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STANDPUNKT/051: Bischof Josef Wesolowski vor Prozesseröffnung gestorben (Gerhard Feldbauer)


Bischof Josef Wesolowski vor Prozesseröffnung gestorben

Er wurde wegen sexuellen Missbrauchs vor dem Gericht des Vatikans angeklagt

Von Gerhard Feldbauer, 2.9.2015


Der wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen vor dem Gericht des Vatikans in Rom angeklagte frühere Erzbischof und Nuntius (Botschafter) des Papstes in der Dominikanischen Republik, der Pole Josef Wesolowski, ist am 28. August plötzlich verstorben. Die Prozesseröffnung am 11. Juli musste vertagt werden, da Wesolowski wegen gesundheitlicher Beschwerden auf die Intensivstation eines römischen Krankenhauses gebracht wurde. Ende Juli wurde der Erzbischof aus dem Krankenhaus entlassen und wartete auf die Prozesseröffnung.

In Santo Domingo beschuldigte die Staatsanwaltschaft den Nuntius, Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren sexuell missbraucht zu haben. Er soll die schwere soziale Lage seiner Opfer ausgenutzt und sie dafür bezahlt haben, vor ihm zu masturbieren. Außerdem habe Wesolowski "enorme Mengen" kinderpornografisches Material besessen.

Nachdem sowohl Polen als auch die Dominikanische Republik Strafverfahren gegen den Erzbischof angekündigt und dann auch noch der UN-Ausschuß gegen Folter ein Eingreifen des Vatikans verlangt hatte, rief Papst Franziskus den Beschuldigten 2014 nach Rom zurück und enthob ihn seiner geistlichen Würden. Wesolowski wurde unter Hausarrest gestellt und ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Es war der erste Fall, dass ein vormals ranghoher kirchlicher Würdenträger wegen sexuellen Missbrauchs vor einem Gericht des Vatikanstaats angeklagt wurde. Wesolowski hätte eine zehnjährige Haftstrafe erwartet.

Es ist binnen kurzer Zeit bereits der vierte Bischof, gegen den der Vatikan wegen Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen ermittelt. Unter dem polnischen Papst Johannes Paul II. wurden derartige Mißbrauchsfälle völlig ignoriert. Auch unter seinem Nachfolger Benedikt XVI. wurden Maßnahmen gegen pädophile Delikte verschleppt. Vatikankritiker enthüllten sogar mehrfach, dass der vormalige Kardinal Joseph Ratzinger solchen Verbrechen regelrecht Vorschub geleistet habe. Franziskus hatte bereits vor der Affäre Wesolowski sexuellen Mißbrauch als "schreckliche Straftat" angeprangert und strenge Untersuchungen angekündigt. Für die Beschuldigten, egal ob Priester oder Kardinal, werde es "keine Privilegien" geben.

Angesichts des bevorstehenden Prozesses und einer Verurteilung kamen frühzeitig Zweifel auf, ob der Angeklagte eines natürlichen Todes starb. Eine vom Vatikan angeordnete Obduktion ergab, wie Radio Vatikan mitteilte, dass Wesolowski einen Herzinfarkt erlitten habe.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2015

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