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WOHNEN/163: Mietenexplosion in Berlin - unaufhaltsamer Prozess? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 169 - August/September 2012
Die Berliner Umweltzeitung

IM RABENBLICK
Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag!
Zwischen energetischer Sanierung, steigenden Mieten, Wohnungsbesichtigungen und Protest

von Johanna Thiel



So wie bisher, kann man nicht weitermachen". Weise Worte, die die Bundesregierung vor rund zwei Jahren im Zuge der letzten Energiesparverordnung da niederschrieb. 35 bis 38 Prozent des Gesamtenergieverbrauches der Republik entfallen entgegen dieser Aussage immer noch auf die Versorgung der Haushalte mit Raumwärme und Warmwasser. Trotzdem ist die Sanierungsrate im energetischen Bereich sogar gefallen. Bund und Länder verhandeln seit rund einem Jahr über die Art und Weise der Novellierung der Energiesparverordnung 2012.

Eine wichtige Frage ist dabei neben der steuerlichen Förderung und Absetzungsmöglichkeit, inwieweit man Hauseigentümer in Zukunft zu energiesparenderen Maßnahmen "zwingen" kann. Geplant ist nämlich, im deutschen Gebäudebestand bis zum Jahre 2050 Klimaneutralität zu erlangen. Es passiert allerdings noch viel zu wenig. Das findet nicht nur ein Großteil der Hauseigentümer. Auch der DNR, BUND, NABU sowie der Deutsche Mieterbund halten den Tatendrang der Bundesregierung für unzureichend. Sie fordern Klarheit für Eigentümer bezüglich staatlicher Vorgaben und mehr Beratung und finanzielle Unterstützung bei energetischen Sanierungsmaßnahmen. Wer nicht sanieren will, müsste in eine Art Sanierungstopf einzahlen. Angesichts immer weiter steigender Energiekosten sei es dringend nötig, dass sich in dem Bereich etwas tue. Die Gefahr, dass die Konsequenzen die Mieter tragen müssen, ist sonst sehr groß.

Dabei wäre es laut Mieterbund ein Leichtes, über Wärmedämmung und andere Maßnahmen Warmmietneutralität zu erreichen und somit einen übermäßigen Anstieg der Mieten zu verhindern. Dies wird allerdings unter anderem auch dadurch verhindert, dass Vermieter derzeit noch 11 Prozent der Sanierungskosten auf die Jahresmiete abwälzen können, egal, ob nun nachweislich Energie eingespart wird oder nicht. Ein Anstieg der Miete in zweierlei Weise also. Das Ganze könnte gerechter gestaltet werden, wenn man stattdessen ein Drittelmodell anwenden würde. Mieter, Eigentümer und Staat würden demnach je ein Drittel der Kosten übernehmen. Solch eine Regelung dürfte auch im Interesse der Berliner Mieter sein.


Mietenexplosion in Berlin - unaufhaltsamer Prozess?

Denn in den letzten Jahren sieht sich die Hauptstadt immer mehr mit Aufwertung, steigenden Mieten und Wohnungsknappheit konfrontiert. Der Begriff "Gentrifizierung" scheint wie ein ewiges Damokles-Schwert über Berlin zu schweben. Vor allem in den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln sind die Mieten in den letzten zwei Jahren um ganze zwei Euro pro Quadratmeter gestiegen. Hartz IV-Empfänger und Geringverdiener können immer häufiger den laufenden Mieterhöhungen nicht mal in den Sozialwohnungen am Kottbusser Tor standhalten. So sehen sich mehr und mehr Leute gezwungen, in die Randbezirke der Stadt zu ziehen.

Das polyzentrische Berlin, die Berliner Mischung, das Zusammenleben von verschiedenen Kulturen, Einkommens- und Altersklassen, also das, was Berlin bisher ausgemacht hat, läuft Gefahr, zerstört zu werden. Energetische Sanierungsmaßnahmen dürften hieran aber zugegebenermaßen nur einen kleinen Anteil haben. Für manch einen scheint der wahre Grund klar: Künstler, Kreative und Sozialromantiker sind schuld an dieser Entwicklung. Erst verschönern sie das Stadtbild der Innenstadt, dann werden die Mieten teurer und der Bevölkerungsaustausch beginnt.

Andere suchen die alleinige Schuld bei gierigen Immobilienmaklern, die den Hals nicht vollkriegen können und in der stetig wachsenden Beliebtheit Berlins ein gefundenes Fressen sehen. Und ganz andere behaupten gar, dass eine Stadt sich nun mal verändere und man nichts dagegen tun könne. Doch um dieses komplexe Thema zu verstehen, bedarf es mehr als populistischer und undifferenzierter Argumente. Wie also kann es sein, dass im Jahre 2012 eine Dreizimmer-Wohnung in Wedding, dem einstigen "Armenhaus Berlins", gut und gerne mal 850 Euro warm kostet, unabhängig von Infrastruktur, Umgebung oder Sanierungszustand?

Nicht nur die Bundesregierung, vor allem die Berliner Landesregierungen waren in den letzten Jahrzehnten nicht gerade für ihre mieterfreundliche Wohnungspolitik bekannt: Der Grundstein für die jetzige Situation wurde in den 1990er Jahren gelegt. Es wurde privatisiert, was das Zeug hält und Wohnraum preiswert außerstädtischen Investoren zum Verkauf angeboten; ohne Verhaltensregeln oder Ähnliches aufzustellen.


Rot-Rot - weder sozial, noch offensiv

Auch die rot-rote Koalition konnte seit 2002 an diesem marktwirtschaftlichen Teufelskreis, der hier in Gang gesetzt wurde, nichts ändern. Im Gegenteil: Waren 2001 noch knapp 400.000 Wohnungen in Landeshand, mit denen man Steuerungs- und Gestaltungspotenziale besessen hätte, wurde diese Zahl bis 2006 unter Bürgermeister Klaus Wowereit fast halbiert. Vor allem der Börsengang der 51.000 Wohnungen starken GSW im Jahre 2004 erregte Aufsehen. Als Begründung für den massenhaften Verkauf und das Sinken der Neubautätigkeit wurde auch seitens der Linkspartei stets die Sanierung des maroden Haushaltes angeführt. Kurzfristige Gewinne also, statt nachhaltiger, die Bevölkerung einbeziehender Wohnungspolitik. Instrumente, wie Mietobergrenzen und Milieuschutz für privat vermieteten Wohnraum kamen nicht in Frage; zu groß war die Angst, der Immobilienhandel könne abgeschreckt werden. Ebenso schien man es für unnötig zu halten, darauf zu achten, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften wie degewo oder gesobau ihrem sozialen Auftrag, mietpreisdämpfend zu wirken, gerecht wurden. Und so kommt es, dass heutzutage Wohnraum in Berlin so knapp und teuer, die Stadt begehrter und die Mieterschaft so wütend ist wie noch nie.

Egal, ob Initiativen wie Kotti&Co, Mietenstopp, Megaspree oder gegen das Guggenheim-Lab. Der Protest gegen den Ausverkauf dieser Stadt ist in den letzten Jahren breiter, differenzierter und häufiger geworden. Viele Berliner/-innen wollen es sich schlichtweg nicht mehr gefallen lassen, dass ihr Grundrecht auf Wohnraum mehr und mehr zum Spielball zwischen Politik und Wirtschaft verkommt. Gefordert wird dabei aber keineswegs die Konservierung der jetzigen Zustände, sondern schlichtweg Mitbestimmungsrecht an der Gestaltung des Lebensumfeldes.

Ob der neue Stadtentwicklungssenator Peter Müller daran etwas ändern kann und will, bleibt abzuwarten. Innerhalb eines Jahres hat er zumindest schon mehr Engagement gezeigt als seine Vorgängerin Ingeborg Junge-Reyer: Eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung, welche die Problematik der Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen (derzeit rund 10.000) endlich angeht, ist ebenso ein Schritt in die richtige Richtung, wie das neue Bündnis für soziale Mieten, das nun zwischen Senat und landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften besteht. Darauf ausruhen darf sich Müller dennoch nicht. Ein großer Teil des Wohnraums wird schließlich von privaten Wohnungsunternehmen verwaltet. Und die erhöhen weiterhin die Preise, wo es nur geht und treiben damit den Mietspiegel in die Höhe. Es gilt also landes- und auch bundesweit, Möglichkeiten zu finden, wie man den unbezahlbaren Anstieg der Mieten in Berlin und anderen (Groß-)Städten verhindern und die Kontrolle über den Wohnungsmarkt zurückerlangen kann. Auch klare Regelungen in der energetischen Gebäudesanierung können hier helfen. Wohnungspolitik darf nicht länger marktwirtschaftlichen Prinzipien unterliegen. Sonst droht der Raum Stadt zum Privileg der gut Situierten zu verkommen und Vororte, vergleichbar derer in Paris oder London entstehen zu lassen.

In diesem Sinne: Berlin- bleibt- Risiko- Kapital!



Informationen zum Thema Gentrifizierung in Berlin:
mietenstopp.blogsport.de
Kottiundco.wordpress.com
Gentrificationblog.wordpress.com

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:<(b>
Altbekanntes und zutreffendes Graffiti an der Schönhauser Allee
(Graffiti auf dem Foto: 'DIESE STADT IST AUFGEKAUFT!')

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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 169 - August/September 2012, S. 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012