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INTERNATIONAL/140: Palästinenser knüpfen große Erwartungen an Internationalen Strafgerichtshof (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2015

Nahost: Palästinenser knüpfen große Erwartungen an Internationalen Strafgerichtshof

von Khaled Alashqar


Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Die palästinensische Familie Baker mit Fotos ihrer vom israelischen Militär getöteten Kinder
Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Gaza-Stadt, 5. März (IPS) - Am 1. April wird die Palästinensische Autonomiebehörde formell dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) beitreten. Damit fallen die Palästinensergebiete in die Zuständigkeit des auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Fälle von Völkermord spezialisierten Tribunals. Die ICC-Mitgliedschaft gibt vielen Palästinensern Anlass zu Hoffnung, dass Israel wegen seiner Besatzung der Palästinensergebiete und der Bombardierung des Gazastreifens im letzten Sommer zur Verantwortung gezogen wird.

Sahar Baker hatte einen zehnjährigen Sohn, der im vergangenen August zusammen mit drei Cousins von einem israelischen Kanonenboot aus erschossen wurde. Die Kinder hatten am Strand Fußball gespielt. "Denjenigen, die dafür verantwortlich sind, dass sein kleiner Körper zerfetzt wurde, werde ich nie vergeben", sagt die 47-Jährige. "Mein Appell gilt all jenen, die uns helfen können, Gerechtigkeit zu finden und die Mörder meines Kindes ihrer Strafe zuzuführen."


Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Sahar Baker mit einem Foto ihres zehnjährigen Sohns Ismail
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Die Bakers, die im Gazastreifen in einem Lager in Meeresnähe leben, hoffen, dass der Beitritt zum ICC dazu führen wird, dass gegen die Regierung und Armeevertreter Israels strafrechtlich ermittelt wird.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte am 31. Dezember 2014 das Statut von Rom, auf dem der ICC gründet, unterzeichnet. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat einen Vorstoß der Palästinenser abgewiesen, Israel für den Abzug aus den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten eine Frist zu setzen.

Berichten zufolge hat Mohammad Shtayyeh, Mitglied des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, angekündigt, noch am selben Tag des offiziellen ICC-Beitritts in Den Haag Strafantrag gegen Israel wegen der Luftangriffe auf den Gazastreifen im letzten Sommer und der israelischen Siedlungspolitik zu stellen.


Vor- und Nachteile

Die Aufnahme der Palästinenser in den ICC biete erstmals die Möglichkeit, Israel für den Einsatz von Gewalt im Zusammenhang mit der Besatzung sowie den Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung zur Rechenschaft zu ziehen, ließ der palästinensische Außenminister Riad al-Malki wissen. Dies sei vor dem ICC-Beitritt nicht machbar gewesen.

Palästinenser-Führer hatten eine mögliche ICC-Mitgliedschaft lange als Druckmittel gegen Israel eingesetzt, um eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Doch verschafft die Aufnahme in den ICC den Palästinensern nicht nur politische und rechtliche Vorteile.

In Reaktion auf den Vorstoß hat Israel bereits den Transfer von Steuergeldern eingefroren, die der Autonomiebehörde zustehen. Dies bedeutet, dass die Autonomiebehörde die Gehälter der öffentlichen Angestellten der palästinensischen Autonomiebehörde nicht mehr bezahlen und für die operativen Kosten im Gazastreifen und im Westjordanland nicht länger aufkommen kann. Auf diese Weise wird die Arbeit des ohnehin schwachen öffentlichen Sektors in den Autonomiegebieten weiter geschwächt.

Aufgrund des Beitritts zum ICC hat Israel den Palästinensern zudem weitere 'Strafmaßnahmen' angedroht. Politische Beobachter rechnen mit neuen langwierigen Feindseligkeiten zwischen beiden Seiten.


Wettlauf mit der Zeit

Palästinensische Menschenrechtsorganisationen, darunter das 'Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte' in Gaza-Stadt, unternehmen einen Wettlauf mit der Zeit, um die zahlreichen Fälle von Zivilisten zu dokumentieren, die im vergangenen Sommer während der israelischen Offensive im Gazastreifen getötet wurden. Die Zusammenstellung soll dem ICC als Grundlage für die Ermittlungen gegen Israel dienen.

Zentrumsdirektor Issam Younis führt die Entscheidung Israels, in weniger als fünf Jahren drei Kriege gegen die Palästinenser zu führen, darauf zurück, dass sich Israel viel zu lange in Sicherheit wiegen konnte, für die Besatzung nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vor den ICC zu ziehen, bedeute, den Opfern zu helfen, vor einem internationalen Gericht Gerechtigkeit zu erfahren, und die Palästinenser vor weiteren Verstößen von Seiten der Besatzungsmacht zu bewahren.

Der Beitritt zum ICC kommt der palästinensischen Führung auch insofern gelegen, als dass der politische, rechtliche und diplomatische Status der Palästinenser auf internationaler Ebene gestärkt wird. Auf Israel kann somit größerer Druck ausgeübt werden, um zu erreichen, dass das Ziel der Gründung eines palästinensischen Staates bei künftigen Verhandlungen mehr Gewicht erhält. (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/families-see-hope-for-justice-in-palestinian-membership-of-icc/

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IPS-Tagesdienst vom 5. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2015

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