übertreibt, muss gebremst werden. Wer das blockiert, bekommt noch mehr Wahlsiege von Leuten wie Trump. Genau das passiert zurzeit. Machen wir uns nichts vor: Eine Reform der WTO-Verträge oder anderer Freihandelsabkommen ist nicht in Sicht, die kann nur im Konsens beschlossen werden. Wahrscheinlicher ist daher eine weitere Erosion eines Vertragssystems, von dem immer mehr Akteure glauben, dass es sie benachteiligt. Ob sie das zu Recht glauben oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Die verzweifelten Versuche der EU-Kommission und der Bundesregierung, mit den 20 geplanten weiteren Freihandelsabkommen einfach so weiterzumachen, werden das eher noch verschärfen. Auch diese Verträge werden im Ernstfall immer öfter einfach ignoriert werden, wenn sie überhaupt zustande kommen. Das internationale System steht vor einer langen Phase anhaltender Unsicherheit: Für den "Global-Governance-Multilateralismus", die zunehmende internationale Integration der letzten Jahrzehnte stehen außer westeuropäischer Eliten und 'Think Tanks' (Denkfabriken) nicht mehr viele Leute, weil sie nicht den Eindruck haben, dass er ihnen nützt.

Die Notwendigkeit eines wirtschafts- und handelspolitischen Neustarts ist offensichtlich, aber die Bereitschaft der wirtschaftlichen und politischen Eliten Europas zu einem solchen Politikwechsel ist weiterhin nicht erkennbar. Jedenfalls nicht freiwillig. Bereiten wir uns auf ruppige Zeiten vor.

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Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 23-24
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2018

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