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STANDPUNKT/016: Zur Befreiungstheologie verlor der Papst in Brasilien kein Wort (Gerhard Feldbauer)


Es bleibt bei der Inquisition

Zur Befreiungstheologie verlor der Papst in Brasilien kein Wort

von Gerhard Feldbauer, 31. Juli 2013



Während des Besuchs des Papstes in Brasilien bewegte die auf Reformen setzenden Kreise der katholischen Kirche, wie sich Franziskus zu der wie in ganz Lateinamerika auch in dem besuchten Land stark vertretenen Befreiungstheologie verhalten wird. Diese Theologie breitete sich in Lateinamerika, wo knapp die Hälfte der Katholiken der Welt leben, seit der zweiten Konferenz des dortigen Episkopats 1969 in Medelin (Kolumbien) machtvoll aus. Entscheidende Impulse erhielt diese Strömung von den nationalen Befreiungskämpfen auf dem Kontinent, besonders durch deren Erfolge in Kuba und Nikaragua, aber auch von dem unter dem Sozialisten Salvatore Allende in Chile unternommenen Versuch einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft.


Bischöfe an der Seite der Befreiungskämpfer

Die Befreiungstheologen sahen ihr Handeln auf der Basis der von Johannes XXIII. verfolgten Kirchenpolitik und des von ihm einberufenen Vatikanum II und seiner Beschlüsse. Sie gingen davon aus, dass Christus sein Werk der Erlösung "in Armut und Verfolgung" vollbrachte und so auch die Kirche den gleichen Weg einschlagen müsse. Nicht wenige lateinamerikanische Bischöfe standen damals als ihre Anhänger mehr oder weniger offen an der Seite der kämpfenden Völker und verkündeten angesichts des unerträglichen Elends und des Hungers, dass das Reich Gottes nicht erst im Jenseits beginnen könne.

Einige führende Vertreter der Befreiungstheologie Brasiliens hatten sich jetzt in der Hoffnung geäußert, dass Franziskus für einen Wandel ihnen gegenüber eintreten möge und waren von einigen seiner positiven Aspekte ausgegangen. So äußerte Jon Sobrino, "der Papst sei zwar früher als Jorge Mario Bergoglio "kein Romero" (einer ihrer engagiertesten Vertreter, der von der Todesschwadron "Escuadron de la Muerte" ermordete Erzbischof Oscar Arnulfo Romero von El Salvador) zur Zeit der Militärjunta gewesen, doch sehe er in der "Einfachheit und Demut" des bisherigen Auftretens des Papstes "kleine Zeichen", die noch "zu großen Zeichen anwachsen" sollten, so der Jesuit in einer Stellungnahme, die "Kathpress" zitierte. Ähnlich äußerten sich Leonardo Boff und Helder Camara. Der 85-jährige Pedro Casaldaliga, der erst im Dezember 2012 nach Morddrohungen vorübergehend untergetaucht war, hatte gegenüber der Zeitung "O Globo" die Hoffnung auf eine Kurienreform geäußert, die auch die Befreiungstheologie betreffen möge. Von Franziskus wurden keine derartigen Reaktionen bekannt. Das besagt nichts anderes, als dass der Papst an der von seinen Vorgängern, dem Polen Wojtyla und dem Deutschen Ratzinger verfolgten Inquisition dieser progressiven Theologie keine Korrekturen vornehmen wird.


Die Drangsalierungen unter Wojtyla und Ratzinger

Welchen Drangsalierungen waren die Befreiungstheologen Brasiliens wie die aus vielen anderen Ländern Lateinamerikas ausgesetzt: Der hoch angesehene Professor und Angehörige des Franziskanerordens Leonardo Boff, der unter anderem offen seine Sympathien mit dem sozialistischen Kuba bekundete, wurde 1984 von Kardinal Ratzinger, damals Chef der Glaubenskongregation, gemaßregelt. Seine Äußerungen darüber in seinem Buch 'Kirche, Charisma und Macht' wurden als eine "Gefahr für die gesunde Lehre des Glaubens" verurteilt. 1988 wurde der Bischof von Sao Felix do Araguaia, Pedro Casadáliga, schriftlich aufgefordert, seine Sympathien für die Befreiungstheologen zu widerrufen und deren Theorie zu entsagen. 1989 wurden das "Regionalseminar des Nordostens" und das Theologische Institut von Recife in Brasilien wegen ihrer nicht "vertrauenswürdigen" Erziehung geschlossen. Beide Institutionen hatte der Anhänger der Reformideen Johannes XXIII. und sozial engagierte Erzbischof Helder Camara gegründet.

1991 wurde die von dem brasilianischen Verlag Edizione Paoline herausgegebene von Befreiungstheologen verfasste Bibelausgabe verboten. Der älteste Verlag Brasiliens "Vozes", in dem Professor Boff die gleichnamige Zeitschrift herausgab, wurde der Verwaltung des Vatikans unterstellt. Boff wurde die Herausgabe der Zeitschrift untersagt und er aus dem Verlag entfernt. Der Erzbischof von Fortaleza in Brasilien, Aloisio Lorschneider, wurde gezwungen, drei verheiratete Priester, die am Institut für Theologie und in der Seelsorge tätig waren, zu entlassen. 1993 verurteilte Johannes Paul II. anhaltende Verstöße gegen das Zölibat und erklärte unmissverständlich, dass es für die lateinamerikanische Kirche verpflichtend bleibt.


Nürnberger Menschenrechtspeis für den Bischof von Chiapas

Ständigen massiven Angriffen der Glaubenskongregation war der Bischof von San Cristobal de las Casas (Chiapas) in Brasilien, Samuel Ruiz Garcia, ausgesetzt. Als sich 1994 die Indios gegen ihre Unterdrücker erhoben, wandte sich der Bischof zwar gegen die Gewaltanwendung, zeigte gleichzeitig aber Verständnis dafür, dass die in der Zapatistischen Befreiungsarmee kämpfenden Ureinwohner zu Verzweiflungstaten getrieben würden und wirkte als Vermittler zwischen der Regierung und den Rebellen. Besonders wütend reagierte Rom darauf, dass er Rituale indigener Religiosität in die katholische Lehre integrierte. Die reaktionären Kreise des Landes verfolgten ihn mit einer wüsten Hetze und Morddrohungen. 1997 entkam er nur knapp einem Anschlag. Gegen seine vom Vatikan angedrohte Entlassung protestierten 20.000 Bauern mit ihrer Unterschrift in einem Brief an den Papst. Das soziale und politische Engagement des streitbaren Gottesmannes wurde weltweit bekannt. Mehrere Universitäten verliehen ihm den Doktor honoris causa, Städte die Ehrenbürgerschaft. Als er 2000 emeritierte erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Würdigungen. In Paris nahm er den internationalen Simon Bolivar-Preis der UNESCO entgegen, in Deutschland den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspeis.


Jesuchristo Liberador - ein bedeutendes Werk von Jon Sobrino

Als Benedikt XVI. 2007 Brasilien besuchte, kündigte er an, dass er weiter mit aller ihm zur Verfügung stehenden Härte gegen die Befreiungstheologen vorgehen werde. Als warnendes Beispiel maßregelte er Jon Sobrino, der ihm in zwei Büchern widersprochen hatte, die zu theologischen Standardwerken aufstiegen: "Jesucristo Liberador" (Der befreiende Christus) und "La fe en Jesucristo" (Der Glaube an Jesus Christus). Sobrino, der als Einziger von sieben Jesuiten 1989 in El Salvador ein Massaker der Todesschwadron überlebte, verband "den Christus, den Träger messianischer Hoffnung, mit der Befreiung der Unterdrückten" und kritisierte, dass eine (von Rom vertretene) Trennung dieses Zusammenhangs "ganz im Interesse der Mächtigen und Unterdrücker" sei. Er predigte, "An Gott zu glauben bedeutet, sich mit den Unterdrückten zu solidarisieren".


Es bleibt auch unter Franziskus bei der Inquisition

Ratzinger hatte bereits 1984 Sobrinos Auffassungen in seiner berüchtigten Instruktion "Libertatis nuntius" entschieden verurteilt. Vor Antritt seiner Brasilienreise erteilte er nun als Papst Sobrino zum Abschluss eines Inquisitionsverfahrens eine schwere Rüge. In seiner Rede auf der Bischofskonferenz untersagte er den Priestern jede politische Betätigung oder gar "sozialrevolutionäres" Engagement. Die "wirkliche Revolution" komme von Gott. Auf das Entschiedenste untersagte Benedikt Erörterungen über das Zölibat und Schwangerschaftsunterbrechung. Dabei bleibt es auch unter Franziskus.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2013