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SCHACH-SPHINX/05354: Wühlmäuse der Geschichte (SB)


Schachhistoriker haben sich mit einer bewundernswerten Geduld durch die Jahrhunderte zurückbewegt, haben gesichtet, verworfen, sind den Dingen auf den Grund gegangen, haben alte, vergilbte Bücher in ihre Sprache übersetzt, Traktate gelesen, begleitendes Material kompiliert, Zusammenhänge aus Mosaiken erschlossen, haben den Staub alter Bibliotheken eingeatmet, haben sich - sinnbildlich - wie Wühlmäuse durch Berge von Handschriften gefressen, haben wiederum gesichtet, verworfen und sind den Dingen auf den Grund gegangen, unermüdlich, oft unentlohnt, dennoch drangvoll, getrieben nur von dem Wunsche, das Dunkel des Schachmysteriums mit hellen Blitzen zu zerreißen. Am Ende ihrer Geschichtswühlerei zeichneten sie ein klar umrissenes Bild von der Geschichte der Schachkunst samt ihren Nebengleisen, Hauptportalen und Hintertüren. So gibt es das Schach, so wie wir es heute kennen, in England ungefähr seit 1530, in Frankreich dagegen datiert man auf das Jahr 1540 zurück. Diesen Streit um den Vortritt in der Geschichte haben, soviel darf verraten werden, englische Historiker vom Zaun der nationalen Eitelkeit gebrochen. Einschränkungen müssen jedoch in der Handhabung der Rochade und des Königssprunges gemacht werden. Bis es hier zu einer einhelligen Richtlinie kam, sollte es noch einige Zeit brauchen. Die einzelnen europäischen Schachstaaten verhielten sich in dieser Frage sehr eigenwillig und schufen mitunter Regelungen, die den gesamteuropäischen Schulterschluß wiederum um anderthalb bis zwei Jahrhunderte verzögerten. So betonte Alessandro Salvio, Doktor der Rechte zu Neapel und leidenschaftlicher Schachspieler, um 1604 in puncto Rochade: "Manche Spieler in Neapel würden lieber eine Figur verlieren, als das Recht zu rochieren." Dieses ging damals in den italienischen Schachhochburgen nämlich verloren, sobald der König ins Schach gesetzt wurde. Im frühen 19. Jahrhundert konnte die Vereinheitlichung der Regeln im großen und ganzen abgeschlossen werden, und als 1851 das erste internationale Turnier in London stattfand, war der wichtigste Meilenstein gelegt für die Expansion eines weltweiten Schachs. So, genug aus der Geschichte geschwatzt, im heutigen Rätsel der Sphinx treffen wir auf eine weitere Schachregel, deren Verbriefung und Versiegelung ebenfalls den edlen Schweiß vieler Schachenthusiasten gekostet hat. Der englische Schachmeister Michail Adams war mit den weißen Steinen am Zuge und bereitete sich und seinem Publikum ein Pattvergnügen. Also, Wanderer, wie kam das Remis zustande?



SCHACH-SPHINX/05354: Wühlmäuse der Geschichte (SB)

Adams - Dimitrow
Amsterdam 1993

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Das Erjagen der weißen Dame begann mit 1...a7-a6!! Plötzlich besaß sie kein sicheres Rückzugsfeld mehr. Also versuchte Meister Furman ihr eine Bresche in die Freiheit zu schlagen, aber auch 2.Ta1-c1 biß wegen 2...Sf6-d5! auf Granit. Nun hätte 3.Tc1xc7 mit Qualitätsverlust gespielt werden müssen, zumal 3.e3-e4 an 3...Tf8-b8! scheiterte. Nichts Böses ahnend spielte Meister Furman jedoch 3.Sa4-c3?!, worauf 3...Se5-f3+! ihn vor eine unangenehme Entscheidung stellte. Auf 4.g2xf3 Lc7xh2+ nebst 5...De7xb7 ginge seine Dame endgültig verloren, weswegen er sich für 4.Kg1-h1 entschied, aber nach 4...De7-h4! 5.h2-h3 Dh4xf2 büßte er die Königsehre ein und gab sich geschlagen.


Erstveröffentlichung am 09. Februar 2002

14. Januar 2015





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