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STANDPUNKT/097: Sucht nach Harmonie (Ingolf Bossenz)


Sucht nach Harmonie

Papst Benedikt XVI. scheiterte an der theologischen Auseinandersetzung mit dem Islam.
Sein Nachfolger Franziskus setzt auf Religionsfrieden durch Demut.

Von Ingolf Bossenz, Februar 2018


Wer im Niedergang von Institutionen nur das Walten der Historie als Exekutorin des Überlebten sieht, verkennt die Erhabenheit des Verfallenden. Diese nämlich belohnt uns bisweilen mit Histörchen, die Glanz und Elend der Ruinierten in eine Relation zum Weltganzen setzen, die an deren beste Zeiten erinnert. So die römisch-katholische Kirche mit ihrer fast 2000-jährigen wichtigsten Institution, dem Papsttum. Letzteres wurde im vergangenen Jahr mit einer Kabale der Globalmacht USA in Beziehung gebracht, die, so sie denn wahr wäre, dem Mann auf dem Stuhl Petri einen Einfluss zuschriebe, wie ihn einst bestenfalls die Renaissance-Päpste der Borgia oder Colonna genossen.

Papst Benedikt XVI., der vor fünf Jahren - am 28. Februar 2013 - zurücktrat, soll diesen spektakulären Schritt nicht - wie er damals erklärte - wegen nachlassender Kräfte »infolge des vorgerückten Alters« getan haben, sondern im Gefolge einer handfesten Erpressung durch die US-Regierung. Das jedenfalls behauptete Germano Dottori, Professor für Internationale Sicherheit an der römischen Link Campus University, in der geopolitischen Zeitschrift »Limes«. Die kritische Haltung des deutschen Kirchenoberhauptes zum Islam sei zu Zeiten des »Arabischen Frühlings« von US-Präsident Barack Obama und seiner damaligen Außenministerin Hillary Clinton als politisch störend empfunden worden, insbesondere mit Blick auf ein mögliches Arrangement mit den zeitweise regierenden Muslimbrüdern in Ägypten. Als Druckmittel auf den Heiligen Stuhl, so Professor Dottori, seien die sogenannten Vatileaks-Dokumente mit Enthüllungen über Interna des Kirchenstaates und die sensible Vernetzung der Vatikanbank mit dem internationalen Finanzsystem zum Einsatz gekommen.

Nun zeigt ja das deutsche GroKo-Gerangel, dass die verbliebenen Restmengen an politischer Rationalität rapide zur Neige gehen. Und auch in Washington regieren und regierten Menschen, die mit der Folie eines überschaubaren Weltbildes zu unterkomplexen Aktionen neigen. Ein Szenario wie das oben geschilderte erscheint also durchaus im Sektor des Möglichen, soll hier aber nicht weiter auf seine faktische Belastbarkeit untersucht werden. Allerdings ist der Ansatz dieser Konspirationstheorie, der auf das Verhältnis der katholischen Kirche zum Islam abzielt, wie kein anderer geeignet, den Kern des politisch-theologischen Agierens der beiden Päpste zu betrachten, die nach wie vor gemeinsam hinter den Leoninischen Mauern leben.

Der Zentralaspekt, unter dem die Haltung Joseph Ratzingers als Papst Benedikt XVI. zum Islam gesehen wird, bleibt seine Regensburger Vorlesung, in deren Text der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350 - 1425) zitiert worden war: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.« Auch Germano Dottori vermittelte in seinem »Limes«-Artikel die Ansicht, Benedikt XVI. sei mit dieser Rede zum kirchlich-intellektuellen Kopf der Opposition gegen den islamischen Fundamentalismus geworden.

Allerdings vollzog sich diese »benediktinische« Begebenheit bereits im Herbst 2006, als Ratzinger gerade knapp anderthalb Jahre und Obama noch gar nicht im Amt war. Und dem Papst wurden nach dem vermeintlichen Fauxpas umgehend die einschlägigen Instrumente gezeigt. Zornerfüllte Proteste islamischer Führer sowie von Gewalt und Drohungen begleitete Demonstrationen in Indonesien, Irak und anderen Ländern bestätigten signifikant eine Analyse, die die vatikanischen Ministerien bereits Anfang der 2000er Jahre erarbeitet hatten: Der Islam versuche, die politische Unterlegenheit, in die er sich vom »Westen« und von dessen Ideen gedrängt sieht, durch religiösen und ideologischen Überschwang zu kompensieren. So endete denn die Reise des Papstes nach Bayern, wie der italienische Theologe Elio Guerriero in seiner ebenso umfassenden wie tiefgehenden Biografie Benedikts schreibt, »in einem Hagel von Kritik vor allem von Seiten radikalislamischer Medien, die von der westlichen Presse fast mit Genugtuung aufgegriffen wurde«. Während Letztere vehement das angebliche Fehlurteil des Kirchenführers anprangerte, wollte die islamkritische italienische Schriftstellerin Oriana Fallaci (»Die Wut und der Stolz«) den Pontifex als Zeichen des Respekts für seinen Mut treffen. Fallacis Tod nur drei Tage nach der Regensburger Rede verhinderte eine solche Begegnung. Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen kürte übrigens die Regensburger Vorlesung des Papstes zur »Rede des Jahres 2006«. Laut Jury war sie »gezielt missverstanden« worden. Das ist schwer zu bestreiten.

Dennoch: Benedikt XVI., der in professoraler Arglosigkeit von den fatalen Folgen seines Zitierens überrascht worden war, hatte hernach wohl nichts weniger als den Ehrgeiz, zum kirchlich-intellektuellen Kopf der Opposition gegen den islamischen Fundamentalismus zu werden. Im Gegenteil: In den noch folgenden sechseinhalb Jahren seiner Amtszeit war das beflissene Bemühen des einstigen »Panzerkardinals« offensichtlich, die Islam-Front zu befrieden. Zumal es genügend andere Fronten gab, an denen der eher dem Theoretisch-Theologischen zugetane Petrusnachfolger Hieb um Hieb einstecken musste. Sei es das Bemühen um die Reintegration der abtrünnigen Piusbrüder in den Kirchenkörper, die Affäre um den holocaustleugnenden Traditionalistenbischof Richard Williamson oder - der wohl finale Schlag - Diebstahl, Weitergabe und Veröffentlichung vertraulicher Dokumente des Heiligen Stuhls. Es gehört zu den Rätseln vatikanistischer Hermeneutik, wie er in solch prekärer Lage als beseitigungsrelevanter Störer einer angeblich islamfreundlichen Politik der Obama-Regierung agieren sollte.

Während das Mühen Benedikts um eine dezidierte theologische Auseinandersetzung mit dem Islam auf höchster religiöser Ebene schon im Ansatz gescheitert war, machte sein Nachfolger Franziskus von Anfang an klar, dass dies für ihn erst gar keine Option ist. Betrachtet man die Verlautbarungen, Äußerungen und Aktivitäten des argentinischen Jesuiten Jorge Bergoglio, entsteht eher der Eindruck, er sei angetreten, das Image der vom Propheten Mohammed begründeten Religion in Glanz und Glorie aufzupolieren. Oder, wie domradio.de formulierte, als »neuer Gärtner« das »zarte Gewächs« des Dialogs zwischen katholischer Kirche und Islam eifrig zu »begießen«. Auffallend häufig, herzlich und offen - so domradio.de - habe sich der Papst an die Muslime gewandt. Und das »in einer Zeit, in der im Nahen Osten Kirchen brennen, Priester und Bischöfe entführt und ermordet werden und die uralten christlichen Gemeinschaften der Region durch den Exodus ihrer Mitglieder langsam ausbluten«. Franziskus wäscht am Gründonnerstag muslimischen Migranten die Füße und verteidigt den Islam gegen »gehässige Verallgemeinerungen«, denn »der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen«. Letzteres nachzulesen im Apostolischen Schreiben »Evangelii gaudium«, einem bereits im ersten Pontifikatsjahr veröffentlichten Grundsatzdokument.

Seit dem Rücktritt Ratzingers als Papst und der Wahl Bergoglios zu solchem haben wir es katholischerseits mit einer beispiellosen Offensive des Charmes und des Wohlwollens gegenüber dem schärfsten Konkurrenzunternehmen auf dem religiösen Weltmarkt zu tun. Ein einigermaßen bizarres Bemühen, das indes, wie man meinen könnte, strikter Observanz von Jesu Feindesliebe und seiner Linke-Wange-rechte-Wange-Regel folgt. Doch es sind nicht unbedingt die Füllhörner der Barmherzigkeit, die hier großzügig über das Gottesvolk welchen Gottes auch immer ausgegossen werden. Was derzeit in Europa, nicht zuletzt in Deutschland, von den Kirchen (die evangelische steht da an Beflissenheit nicht nach) zu hören und zu lesen ist, wird grundiert von der geschmeidigen Anpassung an politische Entwicklungen - eine Fähigkeit, die der Una Sancta Catholica über die fast zweitausend Jahre ihrer Existenz immer wieder das Überleben sicherte. Die muslimische Massenmigration, mit der eine vitale Glaubenskultur voraufklärerischen Geistes mit all ihren Folgen in die religiös ausgezehrte westliche Gesellschaft drängt, wird von den Amtskirchen in Wort und Tat unterstützt. Hierzulande führte diese einschränkungslose Bejahung zur Erneuerung und Bekräftigung des Um- und Ineinandergreifens von Staat und Kirche. Die beiden christlichen Großkirchen, so äußerte unlängst in diesem Kontext die Kanzlerin, sollten sich doch bitte weiter in politische Debatten einmischen. Wer denkt da noch an Missbrauchsskandale, Finanzaffären oder ermüdende Debatten für und wider Laizismus.

Kaum hatte Benedikt den Stuhl Petri geräumt und Franziskus darauf Platz genommen, waren die Gelehrten der Kairoer Al-Azhar-Universität, der bedeutendsten sunnitischen Studienanstalt, von den Avancen des Neuen so beeindruckt, dass sie wieder Gespräche mit Rom anboten. Der Dialog war Anfang 2011 abgebrochen worden, nachdem Benedikt XVI. einen Anschlag auf die koptische Al-Qiddissine-Kirche in Alexandria (23 Tote) verurteilt und religiöse Toleranz gefordert hatte. Die Bedingung der Al-Azhar-Universität für die gütige Geste: Franziskus müsse den Islam als eine Religion des Friedens würdigen.

Die doppelsinnige Botschaft des Argentiniers: Sucht nach Harmonie - ungeachtet immer neuer islamistischer Terroranschläge weltweit und andauernder Christenverfolgungen in islamischen Staaten. Er ersuchte »diese Länder demütig (sic!) darum, in Anbetracht der Freiheit, welche die Angehörigen des Islam in den westlichen Ländern genießen, den Christen Freiheit zu gewährleisten, damit sie ihren Gottesdienst feiern und ihren Glauben leben können«. Franziskus' Statthalter Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, übertraf gar seinen römischen Dienstherrn und bekannte sich zu Merkels Order der Großen Öffnung mit den Worten: »Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, der muss auch Ja sagen zum Minarett.« Worte eines »Hirten«, vor dessen Gotteshaustür in der Silvesternacht 2015/16 Auswüchse dieser Politik zu erleben waren, als Männer aus dem islamischen Kulturkreis ein sexuell aufgeladenes und von brutaler Archaik gespeistes Machtritual exekutierten.

Angesichts von Betonbarrikaden bei Festen des Volkes (vulgo: Volksfeste) und »atmenden Obergrenzen« als Sedativa für das Stimmvolk stellt sich bei solcher Servilität die Frage, wann das Demütige demütigend wird, der unlimitierte Respekt vor dem Anderen den Wert des Eigenen ins Zweifelhafte stellt und die Grenze zur Unterwerfung überschreitet. Schließlich bedeutet Islam »Erlangung von Frieden durch Unterwerfung unter Allah«. So legten denn folgerichtig zwei deutsche Bischöfe - ein katholischer und ein evangelischer - vor dem Besuch des Jerusalemer Tempelbergs ihre Brustkreuze ab. »Zum Fremdschämen unterwürfig und geschichtsvergessen«, hieß es dazu in der »Jüdischen Rundschau«. Ruht die Sehnsucht nach christlich-islamischer Harmonie gar auf einer Macht, die Papst Franziskus gewöhnlich nicht scharf genug attackieren kann? Auf der nivellierenden und neutralisierenden Kraft des Kapitalismus? Kommt ein veritabler Wandel durch Annäherung, per Abschleifen und Abnutzen alles Originären und Substanziellen dank des Katalysators von Kommerz und Konsum? In Europa ist die Transformation vom identitätsstiftenden Bekenntnis zur kulturellen Metapher und dekorativen Folklore erfolgreich im Gange. Allerdings nur beim Christentum. Doch gerade eine solche domestizierte Abwärts-Bewegung hat dem Ansturm eines in globaler Offensive agierenden Glaubenssystems wie dem Islam wenig mehr entgegenzusetzen als eben - Demut.

Benedikt XVI. sagte dieser Tage, fünf Jahre nach seiner Demission, der Mailänder Tageszeitung »Corriere della Sera«: »Während die physischen Kräfte langsam dahinschwinden, bin ich innerlich auf der Pilgerreise nach Hause.« Das heißt auf dem Weg zu Gott, seinem Gott. Meint der 90-Jährige damit den angeblich einen und unteilbaren Gott der drei »abrahamitischen« Religionen Judentum, Christentum und - als jüngster und umstrittenster Zuwachs - Islam? Oder lehnt er diesen propagandistischen Synkretismus in seinem tiefsten Innern ab? Im November 2004, damals noch Kurienkardinal, äußerte Joseph Ratzinger in einem Interview, der »feste Glaube der Muslime an Gott« sei »eine positive Herausforderung« für das europäische Christentum. Eine Herausforderung, deren freudiges - oder wenigstens fatalistisches - Aufgreifen ein frommer Wunsch blieb.


»So haben die Moslems jetzt das Bewusstsein, dass doch der Islam am Ende als die lebenskräftigere Religion auf dem Plan geblieben ist und dass sie der Welt etwas zu sagen haben, ja, die wesentliche religiöse Kraft der Zukunft sind. Vorher war Scharia und all das schon weitgehend abgetreten, jetzt ist der neue Stolz da. Damit ist auch ein neuer Schwung, eine neue Intensität erwacht, den Islam leben zu wollen. Das ist die große Kraft, die er hat: Wir haben eine moralische Botschaft und wir werden der Welt sagen, wie man leben kann, die Christen können es sicher nicht. Mit dieser inneren Kraft des Islams müssen wir uns auseinandersetzen.«

Joseph Kardinal Ratzinger, »Salz der Erde«, 1996


Literaturhinweis

Elio Guerriero: Benedikt XVI. Die Biografie. Mit einem Vorwort von Papst Franziskus und einem Interview mit Papst Benedikt XVI. Aus dem Italienischen von Silvia Kritzenberger, Martina Coers, Claudia Kock und Andrea Graziano di Benedetto; unter Mitarbeit von Sarah Christ und Claudia Kock. Verlag Herder, 656 S., geb., 38 EUR.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Februar 2018
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 24./25. Februar 2018
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1080440.sucht-nach-harmonie.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2018

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