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REDE/444: Schäuble zur Umsetzung der Ergebnisse der G8- und G20-Gipfel (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, zur Umsetzung der Ergebnisse im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik der G8- und G20-Gipfel durch die Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 2. Juli 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Herr Kollege Duin, um die Prozesse, die Sie beschrieben haben, nicht zu befördern, sollten wir uns darauf verständigen, dass Global Governance, also eine Welt, die immer stärker vernetzt ist, in der sich Entwicklungen, Entscheidungen und Probleme in einem Teil der Welt in allen anderen Teilen der Welt auswirken, von einer ungeheuren Komplexität ist. Diese Probleme können von keinem Land allein gelöst werden. Die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ist eine der wichtigsten politischen Führungsfiguren in der Welt, aber nicht sie allein trifft die Entscheidungen für die sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt.

Die Verhandlungen der G20 sind außergewöhnlich schwierig. Ich habe großen Respekt; aber wenn Sie sagen, nach dem Ende der Amtszeit meines geschätzten Vorgängers sei alles gut gewesen und seitdem sei alles schlechter geworden, machen Sie sich eher lächerlich. Lassen Sie einen Moment die Liste der Teilnehmer eines G20-Gipfels auf sich wirken: ein paar europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, die Präsidentschaft, die Europäische Union - auch die Niederlande sind als Gäste dabei -, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Australien, Japan, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Südafrika, die Afrikanische Union, Indonesien, Vietnam, Türkei, Saudi-Arabien und viele andere. Sie stellen sicher schnell fest, dass die Kritik, die Sie hier an der Bundesrepublik Deutschland geäußert haben, kein angemessener Diskussionsbeitrag ist. Wir müssen in diesem Prozess mit großer Verantwortung, aber auch mit Ernsthaftigkeit darüber reden, wie wir angesichts der Probleme und der Erfahrungen, die wir gemacht haben, Schritt für Schritt vorankommen können.

Im Vordergrund des Gipfels in Toronto standen im Wesentlichen zwei Themen - ich bleibe dabei, dass es die Bereiche sind, die die Hauptursachen für die Krise waren -, nämlich auf der einen Seite die zu hohe Verschuldung in einem großen Teil der Länder, insbesondere der hoch entwickelten Industrieländer - da sind die Europäer nicht an der Spitze; es gibt andere, die eine noch höhere Neuverschuldung haben -, die völlig unterschiedlichen Probleme in Indien, in der Volksrepublik China oder in Brasilien und auf der anderen Seite der Mangel an Regelungen in einer Welt global vernetzter Finanzmärkte, die zu diesen desaströsen Entwicklungen geführt haben.

Die Verschuldung, die eine der Hauptursachen der Krise ist - das ist bisher unbestritten gewesen -, war ein Hauptthema vor Toronto. In diesem wichtigen Bereich sind die Europäer - das nennt man Exit-Strategie - mit einer selten einmütigen und einheitlichen Position in Toronto aufgetreten. Die europäische Position hat sich in Toronto vollständig durchgesetzt, nämlich maßvolle Zurückführung der zu hohen Defizite, aber zugleich in einer Weise, die wachstumsfreundlich ist und das Wachstum nicht beschädigt.

Wenn man über Wachstumsraten redet, dann gebietet es die Ehrlichkeit, darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland ein anderes Wachstumspotenzial haben, als es Indien oder China brauchen. Wir werden mit 1,5 Prozent nachhaltigem Wachstum auskommen müssen, während Schwellen- und Entwicklungsländer Wachstumsraten brauchen, die eher gegen zehn Prozent gehen. Wenn wir das nicht offen aussprechen, können wir auf internationalen Konferenzen überhaupt nicht sinnvoll zusammenarbeiten.

Im Übrigen hat der Bundeswirtschaftsminister in seiner Regierungserklärung gezeigt, dass wir mit unserer Exit-Strategie - vom Bundeshaushalt 2010 über das Zukunftspaket bis hin zu unseren Maßnahmen im europäischen und globalen Bereich - vonseiten der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland her außergewöhnlich erfolgreich sind. Deswegen haben wir selbst im Abschlusskommuniqué von Toronto mit der Zustimmung der Vereinigten Staaten von Amerika - da klang es vorher ein bisschen anders; das ist wahr - ein klares Bekenntnis zu dem Weg einer maßvollen und wachstumsfreundlichen Reduzierung der zu hohen Defizite - unterschiedlich in der Einzelsituation, aber insgesamt richtig - abgelegt. Niemand hat die Europäer kritisiert. Wir alle sind in dieser Frage mit einer gemeinsamen Position aufgetreten. Diese besteht in der Stärkung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wir haben daran in Europa noch intensiv zu arbeiten. Aber wir sind sehr engagiert dabei.

Nun zur Frage einer besseren Regulierung der Finanzmärkte. Es ist wahr, dass wir alle unter dem hier vorhandenen Mangel leiden. Wir alle wünschen uns, dass es schneller geht. Ich habe es übrigens oft genug hier gesagt und will es nicht wiederholen.

In Toronto standen hier im Wesentlichen zwei Punkte im Vordergrund; sie waren vorher hinreichend öffentlich diskutiert.

Der erste Punkt ist: Wie können wir Eigenkapital, Liquiditätsmanagement und Risikovorsorge im Finanzsektor verbessern? Das ist im Wesentlichen der Basel-Prozess. Wir sind in diesem Prozess. Die Amerikaner wollen im nächsten Jahr Basel II implementieren. Bisher haben sie es nicht gemacht; das muss man in allen Debatten sagen. Aber sie wollen es nun. Mit dem Entwurf für Basel III vom Ende vergangenen Jahres liegen uns weitreichende und weiterführende Vorschläge vor, die in ihren Auswirkungen aber genau geprüft werden müssen. Dafür haben wir eine Quantitative Impact Study in Auftrag gegeben, die im Juli hinsichtlich der Auswirkungen ausgewertet wird. Danach wird entschieden. In Seoul wird entschieden; es gibt keinen Zweifel daran, dass wir alle diese Fragen in Seoul entscheiden werden. Jetzt wäre es zu früh gewesen; denn wir kennen noch nicht die Auswirkungen auf die einzelnen Institute.

Ich sage Ihnen vorher: Wir werden noch eine Menge arbeiten müssen - das sollten wir möglichst gemeinsam tun -, um zum Beispiel die Besonderheiten des deutschen Finanzsektors - ich nenne nur das Stichwort "Sparkassen und Genossenschaftsbanken" - im Basel-Prozess angemessen zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass nichts entschieden wird, was wachstumsfeindlich wäre. Daran müssen wir arbeiten, und das tun wir, so wie wir daran arbeiten, in Bezug auf die europäische Finanzaufsicht in den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu einem erfolgreichen Ergebnis zu kommen.

Wir sind auf einem guten Weg, der aber anstrengend und ungeheuer schwierig ist. Wir haben übrigens in Toronto Einvernehmen darüber erzielt, dass für alle relevanten Finanzinstitute Restrukturierungsverfahren in den einzelnen Mitgliedsländern eingeführt werden müssen, die sicherstellen, dass die Institute beim nächsten Mal nicht auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden müssen. So weit sind wir auf der G20-Ebene. Das ist nicht schlecht. Damit sind wir nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg.

Ich habe das übrigens von diesem Pult aus schon so oft gesagt, dass ich Sie darum bitte, nicht immer so zu tun, als hätten wir das Gegenteil gesagt. Wir haben es sehr klar gesagt, unter anderem im Wahlprogramm. Wir haben, übrigens damals noch gemeinsam mit der SPD, eine Finanztransaktionsteuer gefordert, unter der Voraussetzung, dass eine globale Vereinbarung möglich ist. Frau Merkel hat ihre Position in dieser Frage also überhaupt nicht geändert. Sie haben ein bisschen Kabarett gemacht, aber mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.

Anfang des Jahres haben wir eine Debatte geführt. Dann haben wir uns, auch nach dem G7-Finanzministertreffen Anfang Februar in Kanada, gemeinsam mit Frankreich entschieden, den Weg einer Restrukturierung des Bankenwesens einzuschlagen. Der Gesetzentwurf ist gerade in der Abstimmung. Er wird in der Sommerpause vorgelegt. Die Eckpunkte haben wir in Anwesenheit meiner Kollegin Lagarde beschlossen. Wir wollen das Vorhaben gemeinsam umsetzen. Inzwischen hat auch die Europäische Union eine entsprechende Richtung eingeschlagen. Das zeigt übrigens, dass wir, wenn wir auf nationaler Ebene vorangehen, Europa nicht spalten, sondern voranbringen. So viel zu der Debatte, die Sie gerade geführt haben.

Übrigens ist es wahr: Am ersten Tag nach unserem Alleingang bei den ungedeckten Leerverkäufen hat Frau Lagarde in der Presse eine mangelnde Abstimmung kritisiert. Sie hat aber später gesagt, sie werde die Kritik nicht aufrechterhalten. In der Tat haben zwei Tage später der französische Staatspräsident und die Bundeskanzlerin die Europäische Kommission in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, eine europäische Regelung für ungedeckte Leerverkäufe vorzuschlagen. Das heißt, wir sind genau auf dem richtigen Weg.

So bringt man es voran, Herr Poß. Sie haben als Sprecher der Opposition wieder und wieder gefordert, national voranzugehen, notfalls mit nationalen Alleingängen. Wechseln Sie doch die Argumente nicht so häufig, wie Sie es bei diesen heißen Temperaturen hoffentlich mit Ihren Hemden tun!

Zu der Frage Finanztransaktionsteuer will ich schlicht und einfach wiederholen, was ich in der letzten Debatte an diesem Pult gesagt habe. Ich habe gesagt: Wir wollen zunächst einmal feststellen, ob es eine Chance auf eine globale Regelung gibt, und das muss spätestens auf dem Gipfel in Toronto geklärt werden. In Toronto hat sich für niemanden überraschend herausgestellt, dass es keine Chance auf eine globale Finanztransaktionsteuer gibt. Das interessiert China, Brasilien, Argentinien oder Südafrika überhaupt nicht, und auch innerhalb der Industrieländer gibt es da keine gemeinsame Position.

Dann habe ich als Finanzminister gesagt - dazu stehe ich auch, oder besser gesagt: Ich sitze dazu; denn stehen kann ich ja nicht -: Wir werden uns, wenn wir nach Toronto wissen, dass es nicht zu einer internationalen Finanztransaktionsteuer kommt, für eine europäische Regelung einsetzen. Ich werde in diesen Tagen gemeinsam mit meiner französischen Kollegin - das habe ich schon mit ihr besprochen - die Kommission auffordern, Vorschläge für eine europäische Finanztransaktionsteuer zu erarbeiten. Wir werden in diesem Zusammenhang auch die belgische Präsidentschaft anschreiben.

Auch Sie haben gerade nicht geklatscht, Herr Solms. Es hat niemand geklatscht. Warum soll sich Herr Solms nicht genauso verhalten, wie ich es mir eigentlich wünsche, nämlich dass wir uns gegenseitig zuhören, damit wir vernünftig und sachlich diskutieren können? Dann werden wir daran arbeiten - es wird nicht leicht -, eine europäische Regelung zustande zu bringen. Wir werden gemeinsam mit Frankreich vorgehen. Ich hoffe, dass wir es schaffen.

Wenn wir es nicht schaffen sollten, müssen wir uns noch einmal der Frage nähern, ob wir es notfalls im Rahmen der Europäischen Währungsunion versuchen, und zwar auch dann, wenn andere europäische Staaten dabei nicht mitmachen. Aber das ist die nächste Sorge. Der bessere Weg wäre eine europäische Regelung, und genau dafür treten wir nach Toronto ein. In Toronto haben die Bundeskanzlerin, Präsident Sarkozy, die französische Finanzministerin Lagarde und ich verabredet, dass wir noch in dieser Woche die Initiative ergreifen. Genau das habe ich Ihnen gesagt. Genau diesen Weg gehen wir.

Ich komme zum Schluss. Wenn wir in diesem schwierigen Feld vorankommen wollen, dann müssen wir schauen, dass wir so viele globale Absprachen wie möglich treffen; aber wir können uns darauf nicht verlassen. Wir brauchen ein stärkeres Europa. Deswegen muss Europa möglichst mit einer einzigen Stimme sprechen. Was die Finanzpolitik angeht, ist dies in Toronto sehr gut gelungen. Was die Finanzmarktbesteuerung angeht, müssen wir abwarten; daran arbeiten wir.

Gelegentlich werden wir auch national vorausgehen müssen, um andere zu einer anderen Haltung zu bewegen. Das ist uns bei der Bankenrestrukturierung gelungen, und das wird uns bei der Finanztransaktionsteuer genauso gelingen. Ich lade dazu ein, darüber gemeinsam ernsthaft zu diskutieren und nicht jedes Mal hinterher die Wahrheit völlig zu verzerren. So werden wir mehr Erfolg haben.

Wir werden am ehesten mit einer der Verantwortung gerecht werdenden wie auch die Schwierigkeiten benennenden Diskussion eine Chance haben, zu vermeiden, was unsere gemeinsame Sorge ist: dass aufgrund der Unfähigkeit dieser globalen Welt mit sieben Milliarden Menschen, diese Probleme besser zu lösen, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen geschwächt wird. Denn längst stehen nicht nur die finanzielle und die wirtschaftliche Stabilität auf dem Spiel, sondern auch die demokratische Stabilität insgesamt. Dem müssen wir uns alle verpflichtet fühlen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 75-1 vom 02.07.2010
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
zur Umsetzung der Ergebnisse im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik
der G8- und G20-Gipfel durch die Bundesregierung vor dem
Deutschen Bundestag am 2. Juli 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2010