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INTERNATIONAL/021: Kambodscha - Weitere Verfahren gegen Khmer-Rouge-Kriegsverbrecher ungewiss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2011

Kambodscha: Weitere Verfahren gegen Khmer-Rouge-Kriegsverbrecher ungewiss

Von Irwin Loy

Hommage an die Gefangenen des S-21-Foltergefängnisses - Bild: © Irwin Loy/IPS

Hommage an die Gefangenen des S-21-Foltergefängnisses
Bild: © Irwin Loy/IPS

Phnom-Penh, 16. Mai (IPS) - In Kambodscha sind die Angehörigen der Opfer des Terrorregimes der Roten Khmer besorgt. Sie befürchten, dass das Kriegsverbrechertribunal nur die ersten zwei von insgesamt vier Verfahren zum Abschluss bringt und die letzten beiden Prozesse unter den Tisch fallen lässt. Offiziell sind bislang keine Verdächtigen, keine Anwälte und auch keine Opfer benannt worden.

Ende April gab das von den Vereinten Nationen unterstützte Tribunal bekannt, die Co-Ermittlungsrichter hätten ihre Untersuchungen im sogenannten 'Fall 003' gegen das Khmer-Rouge-Regime abgeschlossen. Dennoch wurden weder Verdächtige noch Opfer aufgefordert, sich für den Prozess zur Verfügung zu stellen. Beobachter interpretieren die Untätigkeit des Gerichts als Hinweis dafür, dass die Fälle 003 und 004 im Sande verlaufen sollen.

"Alles scheint so, als wolle man in dieser Angelegenheit keine Aufmerksamkeit erregen", meinte Clair Duffy von der 'Open Society Justice Initiative', einer internationalen Rechtsschutzorganisation. Theary Seng, deren Eltern von den Roten Khmer ermordet worden waren, fand noch deutlichere Worte. Sie sprach von einem "Affront" gegen die 1,7 Millionen Kambodschaner, die während der Gewaltherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 umgebracht worden waren.

Seng hatte im letzten Monat das Gericht gegen sich aufgebracht, als sie für den Fall 003 einen Status als Zivilpartei beantragte und die Namen der Personen nannte, gegen die ihrer Meinung nach ermittelt wird. Ein Sprecher des Gerichts warf ihr daraufhin "Voreiligkeit" vor. Der Antrag wurde abgelehnt. Das Kriegsverbrechertribunal räumt qualifizierten Opfer oder ihren Familien das Recht ein, an den entsprechenden Prozessverfahren direkt teilzunehmen.

Seng rechtfertigte ihren Vorstoß als Versuch, die Untersuchungen des Tribunals unter öffentliche Kontrolle zu bringen. Ihrer Ansicht nach nutzt das Gericht die Floskel "vertraulich" als Vorwand, um sich aus seiner Verantwortung zu stehen.

Bisher haben die außerordentlichen Kammern der Gerichte Kambodschas (ECCC), wie das Tribunal offiziell genannt wird, erst einem Khmer-Rouge-Verbrecher den Prozess gemacht. Sie feierten die Verurteilung von Kaing Guek Eav alias 'Duch' als Sieg der Gerechtigkeit nach Jahren der Straflosigkeit. Duch war der Gefängnischef der Roten Khmer und für die Folter und den Tod von mindestens 14.000 Menschen verantwortlich gewesen.

In einem zweiten Verfahren sollen in diesem Jahr vier weitere ehemalige Khmer-Rouge-Kader vor Gericht kommen: der ehemalige kambodschanische Präsident Khieu Samphan, die Nummer zwei des Regimes Nuon Chea sowie der ehemalige Außenminister Ieng Sari und dessen Ehefrau Ieng Thirit. Pol Pot, der Führer der ultra-maostischen Bewegung, war 1998 gestorben, ohne rechtlich behelligt worden zu sein.

Ein Gerichtstermin für Fall 002 steht noch nicht fest. In beiden Fällen hatten die ECCC die Öffentlichkeit über den Fortlauf der Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten. Auch scheuten die Richter keine Mühen, um Überlebende des Regimes und ehemalige Khmer-Rouge-Kader als Zeugen aufzutreiben.


Geheimniskrämerei

Doch im Fall 003 ist alles anders. Das Tribunal hält sich mit Informationen über den Fortlauf des Verfahrens bedeckt und lässt auch die Opfer im Dunkeln. "Seit 20 Monaten haben wir so gut wie nichts über den Fall gehört", beschwerte sich Clair Duffy. "Dabei unterscheidet er sich im Grunde nicht von 002. Dass aber die zivilen Parteien noch nicht einmal die grundlegendsten Informationen für ihre Teilnahme erhalten haben, legt nahe, dass die Richter den Fall ad acta legen wollen."

Das könnte damit zu tun haben, dass das Kriegsverbrechertribunal unter politischem Druck steht. So hatte die Regierung wiederholt erklärt, dass die ECCC nach Abschluss des Falls 002 seine Arbeit einstellen sollten. Als Begründung hieß es, die Verfahren rissen nur unnötig alte Wunden auf und gefährdeten die nationale Stabilität.

Die Meinungen in dieser Frage gehen selbst innerhalb des ECCC-Tribunals, das sich aus kambodschanischen und internationalen Rechtsvertretern zusammensetzt, auseinander. So betonte der internationale Ko-Ankläger Andrew Cayley in einer jüngsten Presseerklärung, dass er die Ermittlungsrichter auffordern werde, mit den Voruntersuchungen fortzufahren, da diese noch nicht vollständig abgeschlossen seien.

Außerdem wartete er mit neuen Informationen über die Orte auf, an denen seiner Meinung nach die untersuchten Verbrechen stattgefunden hatten. Ferner forderte er das Tribunal auf, den mutmaßlichen Opfern mehr Zeit zu geben, um ihren Status als Zivilpartei zu beantragen. Nach den derzeitigen gerichtlichen Bestimmungen läuft die Frist am 18. Mai ab.

Kurz nach Verbreitung der Pressemitteilung Cayleys meldete sich die kambodschanische Staatsanwältin Chea Leang zu Wort. Sie erklärte, dass es sich bei den Verdächtigten weder um führende Khmer Rouge-Vertreter noch um Hauptverantwortliche der Menschenrechtsverbrechen handele.

Die Richter werden in diesem Monat entscheiden, ob sie der Forderung des Ko-Staatsanwaltes Cayley Folge leisten werden. Sollten sie dies nicht tun, könnten die Co-Staatsanwälte das Urteil anfechten. Später obliegt ihnen die Beurteilung der fertig gestellten Prozessakte. Dann können sie den Richter auffordern, Anklage zu erheben und das Verfahren zu eröffnen beziehungsweise den Fall gänzlich fallen zu lassen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2011