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REDE/511: Sigmar Gabriel - Regierungserklärung am 28. Januar 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Regierungserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, vor dem Deutschen Bundestag am 28. Januar 2016 in Berlin:

"Chancen des digitalen Wandels und Jahreswirtschaftsbericht 2016"


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt erneut, dass Deutschland gerade eine langanhaltende Phase des Wachstums und der Prosperität erlebt. Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft geht in das dritte Jahr. Nach den Jahren 2012 und 2013 mit nur 0,4 Prozent und 0,3 Prozent hatten wir 2014 1,6 Prozent und 2015 1,7 Prozent Wirtschaftswachstum, und 2016 wird mit einem Wachstum in der gleichen Größenordnung - 1,7 Prozent - gerechnet. Das zeigt, dass sich die Wachstumsphase fortsetzt. Aber wichtiger ist: Es setzt sich auch der Aufbau von Beschäftigung in Deutschland zu vernünftigen Löhnen fort.

Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland war noch nie so hoch. Für 2016 ist prognostiziert, dass wir einen Beschäftigungsaufbau von 380.000 Personen haben werden. Für 2017 wird mit knapp 300.000 weiteren Beschäftigten gerechnet. Wir erreichen damit im laufenden Jahr 43,3 Millionen Erwerbstätige und im Jahr 2017 43,7 Millionen Erwerbstätige. Eine solche Zahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie.

Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit. Wir haben schon im letzten Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung verzeichnen können. Besonders wichtig ist, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse mit plus 540.000 deutlich zunimmt und ein Rückgang der Zahl geringfügig Beschäftigter um 90.000 Personen zu verzeichnen ist. Löhne und Gehälter steigen aufgrund der guten Rahmenbedingungen und entsprechender Tarifverhandlungen an: um 2,3 Prozent in 2015, um 2,6 Prozent in 2016. Aufgrund des niedrigen Ölpreises sind auch die Realeinkommen erstmals seit vielen Jahren um durchschnittlich 2,2 Prozent gestiegen. Das heißt, der Wohlstand und das Wachstum kommen bei den Menschen in Deutschland an. Ich finde, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, auch das einmal laut und öffentlich zu sagen.

Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig und unsere Staatsfinanzen solide. Deutschlands Wirtschaft steht damit fast allein. Angesichts der geopolitischen Risiken, die es gibt, der Schwierigkeiten in China und Lateinamerika, der Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine, des Krieges im Nahen Osten und des nur langsamen Zusammenwachsens Europas ist es doch erstaunlich - ich finde, das darf dieses Land auch stolz auf sich selber machen -, was dieses Land in dieser Zeit zu leisten in der Lage ist und wie gut die wirtschaftliche, aber auch die soziale Situation in unserem Land ist.

Das heißt aber nicht, dass wir so tun, als gäbe es nicht auch in unserem Lande Probleme und Schwierigkeiten. Ich erinnere an Alleinerziehende, Familien, Rentnerinnen und Rentner, die 40 Jahre gearbeitet haben und am Ende ihres Arbeitslebens nicht einmal eine Rente auf Sozialhilfeniveau bekommen.

- Das liegt unter anderem daran, dass wir es noch nicht geschafft haben - was wir in dieser Koalition aber machen werden -, eine solidarische Lebensleistungsrente einzuführen, sodass der, der 40 Jahre gearbeitet hat, mehr bekommt als derjenige, der nicht gearbeitet hat.

Ich erwähne diese Zahlen deshalb, weil es einen merkwürdigen Kontrast gibt zwischen einerseits der gefühlten Stimmung im Land und manchmal auch der politischen Hysterie, die wir erleben, und andererseits dieser exzellenten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die wir in unserem Land vorfinden. Ja, die Herausforderung, mehr als eine Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, ist riesig. Ja, nicht alles läuft dabei perfekt; ja, manchmal machen wir dabei auch Fehler. Manchmal streiten wir auch. Manchmal sind Dinge auch nicht so schnell ins Lot zu bringen, wie wir uns das wünschen. Ich hoffe, wir schaffen am heutigen Tag wieder einen deutlichen Schritt nach vorn. Man kann aber nun wirklich nicht sagen, dass dieses Land handlungsunfähig sei, dass wir die Kontrolle über das Land verloren hätten und dass jeden Tag aufs Neue das Chaos ausbreche. Wenn man die Zeitungen, die Medien und die Briefe, die man erhält, liest, muss man den Eindruck haben, dass wir in einem Land leben, das überall funktionsunfähig geworden ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wir sind eines der am besten aufgestellten Länder Europas.

Noch einmal: Nicht alles ist perfekt. Manches machen wir auch falsch. Das liegt übrigens daran, dass wir Menschen sind und dass wir nicht vorhersehen konnten, vor welche Herausforderungen man gestellt wird, wenn eine Million Zuwanderer im Jahr zu uns kommen. Manchmal arbeiten auch die Behörden nicht gut genug. Das liegt auch daran, dass sie nicht genug Personal haben, dass wir in der Vergangenheit zu viel auf das Einsparen von Lehrer- und Polizeistellen gesetzt haben, was wir jetzt wieder ändern werden. Deshalb darf man aber doch nicht eine Krise der Demokratie, der Republik und auch nicht der Koalition herbeireden oder herbeischreiben. Das alles gibt es nicht. Wir haben ein stabiles Land, eine stabile Bundesregierung, ein Land, das ungeheuer kräftig ist und das die Möglichkeiten hat, das zu schaffen.

- Herr Krischer, als ich mir überlegt habe, diese Sätze zu sagen, wusste ich, dass Leute wie Sie darüber lachen und sagen: Schaut euch doch einmal den Streit in der Bundesregierung an. - Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Zur Demokratie gehört auch Streit. Ihre Partei hat einmal dafür gefochten. Ihre Partei ist großgeworden mit der Aussage, dass man unterschiedliche Meinungen auch öffentlich aussprechen darf. Heute halten Sie das für ein Zeichen von Regierungsunfähigkeit.

Ich finde es auch nicht belebend, was an mancher Stelle der Debatte in der Union stattfindet. - Und der SPD. Okay. Nur die anderen beiden sind sich immer einig; es sei denn, Cem Özdemir sagt etwas zur Zuwanderung - dann gibt es da auch Ärger - oder Frau Wagenknecht spricht über das Gastrecht. Wir müssen aufhören, der Öffentlichkeit vorzumachen, dass man bei einer der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht auch in den Parteien zu unterschiedlichen Positionen in den Diskussionen kommen kann. Das Problem ist nicht, dass wir an einzelnen Stellen unterschiedlicher Auffassung sind. Das Problem ist vielmehr, dass wir dabei ein Bohei daraus machen, als wären wir mitten in einer Staatskrise. Das sind wir nicht. Ich sage das deshalb, weil von dieser Art der Debatte, von der Überzeichnung ganz normaler politischer Diskussionen, nur die profitieren, von denen keiner hier im Parlament will, dass sie demnächst in Parlamenten sitzen. Warum sind sie keine Alternative für Deutschland? Weil sie diese wirtschaftliche Entwicklung ruinieren würden, weil das Leute sind, die sich gegen den sozialen Ausgleich stellen, nicht für den Zusammenhalt der Gesellschaft einstehen und sich obendrein auch noch häufig rassistisch verhalten und übrigens nicht selten das sind, was wir früher einmal "Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung" genannt haben.

Ich trete nicht dafür ein, dass wir nicht unterschiedliche Auffassungen debattieren. Das ist notwendig. - Ich weiß, dass es für Sie ganz schwer ist, eine ernsthafte Debatte zu führen, weil Sie den Eindruck haben, nur bei hohen Wellen wahrgenommen zu werden. Ich sage Ihnen: Das ist nicht so. Sie werden auch wahrgenommen, wenn Sie ernsthaft diskutieren und handeln.

- Wenn Sie möchten, Frau Göring-Eckardt, kann ich Cem Özdemir auch gerne einmal wörtlich zitieren. Sie können dann ja hierherkommen und sagen, was Sie davon halten.

Ich glaube, unterschiedliche Auffassungen zu haben, ist nicht das Problem. Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir nicht ein Zerrbild unseres Landes zeichnen. Dieses Land wird nicht durch rechtsradikale Brandstifter gekennzeichnet, auch nicht durch kriminelle Ausländer. Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, ein sehr starkes und sehr stabiles Land, das in der Lage ist, vieles zu bewältigen, wie kein anderes Land der Erde es in dieser Weise tun könnte. Das ist das Land, von dem wir reden.

Weil man das so schnell vergisst, will ich noch einmal in Erinnerung rufen, was wir schon geschafft haben: Wir haben den Ländern und Kommunen im letzten Jahr sechs Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gegeben, und wir alle ahnen, dass das in Zukunft eher noch mehr werden wird. Wir haben dafür gesorgt, dass mit hoher Geschwindigkeit Entscheidungszentren aufgebaut wurden. Wir haben das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in kurzer Zeit nicht nur personell aufgestockt, sondern auch noch mit der Bundesagentur für Arbeit verzahnt. Wir haben die ersten Arbeitsmarktprogramme aufgelegt und uns um die Unterbringung gekümmert; auch die Kommunen haben Phantastisches geleistet. Ich könnte diese Liste fortsetzen. Denken Sie zum Beispiel daran, wie wir mit der Gesundheitsversorgung umgehen.

Natürlich haben wir einige Probleme noch nicht gelöst, beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige umgehen. Das sind Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsgebieten kommen, die nicht unmittelbar gefährdet sind, aber die wir aus humanitären Gründen nicht abschieben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eine gute Chance haben, das heute zu klären. Angesichts der Zahlen, über die wir dabei reden, ist das eher eine Randfrage; aber es wird als Beispiel genutzt, um zu zeigen, wir seien angeblich handlungsunfähig. Deswegen ist es wichtig, dass wir dies heute klären.

Noch einmal: Es ist nicht alles perfekt; aber wir haben das Erreichte ohne Verteilungskämpfe in diesem Land geschafft. Wir haben niemandem etwas weggenommen, damit wir das schaffen können. Es ist nicht zu sozialen Auseinandersetzungen gekommen. Im Gegenteil: Wir legen Wohnungsbauprogramme auf, die allen dienen werden, die in den Großstädten nach bezahlbaren Wohnungen suchen. Keine Verteilungskämpfe, trotzdem solide Finanzen und eine wirklich exzellente Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - ich finde, das kann uns Mut geben für das, was wir noch schaffen müssen.

Wir haben im letzten Jahr im Wesentlichen über Unterbringung geredet. Jetzt ist die Zeit, über Integration und eine nachhaltige Integrationsstruktur zu sprechen. Wir brauchen soziale Investitionen, und zwar wieder nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die in Deutschland beispielsweise auf der Suche nach einem Ganztagsschulplatz sind oder noch keinen Platz in einer Kindertagesstätte gefunden haben.

Aber es geht auch darum, dass wir ganz generell über die Frage sprechen: Was ist nötig, damit sich diese wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt? Die Spannungen in unserem Land sind nämlich nur dann beherrschbar, wenn wir auch in Zukunft Verteilungskonflikte vermeiden. Dafür sind eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung und ein hoher Beschäftigungsstand von großer Bedeutung. Deswegen schlagen wir vor, in unserem Hause darüber zu debattieren: Was können wir tun, um den Schritten, die wir zur Stärkung der Investitionstätigkeit schon gemacht haben, weitere folgen zu lassen? Auch da hat die Koalition schon viel geschafft. Immerhin sind die Investitionen des im letzten Jahr beschlossenen Haushalts 20 Prozent höher als die im Jahr 2014; wir liegen da jetzt nahe an 30 Milliarden Euro. Wir haben den OECD-Durchschnitt, 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu investieren, inzwischen fast erreicht. Wir haben die Städte und Gemeinden in dieser Legislaturperiode um 20 Milliarden Euro entlastet, damit sie wieder investieren können, weil die Kommunen die Hauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht Bund oder Länder. Wir werden Länder und Kommunen bis 2018 um sage und schreibe 45 Milliarden Euro entlasten, ein Riesenschritt zur Verbesserung der kommunalen Investitionstätigkeit.

Also: Wie gehen wir auf diesem Weg weiter? Ein Thema ist natürlich der Breitbandausbau. Der Kollege Dobrindt hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 eine Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde bereitzustellen. Wir alle wissen: Das ist ein wichtiges Ziel. Aber es ist nur ein Zwischenziel, um zu einem wesentlich schnelleren Netz in unserem Land zu kommen, weil wir nur so an den digitalen Geschäftsmodellen teilhaben können.

Wir sind dabei, den digitalen Ordnungsrahmen neu aufzustellen: in Europa mit der Datenschutz-Grundverordnung und bei uns, indem wir das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novellieren und uns fragen: Können wir eigentlich zulassen, dass die Giganten auf den Datenmärkten immer größer werden und marktbeherrschende Stellungen erreichen?

Wir kümmern uns um die Frage, wie wir den Mittelstand in Deutschland stärker an das Thema Digitalisierung heranbringen. Das Ziel sind fünf Kompetenzzentren - plus eines für das Handwerk - für die Digitalisierung im Mittelstand. Wir digitalisieren auch die Energiewende. Das heißt, wir sind auch da auf dem Weg. Klar, wir haben noch eine Menge zu tun. Aber die Bundesregierung hat hier in den letzten zwei Jahren vieles auf den Weg gebracht.

Wir sind auch beim Thema "Start-up und Venture Capital" weitergekommen. Es gibt ein vorbörsliches Segment. Wir haben Eckpunkte für ein Venture-Capital-Gesetz erarbeitet. Wir haben zwei Milliarden Euro mehr für Investitionen in unserem Land zur Verfügung gestellt. Auf all den Feldern, auf denen wir unterwegs sein müssen, um die Investitionstätigkeit weiter anzuregen, um Start-ups und Gründerzeit zu fördern und die öffentliche Infrastruktur zu verbessern, hat die Bundesregierung bereits vieles auf den Weg gebracht.

Wir haben ein Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet, das mit einer Einsparung von immerhin 1,4 Milliarden Euro Wirkung zeigt. Wir sind beim Bürokratieindex zum ersten Mal unter dem Ausgangswert 100, also unterhalb des Wertes, bei dem wir gestartet sind; wir haben die Bürokratie nicht ausgebaut.

Ich finde, wir können auch relativ stolz auf das sein, was wir im Bereich der Energiemärkte inzwischen geschafft haben. In nur zwei Jahren haben wir die verschiedenen Teile der Energiewende ineinandergreifen lassen, die losen Fäden miteinander verknüpft. Wir bringen jetzt Verlässlichkeit und Planbarkeit in die Energiepolitik in Deutschland zurück.

All das sind Bedingungen, die dieses Land in den kommenden Jahren nutzen kann, um seinen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen. Natürlich gibt es auch auf einigen Feldern Beratungsbedarf. Wenn wir stolz darauf sind, dass unser Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, während andere Europäer nur einen Anteil von zwei Prozent aufweisen, dann kann ich nur sagen: Das ist eine optische Täuschung. Unsere Wettbewerber in Südkorea oder Asien haben sich vier bis 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Ziel gesetzt. Davon sind übrigens immer 80 Prozent private Investitionen und nicht öffentliche. Das heißt: Was können wir tun, um gerade im Mittelstand die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu befördern?

Mich hat sehr beunruhigt, dass im letzten Jahr die Investitionen in Forschung und Entwicklung gerade im Mittelstand deutlich zurückgegangen sind. Das ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Deswegen wird die Koalition darüber zu beraten haben, wie wir die Investitionstätigkeit in den kommenden Jahren besser fördern können. Die Debatte geht zwischen Projektförderung und steuerlicher Forschungsförderung hin und her. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns da verständigen; denn auf Dauer können wir uns nachlassende Forschungsinvestitionen gerade im Mittelstand mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit nicht leisten.

Auch in der Industriepolitik gibt es, glaube ich, viel zu tun. Wir sind auch in diesem Bereich in der Diskussion, zum Beispiel über die Frage, wie wir in einer so wichtigen Leitindustrie wie der Automobilindustrie das Thema Elektromobilität voranbringen können. Wir werden uns ohnehin in den nächsten Jahren sehr stark um die Systemverknüpfung zwischen erneuerbaren Energien und dem Mobilitätssektor bemühen müssen. Man muss sich letztlich entscheiden, ob man an dem Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 festhalten will. Dann brauchen wir Markteinführungsprogramme und Investitionen in Ladeinfrastruktur - ohne sie wird es nicht gehen -, und wir brauchen auch ein Beschaffungsprogramm von Bund, Ländern und Gemeinden. Sonst kann man dieses Ziel von einer Million nicht erreichen. Aber wir müssen von der Industrie auch eine Gegenleistung fordern, und diese muss darin bestehen, dass die industrielle Batterieproduktion nach Deutschland zurückkommen muss. Das ist es, was wir in diesem Land schaffen müssen.

Soziale Investitionen brauchen wir insbesondere vor dem Hintergrund der Zuwanderung, aber nicht nur deshalb. Wir brauchen soziale Investitionen in Bildung und Erziehung, in Sprachförderung, Qualifizierung, in den Arbeitsmarkt und übrigens auch in ein System, in dem die soziale Marktwirtschaft ihrem Namen gerecht bleibt. Ich weiß, dass in unserem Land Werkverträge und Leiharbeit auch in Zukunft zur ganz normalen Flexibilitätsoption unserer Unternehmen gehören müssen. Es kann aber nicht sein, dass diese Instrumente von Arbeitgebern missbraucht werden, um sich aus der Arbeitgeberrolle zu verabschieden. Arbeitgeber sind etwas anderes als Manager. Manager können sich möglicherweise vorstellen, ihren Betrieb so zu managen, dass dabei im Wesentlichen andere Unternehmen wie Werkvertragsunternehmen tätig sind. Ein Arbeitgeber in der sozialen Marktwirtschaft hat über den Produktionsprozess hinaus Verantwortung, auch für die soziale Sicherheit seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir möchten gerne, dass die Werkverträge da, wo sie Flexibilität für Arbeitgeber herstellen, erhalten bleiben. Wir können nicht Werkverträge an der Stelle einschränken. Aber wir wollen nicht, dass der Ausbau beziehungsweise der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit weiter fortschreitet und damit letztlich die Idee des Arbeitgebers in einer sozialen Marktwirtschaft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Das wollen wir nicht. An dieser Schnittstelle werden wir arbeiten müssen.

Ich weiß, dass zu der Frage, wie wir in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig bleiben, noch mehr Themen gehören, beispielsweise auch die Frage, wie es in Europa weitergeht. Aber mir lag auch beim Jahreswirtschaftsbericht ein bisschen daran, diese doch wirklich beeindruckenden Zahlen zu nutzen, um zu zeigen, dass das Land keine Angst haben muss, dass wir nicht in einem Land leben, das unsicher über sich selber wird, dass es auch um Themen wie soziale Ungleichheit im Land geht, dass wir mehr und bessere Primäreinkommen brauchen und dass wir auch über die Steuerpolitik in diesem Land weiter diskutieren und streiten werden. Für das alles gibt es ausreichend Raum. Aber wir sollten bei solchen Debatten unseren Bürgerinnen und Bürgern im Land auch zeigen: Das ist ein verdammt starkes Land, das eine Menge kann und auf das die Menschen, die das erarbeiten, ziemlich stolz sein können.

*

Quelle:
Bulletin 11-1 vom 28. Januar 2016
Regierungserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Energie,
Sigmar Gabriel, vor dem Deutschen Bundestag am 28. Januar 2016 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2016

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