Schattenblick →INFOPOOL →SCHACH UND SPIELE → SCHACH

SCHACH-SPHINX/05023: Gefühlswirrwarr (SB)


Apropos Partieformular - die schönsten Geschichten tragen sich nicht auf dem Brett zu, sondern, so scheint's, auf dem Papier. Kehren wir auf dem Fluß der Zeit ins Jahr 1967 zurück. Ort des Geschehens: Jerusalem. Unser heutiger Anekdotenheld ist der deutsche Großmeister Robert Hübner. Vor ihm auf dem Brett steht eine hundserbärmlich schlechte Stellung, und schon sieht sich sein Gegner, der holländische Meister Jan Timman, insgeheim als Triumphator. Der Schachjournalist Divinsky schrieb einmal über den holländischen Matador: "Timman birst vor Lebenskraft. Es ist so, als ob er aus einem Gemälde von Rembrandt entsprungen wäre. Ja, mehr noch, er ist der 'lachende Kavallerist' von Frans Hals." Und auch an diesem Tag umspielte ein feines schadenfrohes Lächeln seine Lippen. Hübner hingegen versank in Resignation, und schon notierte er auf seinem Formular als Ausdruck seiner seelischen Verzweiflung 1:0. In Gedanken sah er sich bereits als Verlierer, denn Timman spielte mit den weißen Steinen. Anstandshalber machte Hübner noch ein paar Züge, zutiefst davon überzeugt, daß er früher oder später die Partie aufgeben mußte. Jedenfalls flutete etwas von dieser tief-pessimistischen Stimmung wohl auch auf Timman über, dessen Züge plötzlich mehr und mehr gräuliche Farbe annahmen, kurzum, sie wurden schlechter und schlechter, so daß Hübner, nun wieder mit entspannter Gesichtshaut, in Vorteil kam. Als die Partie zu Ende ging, strich er das 1:0 durch und ersetzte es mit einem 0:1 - aus dem vermeintlichen Verlierer war der Sieger geboren worden. Man lerne daraus, auch Schachmeister sind nur Menschen mit ihren allzu menschlichen Ängsten, Nöten und Verzweiflungen. Zuletzt jedoch siegt der Sieger, unabhängig davon, welches Gefühlskostüm er zwischenzeitlich übergezogen hatte. Diesen Gefühlsumschwung hatte der Georgier Asmaiparaschwili nicht nötig, um mit den schwarzen Steinen seinem russischen Gegner Jakowitsch den Schneid abzukaufen. Ein dreizügiges Matt trennt im heutigen Rätsel der Sphinx den Gedanken von seiner Verwirklichung, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05023: Gefühlswirrwarr (SB)

Jakowitsch - Asmaiparaschwili
New York 1994

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Meister Heuttinen siegte mit einem feinen Damenopfer, und weil das Matt so lehrreich war, nahm es Meister Freund gelassen hin - kein Grund für nachtragenden Groll: 1.De5-e7+! Sg8xe7 2.d6xe7+ Kf8-e8 3.Se4xf6#


Erstveröffentlichung am 02. Juni 2001

17. Februar 2014





Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang