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SCHACH-SPHINX/05313: Brief aus Aleppo (SB)



Unweigerlich stellt sich jeder Schachfreund einmal die Frage, wie es um das Schachspiel im Europa des 19. Jahrhunderts bestellt war, als das Königliche Spiel sich in den Klubs zu regen begann und die ersten internationalen Turniere abgehalten wurden. Interessantes hatte der ungarische Schachmeister Vincenz Grimm, der als türkischer Oberstleutnant den Namen Murad Bey trug, zu berichten, als er 1851 in Syrien nach den Wurzeln des Schachspiels fahndete und insbesondere Forschungsmaterial zu finden hoffte über den Problemkomponisten des 18. Jahrhunderts Philipp Stamma, eines gebürtigen Meisters aus Syrien. Grimm schrieb über seine Erfahrungen: "Als Aleppo zum Orte unseres Exils bestimmt worden war, dachte ich gleich an Stamma, und glaubte in dem Geburtsort dieses Meisters müsse das Schach florieren; aber dem ist nicht so. Es gibt dort wohl Schachspieler, aber keinen von Ruf; die meisten spielen nach europäischen Regeln und man kann ihnen dann leicht einen Turm vorgeben; schwerer ist dies bei der arabischen Spielweise. Sie unterscheidet sich von der unsrigen folgendermaßen. 1) Der König steht zur Rechten seiner Dame, der feindlichen gegenüber. 2) Ein Bauer zieht nie zwei Felder. 3) Zum Rochieren werden drei Züge erfordert. Mit dem ersten geht der König auf das Feld eines Bauers, mit dem zweiten geht der Turm so weit er will oder kann, mit dem dritten kommt der König durch einen Springerzug hinter die Bauern. Ist vor diesen drei Zügen oder während derselben Schach geboten, so geht das Recht zu dem Springerzuge verloren. 3) Der zur Dame kommende Bauer kann nur zu einem solchen Officier gemacht werden, den der Gegner bereits genommen hat. - Die abweichende Aufstellung des Königs paralysiert unsere Spieleröffnungen, die beschränkte Bewegung der Bauern schließt stürmische Angriffe, die beim Vorgehen so nötig sind, aus. Die Araber spielen schnell, und verfehlen nie mit dem Finger auf den Stein, welchen sie angreifen, hinzuzeigen. Sie respektieren so wenig wie die Russen den Grundsatz der Nichtintervention; jeder Zuschauer sagt seine Meinung und gibt sein Gutachten. Ihr Brett ist gewöhnlich ein Schnupftuch, auf dem alle Felder weiß, nur durch schwarze Linien getrennt sind, die Steine selten von Elfenbein, gewöhnlich von Holz, grob geschnitzt, Springer und Läufer schwer zu unterscheiden. Alle meine Versuche irgendein arabisches Schachmanuskript zu finden, waren erfolglos. Kenner der arabischen Literatur glauben, daß welche vorhanden sein müssen, aber keiner meiner Bekannten hat oder kennt eins. Keiner erinnert sich hier des Namens Stamma, aber Schachspieler erzählen gerne eine Ankedote von einem berühmten Meister zu Aleppo im vorigen Jahrhundert." Europa kann also mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen, daß Schachspiel zu dem gemacht zu haben, was es heute noch ist - eine Kunst, und im zweiten Range erst ein Vergnügen. Nun aber zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zur Partie zwischen Bernstein und einem unbekannten Schachfreund aus dem Jahre 1932 in Paris. Die Stellung ist zwar laienhaft, fast möchte man sagen, altarabisch verworren, aber Meister Bernstein fand dennoch das vierzügige Matt, Wanderer.


SCHACH-SPHINX/05313: Brief aus Aleppo (SB)

Bernstein - N.N.
Paris 1932

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Schachfreund Palmer zog die losen Fäden um den schwarzen König mit 1.Dd1-h5 h7-h6 2.f5-f6! fest, denn nun scheiterte 2...h6xg5 an 3.Dh5xg5 nebst Matt und 2...g7xf6 an 3.Dh5xh6 f6xg5 4.Sd5-f6+ Dd8xf6 5.Dh6xf6 Sf2xh1 6.Df6-g5+ Kg8-h7 7.Dg5-h6+ Kh7-g8 8.Lc1-g5 Lc5-d4 9.e4- e5! Ld4xe5 10.Lc4xd3 f7-f5 11.Ld3-c4+ bzw. besser noch 10.Lg5-f6! Le5xf6 11.Lc4xd3. In tiefer Resignation zog sein Kontrahent Storer 2...Sf2xh1 und ließ sich nach 3.Dh5-g6!! f7xg6 4.Sd5-e7++ Kg8-h8 5.Se7xg6# mattsetzen.


Erstveröffentlichung am 01. Januar 2002

04. Dezember 2014





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