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WOHNEN/222: Häuser dem Markt entziehen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 205 - August / September 2018
Die Berliner Umweltzeitung

Häuser dem Markt entziehen Selbstverwaltung und Solidarität im Mietshäuser Syndikat

von Elisabeth Voß


Im Internationalen Jahr der Genossenschaften 2012 verlieh der Spar- und Bauverein Solingen - eine der größten Wohnungsgenossenschaften in Nordrhein-Westfalen - dem Mietshäuser Syndikat den Klaus-Novy-Preis für Innovationen beim genossenschaftlichen Bauen und Wohnen. Das Mietshäuser Syndikat ist zwar gar keine Genossenschaft, setzt aber den Genossenschaftsgedanken der solidarischen wirtschaftlichen Selbsthilfe vorbildlich um.

Das Syndikat hat seinen Ursprung in einer Freiburger Baukooperative, die 1983 begann, eine ehemalige Maschinenhalle auf einem Industrieareal, dem Grethergelände, zum Wohn- und Gewerbegebäude umzubauen. Neben den baulichen Fragen diskutierte die Gruppe einen Solidartransfer für neue Hausprojekte, und gründete schließlich 1992 das Mietshäuser Syndikat.

Mittlerweile gehören bundesweit 134 Hausprojekte zum Syndikat, viele in Freiburg und in Berlin, aber auch in kleineren Städten und auf dem Land in Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und anderen Bundesländern, und es entstehen laufend neue Gruppen.

Mit GmbHs und Vereinen Privatisierung verhindern

Die Häuser im Syndikatsverbund werden endgültig der Verwertung am Markt entzogen. Zu diesem Zweck wird für jedes Haus eine eigene GmbH gegründet, die Eigentümerin wird und zwei Gesellschafter hat: Den Hausverein der Bewohner*innen und die GmbH des gesamten Syndikats. Für diese Konstruktion bekommen neue Hausprojekt-Initiativen kostenlose Beratung und alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Bewohner*innen verwalten sich selbst, müssen ihre Finanzierung organisieren und entscheiden beispielsweise über Baumaßnahmen sowie darüber, wer einziehen und wer monatlich wie viel bezahlen soll, um aus der Summe der Mieten alle Kosten zu decken.

Nur wenn es ums Eigentum geht, also um Fragen des Verkaufs oder der Belastung des Grundbuchs, kann der zweite Gesellschafter, die Gesamt-Syndikats-GmbH, mitreden. Diese GmbH gehört dem bundesweiten Syndikatsverein, dessen Mitglieder alle Projekte und einige Hundert Einzelpersonen sind, und die werden einem Verkauf niemals zustimmen.

Mit einem Solidarfonds wird sichergestellt, dass immer neue Häuser zum Syndikatsverbund hinzukommen können. Die Hausprojekte zahlen in den Fonds ein, anfangs monatlich 10 Cent pro Quadratmeter, und wenn die Belastung aus der Finanzierung abnimmt, immer mehr. Aus dem Geld können die Einlagen der Gesamt-Syndikats-GmbH in die Haus-GmbHs finanziert werden.

Finanzierung durch Viele im sozialen Umfeld

Anders als bei Genossenschaften gibt es beim Mietshäuser Syndikat keine finanziellen Anforderungen an die einzelnen Bewohner*innen. Stattdessen wird jede Gruppe darin angeleitet und unterstützt, das Eigenkapital, das nötig ist um einen Bankkredit zu bekommen, im sozialen Umfeld einzusammeln. Für diese sogenannten Direktkredite wird mit den Geldgeber*innen vereinbart, für wie lange und zu welchem Zinssatz sie ihr Geld ins Projekt geben möchten. Es wird außerdem eine Nachrangklausel vereinbart, die besagt, dass die Geldgeber*innen dieses Geld nicht zurückfordern, wenn dadurch das Hausprojekt in die Insolvenz geraten, also pleitegehen würde. Sollte es finanziell schiefgehen, würden zuerst alle anderen Gläubiger*innen ihr Geld zurückbekommen, also die Bank (die sich ohnehin im Grundbuch absichert), Handwerksbetriebe, Versorgungsunternehmen und so weiter.

Erst einmal ist bisher ein Syndikats-Projekt gescheitert. Der Eilhardshof in Neustadt an der Weinstraße musste 2010 Insolvenz anmelden, nachdem schon umfangreiche Sanierungsarbeiten begonnen worden waren. Die Baukosten waren zu gering kalkuliert gewesen, es fehlten fachliche Kompetenzen in der Gruppe, und als es finanziell eng wurde, gab es Konflikte. Die Direktkreditgeber*innen verloren ihr Geld. Ein Solidaritätsfonds für die Eilhardshof-Geschädigten konnte immerhin einen Teil davon ersetzen. Das Syndikat rät den Darlehensgeber*innen nach dieser Erfahrung, ihre Direktkredite auf mehrere Hausprojekte zu verteilen.

Das Mietshäuser Syndikat in Berlin baut ...

In Berlin gibt es zurzeit 18 Syndikatsprojekte, überwiegend im Altbau. Neu gebaut wurde in der Malmöer Straße 29, direkt neben den S-Bahn-Gleisen an der Grenze von Prenzlauer Berg zum Wedding. Das Grundstück konnte günstig erworben werden, das 2012 fertiggestellte Gebäude wurde für Baukosten unter 1.000 Euro pro Quadratmeter errichtet. Dafür gibt es keine Unterkellerung und keine anspruchsvolle Gestaltung, die Architekten machten Abstriche beim Honorar. Das Großgruppenwohnhaus für etwa 20 Leute braucht weniger Küchen und Badezimmer, als wenn einzelne Wohnungen gebaut worden wären. Aus Kostengründen entschieden sich die Bewohner*innen, nach dem Einzug einige Arbeiten selbst zu machen, was sich jedoch als recht belastend herausstellte. Im Hausprojekt M29 gibt es neben kleinen WG-Zimmern und Gemeinschaftsflächen auch Räume zur Nutzung für die Öffentlichkeit.

Ebenfalls ein Neubau ist La Vida Verde in der Sophienstraße 35 im Lichtenberger Weitlingkiez. In 18 Wohnungen plus Gemeinschaftsbereichen leben knapp 40 Personen unterschiedlichen Alters, etwa ein Drittel davon Kinder. Drei Wohnungen wurden rollstuhlgerecht errichtet. Das sogenannte Plusenergiehaus erzeugt mehr Wärme und Energie, als es selbst verbraucht. Es konnte 2014 bezogen werden, die Nettokaltmiete von 8,80 Euro pro Quadratmeter (zuzüglich Solidarbeitrag) ist allerdings für Syndikats-Verhältnisse ziemlich hoch.

... und entprivatisiert Mietshäuser

Im Altbau konnten in Berlin in den letzten Jahren durch das Syndikat zwei Häuser in Milieuschutzgebieten vor der Verwertung am Markt gerettet werden, in der Friedrichshainer Seumestraße 14 und in der Zossener Straße 48 in Kreuzberg. Beide sind keine gemeinschaftlichen Wohnprojekte, sondern Mietshäuser mit einer gemischten Bewohnerschaft. Bei beiden war es entscheidend, dass die Mieter*innen gemeinsam aktiv wurden, sobald sie von den Verkaufsabsichten erfuhren. Die Grundstücke wurden jeweils von Stiftungen erworben und den Hausprojekten mit einem Erbbaurechtsvertrag überlassen. Die Gebäude gehören den Bewohner*innen.

In der Seumestraße kaufte die Schweizer Stiftung Edith Maryon das Grundstück direkt vom Eigentümer, in der Zossener Straße machte das Bezirksamt sein Vorkaufsrecht zugunsten der Stiftung Nord-Süd-Brücken geltend. Dadurch brauchten in beiden Fällen die Bewohner*innen nur die Finanzierung für ihr Haus aufzubringen, müssen jedoch laufend Erbbauzins bezahlen.

Das Mietshäuser Syndikat im Film

Einen lebendigen und überzeugenden Einblick ins Mietshäuser Syndikat und unterschiedliche Wohnformen, die sich darin entwickelt haben, gibt der 2016 mit Crowdfunding-Finanzierung fertiggestellte einstündige Film "Unser Haus" von Holger Lauinger. Der Film steht unter einer Creative-Commons-Lizenz und wurde frei im Internet veröffentlicht.


Weitere Informationen:

www.syndikat.org
Film: www.das-ist-unser-haus.de

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Quelle:
DER RABE RALF
28. Jahrgang, Nr. 205, Seite 21
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2018

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