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KONFERENZ/173: Der G20-Gipfel in Los Cabos ist gescheitert (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 26 vom 29. Juni 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Rangelei und fromme Sprüche
Der G20-Gipfel in Los Cabos ist gescheitert

von Klaus Wagener



Die Spin-Doctors und Sprachdesigner haben wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Die Fotos zeigen eine gut gelaunte Truppe, die Aufstellung genommen hat wie ein Kegelclub vor der Weinverköstigung. Auch die Abschlussdeklaration strotzt nur so vor positiven Absichten: "Wir sind vereint in unserer Entschlossenheit Wachstum und Jobs zu fördern. Und ähnliches mehr. Beschäftigung, sozialer Schutz, Handel, Festigung der internationalen Finanzarchitektur, Ernährungssicherheit, Rohstoffpreisstabilität, Langzeitprosperität und grünes Wachstum; es gibt kaum etwas auf der internationalen Agenda, für das die G20 in Los Cabos nicht entschlossen den Arm gehoben hätten. Dabei blieb es dann aber auch.

Die G20-Mitglieder der Euro-Zone werden "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Integrität und Stabilität der Euro-Zone zu sichern", heißt es da beispielsweise. Was Frau Merkel und ihre Bundesbank-Mitstreiter wohl getrost als eine Aufforderung zu einem entschlossenen "Weiter so!" interpretieren werden. "Wir blicken nach vorn zu einer Eurozone, die partnerschaftlich mit der neuen griechischen Regierung zusammenarbeitet, um deren Verbleib auf dem Pfad der Reformen und der Nachhaltigkeit zu sichern", verbreitet die Deklaration frohe Kunde. Es dürfte kaum etwas geben, das weiter von der Realität entfernt liegt.

Jenseits der schönen Worte haben die G20, die für 87 Prozent des Welt-BIP stehen, nicht viel zu bieten. Es gibt nicht einmal mehr den Versuch der selbsternannten Weltenlenker die offenkundigen Probleme der sich wieder verschärfenden Weltwirtschaftskrise effektiv anzugehen. Der G20-Gipfel in Los Cabos setzt damit die Entschlussunfähigkeit des G8-Gipfels in Camp David, 18./19. Mai 2012, bruchlos fort. Substantiell ist einzig die Erhöhung der IWF-Ressourcen. Frau Lagarde wird in Zukunft mehr als eine Billion Dollar zur Verfügung stellen, um Staaten, genauer gesagt: Banken zu "retten". Da diese Form der "Rettung" (siehe Griechenland) getrost als Drohung verstanden werden darf, lässt sich hierin auch die finanzielle Sicherstellung eines gigantischen Kapazitätsvernichtungsprogramms erblicken.

Sowohl G8 als auch G20 sehen offenbar keine Möglichkeiten mehr, die Krisendynamik expansiv und kooperativ zu überwinden. Das heißt, die in der Krise zu Tage tretende Kluft zwischen Produktions- und Konsum-Kapazitäten durch kreditgestütztes Wachstum zu überbrücken sowie die aus den mangelhaften Verwertungsmöglichkeiten entstandene Hypertrophie ("krebsartiges" Wachstum - d. Red.) der Spekulationssphäre zu schrumpfen. Um diesen Weg möglich zu machen, bedürfte es des koordinierten Handelns zumindest der imperialistischen Hauptakteure. In einer Welt der offenen Grenzen, fehlenden Kapitalverkehrskontrollen und gigantischen privaten Finanzvolumina wären einzelne Staaten spekulativen Angriffen hoffnungslos ausgeliefert. Eine solche Kooperation ist - zumindest momentan - offenkundig nicht erreichbar. Zu tief sind die Interessendivergenzen, die sich aus den spezifisch unterschiedlichen Positionen der imperialistischen Zentren ergeben. Stattdessen wird der Anpassungsprozess in einem kontraktiven und konkurrenzbestimmten und, speziell in der Eurozone, mit Hilfe der "Finanzmärkte" orchestrierten Prozess der Anpassung des Angebots an die gesunkene Nachfrage vorangetrieben. Konkret bedeutet diese nächste Runde des "Race to the bottom": Pleiten, Arbeitslosigkeit, Lohnsenkung, Sozialabbau etc. pp. Die Aufstockung der IWF-Mittel meint in diesem Kontext: Die Brandstifter, bevor sie großflächig zu zündeln beginnen, spendieren der Feuerwehr noch eine neue Pumpe, damit am Ende nicht auch noch ihr eigenes Haus abbrennt. Damit hat sich die Linie des Kanzleramtes und der Bundesbank weitgehend durchgesetzt. Zur Kooperation bedarf es vieler, Egoismus gelingt auch allein. Alle Versuche, die deutschen Austeritätsfanatiker zu einer expansiveren Wirtschaftspolitik zu bewegen, sind in Los Cabos gescheitert. Natürlich gilt die hübsch klingende Allerwelts-Formel "Wir verpflichten uns alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen", im Schlussdokument auch für den Themenbereich "ökonomische Stabilisierung" und "globale Erholung". Doch dürften die Protagonisten, wie auch bei der "Rettung" der Eurozone, hierunter zum Teil sehr unterschiedliche Dinge verstehen. Die Kanzlerin beispielsweise gibt vor zu glauben, die ökonomische Stabilisierung sei zu befördern, indem man in der Euro-Peripherie Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung mit einem harten Austeritätskurs vorantreibt. Dieser Kurs, der für die deutsche Wirtschaft den Vorteil der preiswerten Fachkräfterekrutierung und Erhöhung der Marktdominanz enthält, dürfte nicht nur auf den Widerstand in den betroffenen Euro-Staaten, sondern auch auf den Argwohn und den Unmut der asiatischen und US-amerikanischen Konkurrenz stoßen.

Die Krise der Euro-Zone, des größten globalen Wirtschaftsraumes, droht die noch immer anämische Konjunktur in den USA und selbst das sich deutlich abschwächende Wachstum in Asien und den Schwellenländern deutlich mit abzubremsen. Die Obama-Administration steht, vor den Wahlen, noch immer vor einer Arbeitslosigkeit in der weiteren offiziellen Abgrenzung von 14,8 Prozent (U-6, plus Entmutigte und ungewollt nur Teilzeitbeschäftigte). Der Case-Shiller-Hauspreisindex fällt, nach einer kurzen Zwischenerholung 2010, längst wieder monoton. Eine Bodenbildung ist bei der geplatzten Immobilienblase auch nach sechs Jahren noch nicht in Sicht.

In China sehen die Zahlen zwar noch gut aus. Sie sind - von hohem Niveau kommend - aber deutlich schwächer. Sorge bereitet, ob der gigantische Kapazitätsaufbau des exportorientierten, nachholenden Entwicklungsmodells in einer krisenhaften, tendenziell protektionistischeren Weltwirtschaft tatsächlich eine nachhaltige Perspektive ermöglicht. Der dazu notwendige Umbau auf einen stärker binnenmarktorientierten Kurs ist zwar angekündigt, aber lange nicht bewältigt. Die Gefahr der Blasenbildung ist auch hier nicht zu übersehen.

Die japanische Wirtschaft, seit dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre in der Dauerkrise, liefert gewissermaßen die Blaupause für die gegenwärtige Krisenentwicklung. Damals allerdings noch in einem boomenden, kooperationsbereiten Umfeld. Nun ist die Lage deutlich anders. Die Parole der Frontfrau des deutschen Finanzkapitals "Wir wollen gestärkt aus der Krise hervorgehen" meint durchaus: auf Kosten anderer. Diese Botschaft scheint, wie der Streit in Los Cabos zeigt, inzwischen verstanden worden zu sein. Putzige Bilder hin oder her.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 25 vom 22. Juni
2012, Seite 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2012