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INTERNATIONAL/124: USA - Unter Terrorverdacht, muslimische Gefangene geächtet und diskriminiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2014

USA: Unter Terrorverdacht - Muslimische Gefangene geächtet und diskriminiert

von Kanya D'Almeida


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Familie Mehanna

Tarek Mehanna (rechts) mit seiner Mutter und seinem Bruder bei den PhD-Abschlussfeierlichkeiten
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Familie Mehanna

New York, 24. April (IPS) - In den USA ist das Wort 'Terrorist' mit einem Stigma behaftet, so dass der bloße Verdacht genügt, um einer Person sämtliche Bürgerrechte zu entziehen. Diese Erfahrung machen vor allem die Muslime im Land, die sich allmählich und mit Hilfe einer neuen Bewegung zur Wehr setzen.

Derzeit entsteht eine nationale Allianz, die Menschenrechtsverstöße im Zusammenhang mit Terrorverdachtsfällen in den USA publik machen und angehen will. Zu ihren Hauptversammlungsorten gehört ein kleiner Platz vor dem New Yorker 'Metropolitan Correction Centre' (MCC), in dem als gewalttätig eingestufte Verdächtige in Isolationshaft gehalten werden.

Die Familien, die sich dort einmal im Monat zu einer Mahnwache einfinden, unterstützen die Kampagne 'No Separate Justice', die der US-Regierung vorwirft, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeführten Gesetze zu missbrauchen, um gegen friedliche und gesetzestreue Muslime vorzugehen, die ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Religionsausübung wahrnehmen.

An der Mahnwache vor dem MCC am 10. März beteiligte sich auch Tamer Mehanna, der Bruder des in Pittsburgh geborenen Apothekers Tarek Mehanna, der eine 17-jährige Haftstrafe in Terra Haute im Bundesstaat Indiana verbüßt. Bevor er unter anderem wegen materieller Unterstützung des Terrorismus verurteilt wurde, war er in verschiedenen Haftanstalten inklusive im MCC insgesamt zwei Jahre lang in Isolationshaft gehalten worden.


Zweierlei Maß

Nach Ansicht von Aktivisten zeigt Tarek Mehannas Fall, dass die US-Justiz gegenüber Muslimen andere Maßstäbe anlegt. Wie Tamer Mehanna berichtet, hat das FBI zwischen 2004 und 2008 ständig Kontakt zu seinem Bruder gesucht, um ihn als Informanten zu gewinnen. Die Palette reichte demnach von höflichen Bitten bis hin zu psychologischen Einschüchterungen. Als alle Versuche der Bundespolizei fehlschlugen, wurde Tarek an einem New Yorker Flughafen verhaftet, von wo aus er nach Saudi-Arabien fliegen wollte.

Experten sehen den Fall als ein besonders augenfälliges Beispiel für die strafrechtliche Verfolgung von Meinungsdelikten in den USA. Zunächst wurde Tarek Mehanna vorgeworfen, gegenüber dem FBI eine Falschaussage gemacht zu haben. Er kam gegen Kaution frei und wurde dann erneut verhaftet, dieses Mal unter dem Vorwurf der Beteiligung an der Vorbereitung eines Anschlags auf ein Einkaufszentrum. Beweise dafür konnten vor Gericht jedoch nicht vorgelegt werden.

Innerhalb von 35 Tagen bereitete die Staatsanwaltschaft eine Anklage vor, die sich auf Aufzeichnungen von Online-Chats, seine Übersetzung eines altarabischen Textes über Wege, sich am Dschihad zu beteiligen, sowie seine Pläne stützte, als Pharmazeut an einem renommierten Krankenhaus in Saudi-Arabien tätig zu werden.

Tamer Mehanna zufolge nahm die Anklage nie Bezug auf eine konkrete Tat, die als Beweis einer materiellen Unterstützung des Terrorismus hätte gewertet werden können. Offenbar lag gegen ihn nicht mehr vor, als dass er sich mit der muslimischen Gemeinde in Worcester in Massachusetts ausgetauscht hatte.

Die Verteidigung hatte Andrew March, einen Professor der Yale-Universität, als Sachverständigen in den Zeugenstand gerufen. "Als politischer Wissenschaftler, der sich mit islamischen Rechtsfragen beschäftigt, lese, sichere, teile und übersetze ich Texte und Videos von Dschihad-Gruppen", fasste er die Verhandlung zusammen. "Als politischer Philosoph beteilige ich mich an Debatten über die ethische Seite des Tötens. Als Bürger bringe ich meine Ansichten, Gedanken und Gefühle über das Töten anderer Bürger zum Ausdruck. In der Verhandlung gegen Herrn Mehanna erlebte ich, wie die gleichen Handlungen als Verbrechen ausgelegt wurden."

Für die Familie Mehanna war der Fall traumatisch. Sie musste nicht nur 1,3 Millionen US-Dollar für die Kaution aufbringen, sondern wurde auch von ihrer Gemeinde in Massachusetts angefeindet, brachte viele Stunden vor Gericht zu und gab sogar ihre Arbeitsstellen auf, um dem Beschuldigten beizustehen. "Wir sind eine eng miteinander verwobene Familie. Und die Geschichte war für uns die Hölle", sagte Tamer Mehanna. "Als mein Bruder verhaftet wurde, musste meine Mutter mit ansehen, wie er, ein angesehener Bürger, auf den Boden geworfen und wie ein Tier vor den Augen einer großen Menschenmenge gefesselt wurde."

Die Verwandten von Mehanna sind nicht die Einzigen, die von der Unschuld eines Angehörigen überzeugt sind. Eine Studie, die in Kürze veröffentlicht werden soll und an der Mitglieder der Nationalen Koalition zum Schutz der Bürgerrechte (NCPCF) und des SALAM-Projekts zur Unterstützung von Muslimen mitgearbeitet haben, dokumentiert Hunderte Fälle von Muslimen, die unter bloßem Terrorverdacht verhaftet und ins Gefängnis geworfen wurden. Für den ehemaligen NCPCF-Geschäftsführer Stephen Downs sind diese Menschen zweifelsohne politische Gefangene.


Isolationshaft

Den Familien inhaftierter Muslime zufolge werden ihre Angehörigen oft in so genannten 'Communication Management Units' (CMUs) in Isolationshaft gehalten. Diese Gefängnistrakte seien heimlich während der Regierungszeit von Präsident George W. Bush - zuerst 2006 in Terre Haute in Indiana und dann 2008 in Marion in Illinois - eingerichtet worden, so Alexis Agathocleous vom 'Center for Constitutional Rights' (CCR).

Etwa 80 Häftlinge sitzen derzeit in CMUs ein. Agathocleous schätzt, dass zwischen 66 und 72 Prozent von ihnen Muslime sind, die wiederum nur sechs Prozent aller Strafgefangenen in den USA ausmachen. (Ende/IPS/ck/2014)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2014