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INTERNATIONAL/018: Kenia - Grenzen der internationalen Gerichtsbarkeit, Opfer enttäuscht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. April 2011

Kenia: Grenzen der internationalen Gerichtsbarkeit - Opfer enttäuscht

Von Robbie Corey-Boulet


Nairobi, 29. April (IPS) - In Kenia hat die Entscheidung der Vorverhandlungsrichter des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), die Menschenrechtsverbrechen in Kisumo und im Kibera-Slum der Hauptstadt Nairobi von dem Verfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Gewalt nach den Wahlen im Dezember 2007 abzutrennen, bei Opfern und Menschenrechtsaktivisten Enttäuschung ausgelöst. Sie warnen vor einem Glaubwürdigkeitsverlust des ICC im Kampf gegen die Straflosigkeit.

Die Richter waren im März zu dem Schluss gekommen, dass der ICC-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo nicht hinreichend beweisen konnte, dass die außergerichtlichen Hinrichtungen in Kisumu sowie die Übergriffe und Vergewaltigungen in Kibera Teil einer staatlichen Kampagne waren, die Finanzminister Uhuru Kenyatta, der Leiter des öffentlichen Dienstes Francis Muthaura und der ehemalige Polizeichef Mohammed Hussein Ali inszeniert hatten.

Die drei müssen sich vor dem Haager Tribunal wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Anstiftung zum Mord, Massenvertreibung und Vergewaltigung im Zusammenhang mit der Gewaltorgie im Rift Valley nach den Wahlen 2007 verantworten. Ein weiteres ICC-Verfahren richtet sich gegen die beiden Minister Henry Kosgey (Handel) und William Ruto (Bildung) sowie einen Radiomoderator, der seine Zuhörer zu ethnisch motivierter Gewalt aufgehetzt haben soll. Ihnen werden Mord, Vertreibung und politische Verfolgung vorgeworfen.

Die Richter der zweiten ICC-Voruntersuchungskammer räumten zwar ein, dass das von Chefankläger Ocampo vorgelegte Beweismaterial auf exzessive Polizeigewalt in Kisumu und auch im Kibera-Slum schließen lasse, die Beweise für eine Verbindung zwischen den Verbrechen und der Regierung und ihren Vertretern nicht ausreichten. Für die vielen Opfer von Kibera sei das Urteil ein Schlag ins Gesicht, sagte Stella Ndirangu von Kenias Internationaler Juristenkommission (ICJ).


"Auch in Kibera gab es Gewalt"

Consolata Ngugi, die seit 1994 in Kibera lebt, war einen Tag nach Bekanntgabe des umstrittenen Wahlsiegs von Staatschef Mswai Kibaki von drei Anhängern des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga vergewaltigt worden. "Auch in Kibera gab es Gewalt", sagte sie. "Sollte der ICC uns im Stich lassen, wäre dies ein Zeichen dafür, dass man Bewohner von Kibera töten darf, ohne dafür gerichtlich belangt zu werden."

Kibakis umstrittener Wahlsieg im Dezember 2007 hatte zum Ausbruch der Gewalt und mindestens 1.400 Toten geführt. Im Februar 2008 einigten sich die politischen Gegner schließlich auf eine Teilung der Macht. Im April 2008 wurde Odinga zum Ministerpräsidenten der Regierungskoalition Orange Demokratische Bewegung (OMD) ernannt.

Nach offiziellen Angaben kamen während der politischen Krise landesweit 1.220 Menschen ums Leben. Doch Pamela Akwede vom Menschenrechtsbüro der in Kibera angesiedelten Kirchengruppe 'Christ the King Catholic Church' zufolge starben allein im Slum von Nairobi mehr als 1.000 Menschen. Kibera von dem Verfahren gegen Kenyatta, Muthaura and Ali abzutrennen, komme in den Augen der Opfer einem Verrat gleich, sagte Akwede.

Kenias Polizei hat zwar mit Opfern der Gewalt gesprochen. Doch weigert sie sich, die Aussagen als Beweise anzuerkennen, um die Täter strafrechtlich verfolgen zu können. Akwede empfiehlt den Vergewaltigungsopfern inzwischen, nicht mehr mit den Ermittlern zu reden.

Auch Consolata Ngugi wirft den Sicherheitskräften und den Lokalgerichten vor, ihrer Verantwortung nicht nachzukommen, die Vorfälle zu untersuchen. Obwohl sie die Täter identifizieren konnte, weigert sich die Polizei, nach ihnen zu fahnden. Stattdessen wurde das Opfer aufgefordert, die Beamten zu benachrichtigen, sobald sie die Täter entdecken würde. "Diese Männer sind Säufer", so Ngugi. "Sie halten sich in den umliegenden Kneipen und Nachtclubs auf. Ich kann nicht jede Nacht die Bars nach den Typen durchkämmen, die mein Leben zerstört haben."


Menschen in Kisumu fühlen sich verraten

Wie die ICJ-Anwältin Ndirangu betonte, werden sich auch die Opfer von Kisumu verraten fühlen, sollte ihr Fall von dem Verfahren gegen Kenyatta, Muthaura and Ali abgetrennt werden. In der westkenianischen Stadt starben während der politischen Krise mindestens 60 Menschen. "In Kisumu wurden die meisten Vorfälle und insbesondere die Polizeigewalt, gefilmt. Deshalb ist es einfach unvorstellbar, dass die Täter nicht bestraft werden", kommentierte die Juristin.

Nach Angaben der ICC-Sprecherin Jelena Vukasinovic ist Ocampo fest entschlossen, noch vor der Verhandlung über die Bestätigung der Anklage im September neues belastendes Material vorzulegen. Wie Ndirangu berichtete, hatte der Chefankläger Kenias zivilgesellschaftliche Organisationen unlängst auf einem Treffen in Den Haag aufgefordert, neue Beweise einzureichen. "Seine Botschaft lautete: 'Wenn ihr mehr Belastungsmaterial habt, werde ich es zulassen.'" (Ende/IPS/kb/ 2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2011