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SCHACH-SPHINX/04660: Umwege der Erkenntnis (SB)


Grau ist alle Theorie, sagte schon Goethe und verwies auf das Studium der Natur. Auch der französische Philisoph und gern zum Gesellschaftskritiker stilisierte Jean-Jacques Rousseau kam zu dieser Erkenntnis. Hierzu nahm er allerdings den Umweg über das Schachspiel, und das trug sich so zu: Er war zwanzigjährig, als ihm ein Freund namens Bagueret die Regeln des Königlichen Spiels beibrachte. Der Freund, ein nur leidlich guter Spieler, erlaubte sich mit Rousseau einen Spaß und gab ihm einen ganzen Turm vor. Diese Großzügigkeit sollte Bagueret an diesem Abend bereuen. Der lernbegierige Rousseau begriff rasch, worauf es in diesem Spiel ankam, und konnte schließlich seinerseits seinem gönnerhaften Freund einen Turm vorgeben. Das Schachfieber hatte den jungen Philosophen gepackt. In den nächsten Wochen studierte er bei Tag und Nacht das Strategiebuch Philidors und übte sich in der Kunst der Kombination nach dem Werk Stammas. Schließlich, seine Auge strahlten in der Überzeugung, es nun mit jedem Meister aufnehmen zu können, ging er ins Café de la Régence, wo seinerzeit die Elite der französischen Schachspieler verkehrte. Doch das Schicksal wollte, daß der junge Rousseau vor größerer Unbill der Seele bewahrt wurde, denn er lief seinem Freund Bagueret direkt in die Arme. Und Rousseau sagte sich, 'ehe ich die großen Meister zum Duell fordere, will ich mich erst ein wenig einstimmen'. Doch seine Enttäuschung war groß. Alle Kreativität schien durch das Büffeln der Theorie wie leergefegt zu sein. Rousseau verlor an diesem Abend alle Partien. Zwar blieb er ein Freund des Königlichen Spiels, verdammte jedoch die schädlichen Folgen der Theorie, die seinen Geist so gänzlich verwirrt hatte. Mag sein, daß diese Erfahrung Rousseau zu ebenjenen berühmt gewordenen Worten 'zurück zur Natur' inspirierte. Im heutigen Rätsel der Sphinx konnte Rousseaus Talent durchaus aufglänzen. Mit den weißen Steinen zwang er dem Prinzen Conti nach nur 16 Zügen zur Aufgabe. Also, Wanderer, ob diese kleine Anekdote der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt, wahr ist jedenfalls, daß Rousseau auf den letzten Zug 12...e5xd4 des waghalsigen Prinzen auf sehenswerte Weise brillierte.



SCHACH-SPHINX/04660: Umwege der Erkenntnis (SB)

Rousseau - Prinz Conti
Paris 1759

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1...Ke7xf8? hätte 2.Sd4-e6+ zur Folge gehabt, schied also aus. 1...Ke7- d7 verbot sich wegen 2.Tf8-f7+ Sd6xf7 3.Db2xb7+ und auch 1...Sd6-e4 war nicht möglich, da das Roß den Turm auf b7 decken mußte. Die vierte Möglichkeit verhalf Botwinnik jedoch zu einem Sieg: 1...Th4-e4! 2.f3xe4 Tb7xb2+ 3.Kb1xb2 Dc5-b6+ 4.Kb2-c2 Ke7xf8 und Schwarz gewann.


Erstveröffentlichung am 04. Februar 2001

19. Februar 2013





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