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SCHACH-SPHINX/04495: In tiefer Selbstvergessenheit (SB)


Daß ein spannendes Buch einen Meister um den Sieg bringen könnte, wer hätte das je geglaubt oder auch nur für möglich gehalten, und doch trug es sich so zu, nämlich 1911 in Karlsbad. Fedor J. Dus- Chotimirski, ein 32jähriger, zwar begabter, doch noch recht turnierunerfahrener Meister aus Moskau, hatte gegen Meister Süchting eine Gewinnstellung erreicht. Nur noch ein paar Züge, reines Handwerkskönnen im Grunde, und der Punkt wäre an ihn gegangen. Doch Süchting, ein hartschädeliger Mensch, vertiefte sich mehr und mehr in die trostlose Stellung in der Hoffnung, vielleicht doch noch einen verborgenen, remisverheißenden Zug zu finden. So vergingen die Minuten und Dus-Chotimirski begann sich allmählich zu langweilen. Also griff er zu einem Buch und las. Die Lektüre war so ergreifend, daß er alle Welt um sich herum vergaß und natürlich nicht bemerkte, daß Süchting schließlich seinen Zug ausführte. Inzwischen schritt die Zeit auf der Schachuhr des Russen unentwegt voran. Kein Ticken, kein Hüsteln konnte Dus-Chotimirski aus der Versunkenheit in dieses Buches entreißen. Erst als ihm der Schiedsrichter darauf aufmerksam machte, daß er durch Zeitüberschreitung verloren habe, stahl sich Entsetzen auf sein Gesicht. Der junge Meister brach fast in Tränen aus, so tief erschütterte ihn die Niederlage. Von jeder gewonnenen oder verlorenen Partie hing für einen Berufsspieler Wohl und Wehe seines Lebens ab. Soviel Elend rührte schließlich den Turnierdirektor. Mit einer Banknote aus privater Kasse unterbrach der Direktor den Tränenfluß des Ärmsten. Wie gut, daß Alexander Aljechin im heutigen Rätsel der Sphinx kein fesselndes Buch zur Hand hatte, er hätte sonst mit den weißen Steinen die glänzende Siegeskombination gegen Meister Subarjew versäumt. Also, Wanderer, wie schloß Aljechin seinen Kontrahenten auf dem Brett in eine opferreiche Lektüre ein?

SCHACH-SPHINX/04495: In tiefer Selbstvergessenheit
Aljechin - Subarjew
Moskau 1916

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Eine Dame steckt voller Tücke, und besonders die von Meister Kovacevic. Als sich diese mit 1.Dg4-e6+! vom Brett verabschiedete, folgte ihr ein wenig später der schwarze König nach: 1...Sc5xe6 2.Lh3xe6+ Tf8-f7 - 2...Kg8-h8 3.Le3xh6! g7xh6 4.g6-g7+ Kg8-h7 5.g7- g8D+ Tf8xg8 6.Le6-f5+ Tg8-g6 7.Tg1xg6 Le7-f8 8.Tg6xc6+ - 3.g6xf7+ Kg8- f8 4.Th1xh6! Le7-f6 5.Le3-c5+ Sc4-d6 6.Th6-h8+ Kf8-e7 7.Th8xd8 Dc7xd8 8.Tg1-d1 Lf6-g5+ 9.Kc1-b1 und Schwarz gab auf, denn nach 9...Ke7xe6 10.Td1xd6 Dd8xd6 11.Lc5xd6 wäre das Endspiel hoffnungslos gewesen.


Erstveröffentlichung am 12. Dezember 2000

06. September 2012