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MEINUNG/118: Eigenbeschuss im Halbleiterkrieg (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. Mai 2023
german-foreign-policy.com

Eigenbeschuss im Halbleiterkrieg

Der US-Wirtschaftskrieg gegen China gefährdet die Halbleiterbranche im Westen. Der Aufbau neuer Chipfabriken in Deutschland ist durch Mangel an ausgebildetem Personal bedroht.


WASHINGTON/BERLIN - Der US-Wirtschaftskrieg gegen China droht zu ernsten Schäden für die westliche Halbleiterbranche zu führen, darunter auch die neu im Entstehen befindlichen Chipfabriken in den USA und in Deutschland. Darauf weist Jen-Hsun Huang hin, der Chef des zur Zeit wertvollsten Halbleiterkonzerns der Welt, Nvidia. Laut Huang wäre ein sanktionsbedingter Verlust des gewaltigen chinesischen Markts für Nvidia kaum zu stemmen. Die Gefahr wächst, seit Beijing sich am Sonntag erstmals mit Sanktionen zur Wehr gesetzt hat - gegen den US-Chiphersteller Micron. Micron hofft, die Verluste auf einen einstelligen Umsatzanteil begrenzen zu können. Andere US-Firmen mit größerem Chinageschäft träfen Sanktionen heftiger; Huang schätzt den Anteil des Chinageschäfts am Umsatz der US-Chipbranche auf ein Drittel. Bräche der westliche Absatz in China im großen Stil ein, entstünden zudem auf beiden Seiten des Atlantiks Überkapazitäten, die durch den Aufbau neuer Chipfabriken im Westen noch massiv vergrößert würden. Ob der Aufbau neuer Chipfabriken in Deutschland gelingt, ist dabei weiterhin ungewiss - unter anderem wegen Mangels an hinlänglich ausgebildetem Personal.

Erste Erfolge

Für die Bundesregierung zeichnen sich bei ihrem Versuch, neue Halbleiterfabriken in Deutschland anzusiedeln, inzwischen Erfolge ab. Wie berichtet wird, können der deutsche Autozulieferer ZF und der US-Chiphersteller Wolfspeed wohl damit rechnen, dass die EU die für ihre gemeinsame Chipfertigung im Saarland in Aussicht gestellten Berliner Subventionen noch im Juni genehmigen wird.[1] Damit stünde dem Vorhaben nichts mehr im Weg. Das Dresdener Halbleiterwerk des Dax-Konzerns Infineon wird mittlerweile für rund fünf Milliarden Euro erweitert; es handelt sich um die größte Investition in der Geschichte des Unternehmens.[2] Der US-Konzern Intel plant weiter eine Chipfabrik in Magdeburg, pokert allerdings noch um die Höhe der Subventionen. Nun wird zusätzlich bekannt, dass TSMC aus Taiwan der Entscheidung, ebenfalls eine Halbleiterfabrik in Dresden zu bauen, näher rückt. Vorstandsmitglied Kevin Zhang erklärt, das Vorhaben mache inzwischen "gute Fortschritte"; zwar stehe noch nichts fest, ein Beschluss im August sei allerdings wahrscheinlich.[3] Wie Beobachter konstatieren, ist Zhangs Äußerung die positivste, die bisher von TSMC zu hören war. Man dürfe dies als günstiges Zeichen für eine Ansiedlung des Konzerns in Dresden werten, heißt es.

Hindernisse

Ungeachtet der Erfolge werden immer wieder auch kritische Stimmen laut. So monieren Halbleiterhersteller, die Tatsache, dass die Energiekosten in Deutschland erheblich etwa über denjenigen in den Vereinigten Staaten liegen - ein Ergebnis nicht zuletzt des westlichen Wirtschaftskrieges gegen Russland -, erschwere es doch sehr, Chips zu konkurrenzfähigen Preisen in der Bundesrepublik zu fertigen. Darüber hinaus treibt der Subventionswettbewerb, in dem sich die Vereinigten Staaten und die EU befinden, die Staatszuschüsse in die Höhe; Intel etwa, dem die Bundesregierung bereits stolze 6,8 Milliarden Euro zugesagt hat, verlangt inzwischen zehn Milliarden Euro.[4] Berlin muss schon jetzt gewaltige Summen aufwenden: Allein für das Projekt von Wolfspeed und ZF wird eine halbe Milliarde Euro bereitgestellt; Infineon fordert eine Milliarde Euro. Auch TSMC beansprucht riesige Beträge. Dabei decken die derzeitigen Vorhaben noch längst nicht alle wichtigen Schritte in der Chipproduktion ab. So werden, wie Beobachter konstatieren, bislang nur sogenannte Frontend-Fabriken in der EU errichtet; das sogenannte Backend aber - Verpacken und Testen der Halbleiter - werde, weil es überaus personalintensiv sei, weiterhin in Asien durchgeführt.[5] Die Ansiedlung von Frontend-Fabriken in Deutschland beende also die Abhängigkeit nicht.

Zu wenig Spezialisten

Nicht zuletzt fehlen in der Bundesrepublik die für die Halbleiterproduktion dringend benötigten Spezialisten. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln im März in einem Gutachten feststellte, gab es zuletzt "in Berufen der Halbleiterindustrie" in der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt rund 62.000 Fachkräfte zu wenig - ein Dilemma für Konzerne, die neue Halbleiterfabriken errichten wollen und auf hochqualifiziertes Personal angewiesen sind.[6] Hinzu kommt, dass Konzerne wie TSMC und Intel gegenwärtig in mehreren Ländern neue Produktionsstandorte aufbauen, TSMC zum Beispiel in Japan und in den USA. Errichte der taiwanische Halbleiterhersteller tatsächlich eine Fabrik in Dresden, dann müsse er zumindest in der Aufbauphase erfahrene Fachkräfte aus Taiwan in die Bundesrepublik entsenden, um dort den Einstieg in die Produktion anzuleiten, erläutert ein Experte des Beratungsunternehmens Gartner. Das aber sei schwierig, weil das knappe Personal schon beim Aufbau der Fertigung in Japan und den USA und weiterhin natürlich auch am Heimatstandort benötigt werde. Der bereits erwähnte Fachpersonalmangel in Deutschland komme erschwerend hinzu: "In Europa gibt es nicht genügend Prozessingenieure", konstatiert der Gartner-Experte.[7]

Von China abhängig

Völlig unabsehbare Schwierigkeiten drohen sich zusätzlich aus dem US-Wirtschaftskrieg gegen China zu ergeben. Dieser eskaliert weiter. Am vergangenen Wochenende hat Beijing auf die immer neuen US-Sanktionen gegen chinesische Konzerne zum ersten Mal auf gleicher Ebene reagiert und mitgeteilt, die Produkte des US-Speicherchipherstellers Micron stellten Sicherheitsrisiken für die Volksrepublik dar; sie dürften deshalb zumindest in der kritischen Infrastruktur nicht mehr genutzt werden. Noch ist unklar, wie weit das Verbot im Detail reicht. Micron erwirtschaftet mehr als zehn Prozent seines Umsatzes in China und geht von Umsatzeinbußen bis zu einem hohen einstelligen Prozentsatz aus.[8] Branchenkenner weisen darauf hin, dass andere US-Halbleiterhersteller noch stärker von China abhängig sind. Intel, AMD und Nvidia zum Beispiel erzielen dort zwischen 21 und 27 Prozent ihres Umsatzes, Qualcomm gar 64 Prozent; ein Ausschluss vom chinesischen Markt träfe sie also noch härter.[9] Davon abgesehen ist völlig unklar, wo Micron seine für den Verkauf in China vorgesehenen Speicherchips verkaufen will: Der Markt gilt zur Zeit als relativ gesättigt. Ob sich die neue Lage auf den Plan des Konzerns auswirkt, in den nächsten 20 Jahren bis zu 100 Milliarden US-Dollar in den Bau der größten US-Chipfabrik zu stecken, ist ungewiss.[10]

Überkapazitäten

Letzteres gilt auch für andere ehrgeizige Chipprojekte in den USA. Die Biden-Administration fördert die Ansiedlung großer Halbleiterfabriken in den Vereinigten Staaten mit massivem politischem Einsatz und mit zweistelligen Milliardensummen, die im Rahmen des CHIPS and Science Act vergeben werden. Auf ein grundlegendes Dilemma hat erst vor wenigen Tagen Nvidia-Chef Jen-Hsun Huang hingewiesen. Huang zufolge wäre bereits für Nvidia, den zur Zeit an der Börse wertvollsten Halbleiterkonzern weltweit, ein Ausfall des chinesischen Markts kaum zu verkraften. Die US-Halbleiterbranche insgesamt wickele gegenwärtig rund ein Drittel ihres Geschäfts mit China ab. Wie Einbrüche in dieser Größenordnung bewältigt werden könnten, falls Washington den Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik weiter eskaliere, sei nicht ersichtlich. Siedle man nun aber, während man den chinesischen Markt mutwillig aufs Spiel setze, noch zusätzliche Halbleiterfabriken in den Vereinigten Staaten an, dann drohten der Aufbau gewaltiger Überkapazitäten und damit "gewaltige Schäden für amerikanische Unternehmen".[11] Überkapazitäten im Westen aber träfen auch Chipfabriken wie diejenigen, die Berlin in Deutschland ansiedeln will, schwer.


Anmerkungen:

[1] Georg Altherr: Halbleiter made in Germany: Bau der Wolfspeed-Fabrik kann bald beginnen. rheinpfalz.de 22.05.2023.

[2] Startschuss für Infineons Milliardenprojekt. tagesschau.de 02.05.2023.

[3] Joachim Hofer: TSMC nähert sich möglicher Milliardeninvestition in Dresden. handelsblatt.com 23.05.2023.

[4] Martin Greive, Joachim Hofer, Julian Olk, Thomas Sigmund: Chipfabrik in Magdeburg: Intel hält knapp zehn Milliarden Euro Subventionen für notwendig. handelsblatt.com 08.02.2023.

[5] Joachim Hofer: Subventionen für Chipfabriken weisen eine strategische Lücke auf. handelsblatt.com 15.05.2023.

[6] Sabine Köhne-Finster, Susanne Seyda, Dirk Werner: Fachkräftemangel in Berufen der Halbleiterindustrie. Gutachten. Institut der Deutschen Wirtschaft. Köln, 07.03.2023.

[7] Joachim Hofer: TSMC nähert sich möglicher Milliardeninvestition in Dresden. handelsblatt.com 23.05.2023.

[8] Laura He: Micron warns of lost revenue after China slaps it with sanctions. cnn.com 23.05.2023.

[9] Natan Ponieman: China's Revenge: What A Ban On Micron Products Could Mean For Other US Chipmakers. benzinga.com 22.05.2023.

[10] Micron Announces Historic Investment of up to $100 Billion to Build Megafab in Central New York. investors.micron.com 04.10.2022.

[11] Madhumita Murgia, Tim Bradshaw, Richard Waters: Chip wars with China risk 'enormous damage' to US tech, says Nvidia chief. ft.com 24.05.2023.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 26. Mai 2023

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